Bis Januar 2024 gehört das 21er Haus der jungen Kunst. „Über das Neue“ verspricht Relevanz, Qualitätskontrolle gehört nicht dazu.
Nichts ist wichtiger für junge Künstler:innen als auszustellen. Nach der Ausbildung wollen sie ihre Werk aus dem Schutz des Ateliers holen und müssen sich nicht vorhersehbaren Diskussionen aussetzen. Dazu gehören auch Werturteile. Allerdings gibt es dafür in Wien, wo immerhin die beiden wichtigsten Kunstakademien sind, kaum noch Möglichkeiten. Früher schenkte die Wiener Secession der „Jungen Szene“ das Sommerloch. Die Kunsthalle Wien erfand das erfolgreiche Format „Lebt und arbeitet in Wien“. Beides ist Geschichte. Erfreulicherweise füllte das Belvedere 2019 das Vakuum und zeigt heuer zum zweiten Mal „Über das Neue“, diesmal mit dem Zusatz „Wiener Szenen und darüber hinaus“. Auch heuer sind Künstler – nun ohne Altersgrenze – und alternative Kunsträume eingeladen, heuer erstmals auch aus Linz und Salzburg. Fünf Kuratorinnen des Museums wählten 45 Kreative plus 24 Kunsträumen. Künstler erhalten ein Produktionsbudget von 2000 Euro, 2500 Euro die Gasträume. Aufgeteilt auf drei bis in den Jänner 2024 laufende Teile soll „Über das Neue“ eine „Zwischenbilanz oder Rundschau der relevantesten künstlerischen Praxen“ sein, wie es Direktorin Stella Rollig nennt.
Solch ein Konzept stellt ob der enormen Diversität eine spezielle Anforderung an die Ausstellungsarchitektur. Zumal der ebenerdige, große Raum des 21er Hauses zwar wunderbar lichtdurchflutet, aber wandlos ist. Das sollte das Architekturkollektiv AKT, das heuer auch den österreichischen Biennale Venedig-Beitrag stellt, lösen. Sie konzentrierten sich dafür auf das Thema „Mobilität“, da fünf Mal umgebaut werden muss – einige der Kunsträume wechseln schon während der laufenden Ausstellung. AKTs Antwort: Die Wände stehen auf mobilen Stahlachsen mit Rädern, „Wagen“ genannt. Die Wandelemente können jederzeit anders geknickt, ihre Positionen verschoben werden. Entstanden ist eine laute, an Bühnenbilder erinnernde Architektur, die in harte, nicht immer vorteilhafte Konkurrenz zur Kunst tritt. Diese schwarzen Reifen konterkarieren etwa die wunderbar filigranen, aus feinen Strichen bestehenden Bilder von Flora Hauser. Und passen so gar nicht zu Francesca Aldeganis Stoffbahnen, mit denen sie magische Rituale thematisiert. Gänzlich unbeeinflusst davon bleibt Hannahlisa Kunviks fotografisches Selbstportrait inmitten des noch leeren Raum – ob es eine Antwort auf die Beschreibung des 21er Hauses als „männlich-modernistischer Bau“ (Pressetext) ist? Einzig Gabriele Edlbauer und Julia S. Goodman bauen diese störenden Elemente kurzerhand in ihre ausufernde Installation „Gut gemeint“ ein: ein Rad wird zum Käse in dem skulpturalen Ensemble eines Wettbewerbs im Käse-Essen. Auf dem großen Bild dahinter speien lauter Künstlerinnen den Käse wieder aus; auf einem Schaukelgerüst sitzt eine Eule, unten baumelt ein fanatischer Priester, davor sitzt ein vollgefressener Teddybär auf einem Autositz, der laut Kuratorin an einen Autounfall erinnern soll. Sie sprechen von „gruseligen, politisch-dystopischen Abgründen“ – wobei ´politisch´ offenbar ein dehnbarer Begriff ist.
Während die Künstler von den Kuratorinnen ausgewählt wurden, agieren die freien Räume mit einer Carte Blanche. Heißt: es gibt keine Qualitätskontrolle für ihre Präsentationen. Kann man bei dieser „Vielstimmigkeit der Ausdrucksformen“, wie es das Team euphemistisch nennt, dann überhaupt etwas Gemeinsames über das Neue lernen? Kaum. Oder doch: Qualität ist offenbar kein Anspruch mehr in einer institutionellen Schau. Stattdessen liegt der Fokus auf den ´richtigen´ Diskursen, wozu hier Genderfluidität, alternative Realitäten und offene Autorenschaft/Kollektive gehören. Darin ist allerdings kaum Platz für experimentelle Zugänge, die Malereien sind nahezu akademisch, Materialien weitgehend beliebig und dank biographischer Werdegänge eingesetzt. Ephemere Vielstimmigkeit statt künstlerischer Präzision – vielleicht liegt darin das Neue?
veröffentlicht in: Die Presse, 7.4.2023