Seit 400 Jahren steht im Süden von Bahrain ein Baum. Es ist der älteste. Und der einzige weit und breit. Seine mächtigen Äste wachsen ausladend und niedrig, berühren fast die karge Erde. Rundherum Wüste. Niemand weiß, woher sein Wasser stammt. Bahrain ist berühmt für seine Süßwasserquellen, die nächste Quelle findet sich aber erst über einen Kilometer entfernt. Schadscharat al-Haya wird dieser einsame Held genannt, der ´Baum des Lebens´. Wer ihn berührt, erklärt mir Rasheed Al Khalifa später, kehrt wieder auf die Insel im Persischen Golf zurück – ein Pflichttermin für alle Besucher dieses faszinierenden Königreichs, das noch als einer der wenigen Tourismus-Geheimtipps in dieser Region gilt: eine lebensfrohe Insel, geprägt von einer 5000jährigen Kultur.
Rasheed Al Khalifa ist Mitglied der Königsfamilie, die 1820 erstmals die Herrschaft über Bahrain erhielt. Und er ist Künstler: In einem seiner Ateliers stapeln sich seine farbenreichen Bilder. Sogar nackte, weibliche Rückenakte sind dabei. Bahrain mit seinen 1.7 Millionen Einwohnern ist ein islamisch geprägtes, aber liberales Land – so offen, dass das Design der legendären Gallery 21-Restaurants sogar von Rasheed stammt. Anders als in den Nachbarstaaten waren hier Alkohol, Musik, Kino, Party nie verboten. In Al Khalifas Garagen-Atelier, in der locker sechs Wagen Platz hätten, entstehen seine mit Lack gemalten Bilder, die auch im Plums, dem Steakhouse des 5 Sterne-Hotels Ritz Carlton hängen. Weiter hinten auf seinem riesigen Anwesen sehen wir die neuesten, raumfüllenden, auf Gitterstrukturen basierenden Installationen – sein künstlerischer Weg hat ihn zur Abstraktion geführt. Nebenan parken dicht nebeneinander 30 Oldtimer. Einige der Porsche, Maserati und Mercedes will er verkaufen, sein Sohn habe es ihm geraten, erklärt er.
Denn Al Khalifa will sich nur noch auf seine Kunst konzentrieren. Im Juni 2022 wird der 1952 geborene Künstler im Lichtensteinischen Landesmuseum ausstellen. In Bahrain kann man seine Werke schon jetzt – nach Anmeldung – in seiner RAK Foundation sehen, zusammen mit seiner privaten Kunstsammlung: vor allem Künstler der Region, dazwischen eine große Wandarbeit vom US-Star Frank Stella, sogar zwei Fotografien der Wiener Künstlerin Angelika Krinzinger – die habe er auf der Art Dubai, der wichtigsten Kunstmesse im Nahen Osten gekauft, erinnert er sich.
Heute sind die Dubai und Abu Dhabi, sogar Doha bekannter als Bahrain. Während der Gründung zu den Vereinigten Arabischen Emiraten 1971 war Bahrain dagegen den anderen Emiraten in der Bevölkerungszahl und auch der allgemeinen Bildung weit überlegen. Geht man noch weiter zurück in der Zeit, trumpft Bahrain mit einer grandiosen Kultur auf: Hier lebten einst die Sumerer, ein Volk, dass für seine Keilschrift berühmt ist, künstliche Bewässerung, aber auch das Rad erfand und sogar die Anfänge der Mathematik. Damals hieß die Insel Dilmun, der sumerische Name für ein paradiesisches Land. Dank der einzigartigen submarine Süßwasserquellen war Dilmun ein bedeutender Handelsplatz, dessen Hochkultur von 2500 bis 1700 v. Chr. dauerte. Hier verlief die Handelsroute von Mesopotamien ins Indus Tal, hier machten die Schiffe halt. Noch heute zeugen faszinierende Stätten von der einstigen Bedeutung. Auf dem Weg zum „Baum des Lebens“ verwundern rechts und links von der sechsspurigen Schnellstraße ein endlos scheinendes Feld voller Erdbuckel, die wie riesige Maulwurfhügel aussehen. Es sind Grabhügel, dicht nebeneinander, bis zum Horizont. Über 160.000 gab es. Man weiß, das hier niemals so viele Menschen lebten. Dank der Grabbeigaben ließ sich klären, dass die Toten aus der gesamten Region von Zentralasien bis Syrien zur Bestattung hiergebracht wurden – ins Paradies. Nicht nur die Straße, auch immer neue Siedlungen zerstören zwar einige dieser bronzezeitlichen Friedhöfe, aber selbst die verbleibende Menge ist noch überwältigend.
Noch sind diese Felder touristisch nicht erschlossen. Aber im perfekt inszenierten National Museum kann man die Innenräume und Grabbeigaben studieren: Bis zu 20 Meter hoch waren die Größten, mit aus Lehm und Bitumen gebauten Särgen, Haupt- und Nebenkammern. Familiensiegel, Tongefäße, Schmuck und Münzen begleiteten die Reise. 1988 als erstes Museum in der Golfregion eröffnet, kann man hier die Geschichte der gesamten Region studieren, die frühen Handelswege, Traditionen und die Perlenfischerei. Bis zu 2500 Perlen-Schiffe waren monatelang mit 60-80 Mann an Bord unterwegs, darunter Taucher, ein Koch und sogar ein Sänger. Heute erinnert ein touristisch perfekt ausgebauter „Perlen-Pfad“ an diese Zeit, an dessen Ende die Reste eines Fischerdorfs erhalten sind. Auch Teile der ehemaligen Hauptstadt Muharray wurden vorsichtig renoviert, 26, teils über 100 Jahre alte Häuser erzählen von Gestern. In manchen leben noch heute die Nachfahren der frühesten Besitzer. Mehrere Jahrtausende vereint das Qal´at Al Bahrain Fort, dessen ältester Teil aus 2300 v.Chr. und jüngste Überbauungen aus dem 16. Jahrhundert von den Portugiesen stammen.
Mit den ersten Erdölfunden 1932 endete die legendäre Zeit Bahrains endgültig. Jetzt bricht mit dem Tourismus eine neue Phase an, in der die historischen Stätten auf die Wolkenkratzerkulisse der modernen Hauptstadt Manama treffen. Aber noch imer gilt für die meisten Gäste : Wer Bahrain besucht, berührt den Baum – als Garant der Wiederkehr.
veröffentlicht in: Die Presse, 14.5.2022