Kaum ein Werk wird auf der diesjährigen 54. Biennale Venedig so häufig fotografiert wie Allora & Calzadillas Panzer vor dem Pavillon der USA. Wie ein toter Riesenkäfer auf den Rücken gedreht, wirkt das militärische Gerät mitten in den Giradini befremdlich – und doch höchst symbolisch. Denn nirgendwo kommen sich Kunst und Politik durch so viele Zeiten so nah wie gerade hier auf der Biennale Venedig. Schon die Gründung dieser zweijährlich stattfindenden Mega-Ausstellung hat einen politischen Hintergrund. 1894 erklärte der damalige Bürgermeister von Venedig die Kunst als „eines der wertvollsten Elemente der Civilisation“ zur „brüderlichen Vereinigung aller Völker“ – natürlich nur der westlichen, der Rest der Welt galt als unzivilisiert.
Anfangs zeigten alle eingeladenen Nationen ganz brüderlich in nur einem einzigen Haus. 1907 baute sich dann Belgien einen eigenen Pavillon – und schon im nächsten Jahr begannen die Bauarbeiten für die weiteren Häuser von Ungarn, England und Deutschland. Das war damals ein nahe liegender Schritt, denn in dem einen Pavillon kamen 1907 unglaubliche 766 Künstler mit 1760 Werken zusammen – davon aber nur 127 Nicht-Italiener. Österreich erhielt erst 1934 ein eigenes Haus, das aber schon zur 21.Biennale 1938 gemäß dem „politischen Anschluss Österreichs an Deutschland“ leer stand. Eigentlich sollte der Josef Hoffmann-Bau damals verkauft werden. Aber die Ereignisse verhinderten das. Sommer 1940. Obwohl sich Europa im Krieg befindet, werden noch rund 3000 Kunstwerke nach Venedig transportiert. 87.000 Besucher reisen an. Selbst zur 23. Biennale Venedig im Jahr 1942 kommen mitten im Krieg noch immer 76.000 Menschen. Es nehmen nur mehr 10 Länder teil, dann schließt die Biennale und in den drauffolgenden sechs Jahren wird das Gelände von einer Filmfirma zunächst als Lagerräume, dann als Filmstudios genutzt. Schon 1948 eröffnet die Biennale wieder und es kommen über 200.000 Menschen – das Interesse an Kunst, das zeigt die Geschichte dieser Biennale deutlich, ist eine Konstante unserer Gesellschaft und bleibt trotz widriger Umstände bestehen.
Und genau das kann man auch heuer zur 54. Biennale Venedig beobachten. 89 Nationen rücken ihre Künstler ins Licht der globalen Welt – denn die Dominanz der westlichen Welt, das zeigt die Biennale Venedig mehr als deutlich, ist vorbei, brüderlich ist sozusagen mittlerweile auch schwesterlich. Allerdings stehen nur 29 Pavillons auf dem begehrten Gelände der Giardini. Luxembourg und Irland, Haiti und Mexiko bespielen quer über die Stadt verteilt Räume in Kirchen, Schulen und Palästen. Trotz der Revolutionen und enormen gesellschaftlichen Umbrüche im Nahen Osten nehmen auch Ägypten, Syrien, Irak und der Iran teil. Nur Libanon und Bahrain sagten ab. Für die Politik, das zeigt die Biennale Venedig immer wieder, ist diese Ausstellung ein bedeutendes Forum, um Stärke und Innovationsfähigkeit, oft auch erste Demokratisierungstendenzen zu demonstrieren – wie heuer im ägyptischen Pavillon, in dem nicht mehr skurrile Staatskunst, sondern Filme über die Revolution am Tahrir Platz in Kairo zu sehen sind.
Überhaupt ist die 54. Biennale Venedig eine der politischsten der letzten Jahrzehnte, was nicht zuletzt immer wieder eine Kritik an dem Nationalitätenprinzip beinhaltet. Dazu muss man wissen, dass hier anders als in Museen nicht die Künstler eingeladen, sondern zunächst auf politischer Ebene offiziell die Nationen angefragt werden. Im zweiten Schritt bestimmen dann die Ministerien entweder den Kurator, eine Jury oder manchmal auch ohne Sachverstand direkt die Künstler.
Aber können und wollen Künstler überhaupt ihre Nation vertreten? Ist dieses Konzept überhaupt noch sinnvoll? Seit den 1960er Jahren diskutiert, ist es trotzdem bis heute nicht abgeschafft. Das hat gute Gründe, denn erstens bleibt nur so die Finanzierung dieser riesigen Leistungsschau gewährleistet. Zweitens lassen sich an den Teilnehmerländern weltpolitische Verhältnisse ablesen, wenn schon früh Japan eingeladen wurde, jahrelang Russland nicht teilnahm, der „Jugoslawien“-Pavillon von einer vergangenen Konstruktion erzählt. Und drittens eignet es sich hervorragend als Reibungsfläche. Manche allerdings scheitern daran auch gewaltig, und dies heuer ausgerechnet das Gastgeberland. Für den italienischen Länderbeitrag bestellte Italien einen Kenner klassischer Kunst. Dieser Duz-Freund von Berlusconi bat 200 Designer, TV-Größen und Historiker, je einen italienischen Künstler vorzuschlagen. Die meisten dieser Künstler sind unbekannt – und werden es auch bleiben. Gäbe es Qualitätsprüfungen, müsste Italien disqualifiziert werden.
Radikal dagegen Lee Yongbaeck für Korea, die Soldaten mit Kampfanzügen in Blümchenmustern durch das Gelände marschieren lässt und den Pavillon mit Schussfeuer auf (Video-)Spiegel in ein bedrohliches Territorium verwandelt. Großartig Polen, in deren Pavillon die israelische Videokünstlerin Yael Bartana ihre „Polish Trilogy“ zeigt. Im ersten Teil bittet ein junger Mann in einer bewegenden Rede in einem leeren Stadion die Juden, doch wieder zurück nach Polen zu kommen. Im zweiten Teil sind einige, die wie jüdische Siedler der 1930er Jahre gekleidet sind, dem Ruf gefolgt und bauen eine gefängnisartige Siedlung in Warschau auf. Der dritte Teil hat jetzt auf der 54. Biennale Venedig Premiere: Der Redner ist ermordet worden. Beeindruckend auch der Roma Pavillon, der nahe des Markusplatz im Haus der UNESCO installiert ist und Videos, Vorträge, Lesungen und Performances zur katastrophalen Situation der Roma versammelt. In dieser hoch komplexen Mischung aller Beiträge bestätigt die Biennale Venedig wieder ihre Bedeutung: hier wird alle zwei Jahre eine weltpolitische Situation wider gespiegelt.
Veröffentlicht in: Die Presse, 5.6.2011