1:54 Marrakesch

04. Mrz. 2019 in Kunstmarkt, Kunstmesse

1:54 Marrakesch 2019, Foto Katrina Sorrentino

1:54 Marrakesch 2019, Foto Katrina Sorrentino

In der Früh ist es kalt, unter zehn Grad. Da braucht es Mengen an Heizstrahlern, um die Gäste auf der Frühstücksterrasse im Park des Luxushotels La Mamaouia in Marrakesch zu wärmen. Schnell steigen die Temperaturen dann an. Wenn am Mittag die Tore des Großen Salons aufsperren, ist es bereits 27 Grad. Für vier Tage ist dieser kleine Nebenbau des Hotels in Marokkos roter Stadt der Mittelpunkt des afrikanischen Kunstmarktes. Dann findet hier die Kunstmesse 1:54 statt. Der Name ist Programm: Afrika ist ein Kontinent und besteht aus 54 Nationen – auf engstem Raum zeigen 18 Galerien ausschließlich afrikanische Kunst.

Großer Salon des Hotels La Mamaouia // SBV

Großer Salon des Hotels La Mamaouia // SBV

Afrika ist der letzte blinde Fleck auf der Landkarte der Kunst. Seit fast zehn Jahren wird von dem großen Boom gesprochen oder wie Max Hollein es 2017 voraussagte, von einer „großen Welle“. Noch ist die Zahl von Museen, Galerien und Sammlern in Afrika allerdings sehr überschaubar, die Nachfrage nach afrikanischer Kunst in westlichen Sammlungen ähnlich gering. Aber langsam und stetig wird Afrika im Kunstmarkt immer präsenter. So stieg vor zwei Jahren Sotheby´s in den Handel mit Moderner und Zeitgenössischer Afrikanischer Kunst ein, der Umsatz 2018 lag allerdings grad einmal bei 2.3 Millionen Pfund. Fast überrannt wurde letztes Jahr die 2016 gegründete Messe „Also Known As Africa (AKAA)“ in Paris, rund 60.000 Menschen besuchten die fast 200 Aussteller. Auch 1:54 spürt das steigende Interesse: Gegründet 2013 in London parallel zur Frieze Art Fair, musste die Ausstellungsfläche im Somerset House bald verdoppelt werden. 2015 expandierte die Messe nach New York. Letztes Jahr wagte sie dann den Schritt nach Marokko: „Wir wollten erst einmal New York erfolgreich etablieren, um dann eine Messe auf dem Afrikanischen Kontinent zu beginnen“, erklärt Touria El Glaoui. Hier wird keine Vergrößerung möglich sein, die Messearchitektur im Großen Salon hat das Limit erreicht. Stattdessen finden sich kleine Seitenprojekte in der Stadt, ein Teil des Gesprächsforums läuft im Yves Saint Laurent Museum, „um die Messe bekannter und zugänglicher zu machen“, betont El Glaoui. Das scheint auch durchaus notwendig, denn noch ist die Messe ein kleiner, exklusiver Club, auf den weder vor noch in dem durch eine riesige Mauer abgeriegelten La Mamaouia Hotel ein Schild hinweist.

1:54 Marrakesch 2019 // SBV

Loft Art Gallery,  Marokko. 1:54 Marrakesch 2019 // SBV

El Glaoui ist die Tochter des berühmten marokkanischen Malers Hassan El Glaoui. Mit der Messe verbindet sie zugleich eine Mission: Sie möchte die jungen Galerien in Afrika unterstützen, sie anleiten und ermutigen, an mehr Messen, irgendwann auch auf internationalem Parkett teilzunehmen. Neben 1:54 finden auf dem Kontinent bisher nur drei weitere namhafte Kunstmessen statt, zwei in Südafrika und Art X in Lagos (Nigeria). 2010 hatte es bereits den Versuch der Marrakech Art Fair gegeben, die nach der zweiten Ausgabe wieder aufgeben musste. „Wir waren zu früh, damals gab es kaum eine Galerie in der Stadt“, erzählt Merriem Berrada. Sie ist heute Kuratorin im privaten Museé d’Art Contemporain Africain Al Maaden (MACAAL). Das Museum liegt mitten in einem Golfressort und ist eine Initiative des Unternehmers Othman Lazraq und seines Vaters. Kernbestand ist die Lazraq-Sammlung, ergänzt mit Wechselausstellungen. Pünktlich zur Kunstmesse wird die Ausstellung „Material Insanity“ gezeigt.

Amina Agueznay, Noise - Bruits 1. Installationshot Material Insanity, MAACAL, 2019

Amina Agueznay, Noise – Bruits 1. Installationshot Material Insanity, MACAAL, 2019

Die Werke der 33 Künstler basieren auf recycelten, umgedeuteten oder verfremdeten Materialien, kritisieren die Konsumkultur, die Globalisierung, Migration und spielen mit Traditionen wie im Beitrag von Amina Agueznay: Sie leitete zwölf Frauen in der marokkanischen Küstenstadt Assilah an, mit weißer Wolle auf Basis traditioneller Techniken ungewöhnliche Muster zu weben. Jetzt reihen sich 21 kleine Boxen aneinander und zeugen von dem hier schlummernden kreativen Reichtum.

Hassan Hajjaj, RIAD, Courtesy Adnane Zemmama

Hassan Hajjaj, RIAD, Courtesy Adnane Zemmama

Entschieden farbenfroher ist Hassan Hajjajs Beitrag. Er gilt hier als marokkanischer Andy Warhol. Der in London geborene Künstler variiert in unendlichen vielen Exemplaren farbenfrohe Portraitfotografien vor einem ornamentalen Hintergrund in poppigen, mit Dosen gefüllten Rahmen. In Marrakeschs Altstadt hat er eines der traditionellen, Riad genannten Häuser in einen Shop verwandelt, der bunt gemusterte Taschen, T-Shirts, Kissen, Lampen und natürlich diese Fotografien anbietet. Und in der Galerie Comptoir des Mines, die ein aus den 1930er Jahren stammendes Mehrfamilienhaus über drei Etagen bespielt, zeigt Hajjaj seine Werke zusammen mit jungen Nachwuchskünstlern. Sie arbeiten mit Fotografie, aufgenommen mit ihren Smartphones. Hajjaj versteht sich als Unterstützer der jungen Kunstszene Marokkos, aber er möchte nichts hören von Afrika als dem neuen Hot Spot der globalen Kunst: „Vorher war es China, dann Indien – Trends gehen vorbei“. Trotzdem sieht er eine klare Entwicklung: „Immer mehr Künstler können von ihrer Kunst leben.“

Soly Cissé, Untitled, 2018. Courtesy the artist and Sulger-Buel. 1:54 Marrakesch 2019

Soly Cissé, Untitled, 2018. Courtesy the artist and Sulger-Buel. 1:54 Marrakesch 2019

Auch auf der Messe 1:54 ist Hajjaj vertreten, offenbar kommt kein Kunstevent ohne den Superstar aus. Ab 3000,- Euro kosten die kleineren Formate bei der New Yorker Yossi Milo Gallery – und die Nachfrage ist groß. Wie überhaupt die Verkäufe hervorragend gehen,  vor allem im Preissegment von 3000-10.000 Euro. Insgesamt dominiert auf dieser Messe eine farbenfrohe, gerne ornamentale Kunst, die sich darin deutlich von dem Angebot einer westeuropäischen Messe unterscheidet. Dabei ist die Käuferschicht nahezu identisch mit einer Frieze: weiße Westler. „Viele unserer Sammler aus New York und London reisen hierher“, erzählt El Glaoui. Einige haben einen Zweitwohnsitz in Marokko, manche wie der US-amerikanische Maler Brice Marden besitzen sogar „zweieinhalb Häuser“, wie er im Gespräch beiläufig erwähnt. Er bereist Marokko seit den 1970er Jahren, jetzt hat er erstmals in Afrika eine Ausstellung. Im Yves Saint Laurent Museum zeigt Marden Zeichnungen, dazu ein braun-grünes Bild. Er sei im Frühjahr durch Marokko gefahren, was ihn dazu inspirierte: „Ich male Natur“, erklärt er knapp im Gespräch. Wie auf der Messe dominiert auch hier zur Eröffnung ein deutlich weißes Publikum – gibt es denn kein Interesse der Afrikaner an den Kunstereignissen? Darauf hat Messe-Direktorin El Glaoui eine klare Antwort: „Ich habe diese Frage schon oft gehört: Afrika ist nicht einheitlich, vor allem nicht nur schwarz. Afrika ist multifarbig. Und ja, das Interesse wird immer größer.“

1:54, La Mamaouia Hotel, 21.-23.2.2019; Brice Marden, Museum Yves Saint Laurent Marrakesch, 22.2.-12.03.2019; Material Insanity, MACAAL, 26.2.-22.9.2019

veröffentlicht in: WELT, 02.03.2019