15. Istanbul Biennale 2017: Seit dem Putschversuch im Juli 2016 ist die Türkei fast täglich in den Schlagzeilen. Verhaftungswellen und Diskriminierung bestimmen den Alltag. Deutschland gab sogar jüngst eine Reisewarnung aus. In diesem Klima einer politischen Willkür, in dem sogar die Partnerschaft zwischen der Türkei und der USA durch die angedrohte Militäroffensive gegen die kurdischen Enklaven in Syrien auf Messers Schneide steht, eröffnet die 15. Istanbul Biennale 2017. Braucht jemand in dieser angespannten Situation überhaupt eine Biennale am Bosperus?
Das fragte sich auch das Kuratorenteam Elmgreen & Dragset. „Der Putsch war ein Schock, und der ist noch größer geworden über das, was seither passiert,“ erzählt Michael Elmgreen. Also sprachen sie mit Künstlern und Galeristen, mit Politikern, Akademikern und Journalisten. Und alle waren sie einig: Die Biennale braucht es jetzt mehr denn je. Denn die Angst, international isoliert zu werden, ist immens in der Türkei. Wie aber kann eine Biennale auftreten, die sich ist aufgrund drohender Verhaftungen nicht allzu kritisch positionieren kann und trotzdem den Erwartungen im In- und Ausland genügen will? Die in Berlin lebenden, aus Skandinavien stammenden Kuratoren waren in der Prä-Putsch-Zeit eingeladen worden. Sie kennen die Stadt und auch die Biennale bestens, an der sie als Künstler bereits zwei Mal teilnahmen. Im Vorfeld der 15. Istanbul Biennale bereisten sie die gesamte Türkei, luden insgesamt 56 Künstler aus 32 Ländern, darunter 10 aus der Türkei, zur Biennale ein und gaben bei einem Gesamtbudget von rund 3 Mio Euro 30 Werke in Auftrag.
Als Titel wählten sie „Ein gute Nachbar“. Die Türkei ist umrahmt von konfliktvollen Nachbarschaften. Aber nicht Flüchtlinge, ökonomischer Kollaps und Kriege stehen im Fokus, sondern das Zusammenleben – und das ist heikel genug in der Millionenmetropole, ist doch gerade durch die Gentrifizierung rund um die Biennale-Orte die Zwangsumsiedlung hochaktuell.
Das betrifft auch direkt die Biennale: der Standort rund um Antrepo, dem etablierten Hauptaustragungsort, wird gerade planiert und in das Luxusprojekt Galata Port mit Hotels, Yachthafen und einem Designviertel umgewandelt. Auch das Museum Istanbul Modern wird abgerissen, soll allerdings bald neuer und größer neugebaut werden.
Jetzt aber beginnt hier noch der Parcours der 15. Istanbul Biennale, und dies mit eindrücklichen, subtil-politischen Bildern: Im Museum Istanbul Modern hängt Young-Jun Taks Nachbildung seines 25 qm-Apartments kopfüber von der Decke herunter – die Welt ist verdreht.
Danach stehen wir vor Adel Abdessemeds grandioser, weißer, nackter Figur. Es ist das Mädchen aus dem berühmten Foto aus Vietnam, das vor der Napalmbombe flieht. Hier scheint es uns fast tänzelnd entgegenzukommen und ist doch die Personifizierung eines Schreis in Todesangst.
Abdessemed fertigte die Figur aus Elfenbein: „Elfenbein ist ein Material, das lebendig bleibt“, erklärte er dazu.
Nach diesem personifizierten Entsetzen folgt Latifa Echakhchs wie ein Korridor angelegte Installation. Sie malte Fotografien der Gezipark-Proteste 2013 auf die Wand, um das Fesko anschließend partiell wieder abzuschlagen. „Eine Ruine des Protests“ beschreibt Dragset den Beitrag.
Unübersehbar politisch sind auch die neun gespreizten, raumbeanspruchenden Torsi von nackten Beinpaaren, die in einem gekachelten Raum auf einer Bank aufgereiht sind. Auf ein Bein stützt sich eine Hand in machtvoller Geste – dies sei die Türkei, die übrigen die Nachbarländer, erklärt Elmgreen zu diesem intensiven Werk, dass die 84jährige, türkische Künstlerin Candeger Furtin in den 1990ern anfertigte und das heute eine enorme Aktualität hat.
In der Griechischen Schule empfängt uns Pedro Gómez-Eganas theatralisch ausgeleuchtetes Wohnzimmer, dessen Teile von Performern hin- und her bewegt werden – das Heim ist kein sicherer Ort mehr.
Und im Hamam, dem ältesten erhaltenen Badehaus der Stadt, hat Monica Bonvicini ein großartiges Bild für Kontrolle und Züchtigung platziert: Mitten im Raum steht ein Kaaba-ähnlicher Kubus, ummantelt mit stramm gezogenen, schwarzen Gürteln. Rundherum leuchten gleißend helle Neonröhren den Raum wie ein Verhörzimmer aus.
Nicht alle Werke der 56 Künstler dieser 15. Istanbul Biennale sind derartig politisch aufgeladen. Aber alle Werke in den sechs, in Gehdistanz liegenden Orten sind sorgsam ausgewählt und großartig aufeinander abgestimmt. „Wir wollten weniger Künstler, mehr Raum und mehr Dialog“, fasst es Dragset zusammen – und damit das Gegenteil der letztjährigen 14. Ausgabe, die sich über 33 Orte erstreckt hatte.
Die Entscheidung hängt auch mit der angespannten Situation zusammen: „Es entspricht dieser Zeit, die Biennale klein zu halten“, so Dragset. Und es entspräche der Situation, „den Konflikten ein menschliches Gesicht zu geben und sich nicht von der medial geschürten Angst einfangen zu lassen.“
Wer aber reist überhaupt momentan nach Istanbul? Anders als in den letzten Jahren kam kaum jemand aus der globalen Kunstkarawane zur Eröffnung, einige aus demonstrativer Verweigerung wegen des repressiven Regimes, andere aus Angst. Die zumindest scheint momentan unbegründet, die Stimmung in der Stadt ist weitgehend entspannt, die Kunstszene lebendig wie selten zuvor, es gibt zahlreiche Künstlerinitiativen und neue Kulturräume, die teilweise auch in das Programm der Biennale eingebunden sind.
Parallel findet eine große Ai Weiwei-Ausstellung im Sakip Sabanci Museum statt und die Kunstmesse Contemporary Istanbul konnte mit guten Erfolgen abschließen.
Solange keine Stimme zu laut aufbegehrt, scheint Ruhe zu herrschen – und aus diesem Kanon bricht auch diese Biennale keineswegs aus. Das kann man kritisieren, verkennt dabei allerdings, dass diese Künstlerkuratoren mit ihrer Wahl auch ein Statement gegen eine vordergründig politisierende Kunst machen. „Die Politik betrifft die Menschen, und darüber wird das Persönlich politisch“, erklärten sie, und zeigen uns mit dieser Biennale leise Wege des Widerspruchs: „Die Instabilität, die viele spüren, ist hier präsent.“
15. Istanbul Biennale, bis 12.November 2017
veröffentlicht in: NZZ, 29.9.2017