Gerade eröffnete die 13. Contemporary Istanbul (CI), und nichts ist mehr wie im Gründungsjahr 2006. Damals fand die türkische Kunstmesse noch über die Weihnachtstage statt, war gänzlich national angelegt und belegte einen kaum beachteten Nischenplatz. Ab 2011 galt Istanbul dann als großer Hoffnungsmarkt: Zu Beginn des Arabischen Frühlings wähnte man die Türkei als gelungenes Vorbild der Verbindung von Rechtsstaat, Demokratie und Marktwirtschaft in der muslimisch-arabischen Welt. Zugleich begannen immer mehr türkische Sammler, weltweit Kunst zu kaufen. Mittlerweile belegt die CI den attraktiven Septembertermin und hat sich zur wichtigsten, weil einzigen internationalen Messe am Bosperus entwickelt.
Neue Modelle
Von der großen Aufbruchsstimmung ist allerdings nichts mehr übrig. Es herrscht nur mehr ein vorsichtiger Optimismus, der die enormen Schwierigkeiten des Kunstmarkts in der Türkei tapfer zu überspielen versucht. 2014 nahmen noch 95 Galerien an der CI teil, die im wenig charmanten Kongresszentrum mit einer hohen Toleranz gegenüber kitschiger Deko-Kunst stattfindet. Dann passierte im Juli 2016 der Putschversuch. Die Messe verlor 25 Verträge und erholt sich seither davon nur langsam. Internationale Galerien wie Lelong, Leila Heller oder Victoria Miro sah man nur ein einziges Mal, ein untrügliches Zeichen für nicht ausreichende Verkäufe. Zwar nahmen letztes Jahr 73, heuer zur 13. Contemporary Istanbul sogar 83 Galerien aus 22 Ländern teil. Aber dahinter steht enorme Überzeugungsarbeit – bzw. ausgefinkelte Modelle. Insgesamt stammen 29 Galerien aus der Türkei, nur eine aus der arabischen Welt. 17 Galerien gehören zum „Gallery Support Programm“, ihre Teilnahme wird von verschiedenen Firmen so weit gesponsert, dass sie nur 20 Prozent der Kosten von rund 300 Euro pro Quadratmeter für ihre meist sehr kleinen Stände selbst tragen müssen. Auf eine Namensnennung der Sponsoren in der Messehalle wurde verzichtet, sie erhielten nur in einer rasant schnellen Zeremonie Medaillen überreicht. Weitere 11 Galerien sind überhaupt nur mit wenigen Werten in einer kuratierten Box vorhanden. Sie zahlen nichts. Galerie Laurent Godin ist mit dem Film „Golden Hours“ von Gonzalo Lebrija (Galerie Laurent Godin) dabei: Wir sehen ein führerloses, unbemanntes Segelboot, das immer kurz vor dem Kentern ist. Marc-Olivier Wahler, Mitglied des neunköpfigen Auswahlgremiums, kuratierte dieses Segment – ob wir den Film als Kommentar zur Lage der Welt lesen sollen?
Neue Museen, neue Orte
Diese neuen Modelle der 13. Contemporary Istanbul ermöglichen den Galerien einen kostengünstigen Test des türkischen Marktes, erklärte CI-Gründer und Inhaber Ali Güreli auf der Pressekonferenz. Und prognostizierte uns zugleich eine „großartige Zukunft für Kunst und Kultur in Istanbul“: 4 neue Museen werden entstehen, darunter das eigene Haus für die KOC Foundation und das Kulturzentrum AKM am Taksim Platz. Große Erwartungen setzt Güreli in das 18 Hektar große „Halic Tersane Project“ am Goldenen Horn, wo neben Wohnungen und Büroflächen „20 bis 25 auch internationale Galerien“ Räume eröffnen sollen. Das ist frei nach dem Vorbild von Alserkal Avenue konzipiert, einem Areal in Dubai, das sich abseits vom Zentrum zum wichtigsten Galerienzentrum der arabischen Welt entwickelt hat. Ob das so einfach zu kopieren ist, bleibt zu bezweifeln. Zwar zeigt sich der neue Kultur- und Tourismusminister Mehmet Ersoy als klarer Unterstützer solcher Programme, erklärte während eines Presse-Lunch sogar Kultur und Archäologie als „eines der größten Ziele“ der kommenden Entwicklung – offenbar um den Tourismus in der Türkei wieder anzukurbeln.
Inflation und Werverluste
Aber die Rahmenbedingungen zumindest für die Galerien sind gerade mehr als schwierig: Seit Jahresbeginn hat die Türkische Lira um rund 40 Prozent im Vergleich zum Dollar an Wert verloren. Mit 17,9 Prozent erreichte die Inflation im August einen Rekordwert, den höchsten Stand seit 15 Jahren. Dazu kommt ein Präsident, der sich in die Befugnisse der Zentralbank einmischt.
Was bedeutet das für die Messe und wie gehen die Galerien mit dieser Situation unstabiler Preise auf der 13. Contemporary Istanbul um? Viele geben nur noch Dollar oder Euro-Preise an und erklären das mit der Internationalität ihrer Künstler. Galerist Zilberman, der auch im Auswahlkommittee der CI sitzt, akzeptiert zwar auch die Landeswährung, aber nur bei Sofortzahlung, wie er betont – eine Konsequenz, die sich nicht jede Galerie leisten kann. Manche berichten, sie hätten seit Monaten kaum etwas verkauft und müssen sich deshalb nach den Käufern richten, selbst wenn diese mit verzögerten Zahlungen auf weiter fallende Kurse spekulieren. Aber auch hier bleibt Güreli zuversichtlich und wagte auf der Pressekonferenz eine Voraussage: „Die lokalen Galerien werden gut verkaufen. Den internationalen haben wir vorgeschlagen, Werke um die 3000 Euro zu bringen“ – ob sich damit die Kosten decken lassen?
Sofortkredite auf der Messe?
Um die Verkäufe anzukurbeln, hat Güreli eine eigenwillige Lösung gefunden: Auf der Messe bietet Hauptsponsor Akbank Sanat an einem eigens eingerichteten Stand in Minutenschnelle, wie Güreli betont, einen Sofortkredit bis zu 8000 Euro an – ohne jeglichen Liquiditätsnachweis? Ein gefährlicher Versuch in dieser ökonomischen Situation.
Defensiver ziehen manch andere Galerien ihre Konsequenz: Asli Sumer nimmt statt an der CI an dem weitaus kostengünstigeren Parallelprojekt „Art Weeks Akaretler“ teil, bei dem auch der „Club Fine Arts“, eine Gruppe von zehn miteinander befreundeten Sammlern, ihre Schätze ausstellen. Und manche Galerien gehen noch weiter. Sie verlassen die Stadt. Immer mehr Künstler und auch Händler ziehen nach Izmir, erzählt Esra Sarigedik Öktem, die zwei Werke von Gülsun Karamustafa auf der CI ausstellt. Und nach Bodrum, dem Saint-Tropez der Türkei, das eigentlich nur in der Sommersaison belebt ist. Langsam entwickele sich das Städtchen im Südwesten der Türkei zu einem neuen Kunstzentrum, erzählt Karpat Deviren am Stand des Künstlerhotels Casa Hermanas auf der CI. Im Sommer finden im Hotel Ausstellungen statt, im Winter werden Künstler für längere Aufenthalte eingeladen. Sogar das renommierte Istanbul Modern habe in dem Ferienort bereits eine Depandance, erklärt er stolz, und nennt Bodrum „Junior-Istanbul“ – ob da bald eine neue Kunstmesse folgen wird?
Contemporary Istanbul, 20.-23.September
veröffentlicht in: NZZ, 22.9.2018