54. Biennale Venedig 2011: ILLUMInations

03. Jun. 2011 in Biennalen

Song Dong

Song Dong, 54. Biennale Venedig, ILLUMInations // SBV

Der eine Teil der Biennale Venedig sind die nationalen Ausstellungen, die von jedem Land einzeln organisiert werden. Der andere Teil ist die zentrale Gruppenausstellungen, die heuer unter dem Titel ILLUMInations mit 83 Künstlern auf ganzer Linie überzeugt – und das beginnt schon auf den ersten Metern: Einhundert alte Türen, losgelöst von ihren Schränken, empfangen uns im Arsenale. Großartig, mit welchem geringen Eingriff diese Türen eine neue Funktion als Raumteiler, ein neues Leben erhalten haben, innen und außen, privat und öffentlich verdrehen. Song Dong sammmelte sie in Peking und baut daraus in Venedig eine verschachtelte Struktur, um Werken von Kollegen Platz einzuräumen. Es ist einer der vier „Para Pavillons“: Vier Künstler waren eingeladen, „skulpturale Strukturen“ als Extra-Räume zu gestalten – worauf jeder anders reagierte. Während Monika Sosnowska eine faszinierende Stern-Struktur für die Fotografien von David Goldblatt entwickelte, zeigt Haroon Mirza nur sich selbst, Franz West lud seine Freunde ein und Song Dong übernahm kurzerhand den Großteil des Raumes – denn mittendrin steht ein traditionelles, chinesisches Haus. Songs Elternhaus, auf dessen Dach zwei riesige Tauenkäfige thronen. Viel zu groß für die Vögel, verschafften sich die Menschen damit früher einen neuen, halblegalen Raum in ihren Häusern, denn eigentlich war eine Extra-Etage verboten.
Den gemeinsamen Nenner dieser Werke kann man in dem von Kuratorin Bice Curiger gewählten Titel „ILLUMInations“ suchen. Damit bündelt die Kuratorin Bice Curiger ihre zwei Leitthemen: Licht als wiederkehrendes Thema der Kunst durch alle Jahrhunderte, und die Idee der Nationen als immer wieder kritisiertes Grundkonzept der Biennale Venedig- darum die etwas gezierte Groß- und Kleinschreibung des Titels. 1895 als erste große, internationale Ausstellung gegründet, zeigten Anfangs alle eingeladenen Nationen in einem einzigen Pavillon. 1907 baute sich dann Belgien einen eigenen Pavillon – was sofort von mehr und mehr Nationen imitiert wurde. Seither will jede Nation die eigenen Künstler in einem eigenen Raum zeigen – womit fortwährende Debatten über die Sinnhaftigkeit dieser Regelung einhergehen. Ist eine nationale Repräsentation von Künstlern überhaupt noch zeitgemäß? Wer will die willkürlichen, politischen Grenzen akzeptieren, wer will (s)ein Land repräsentieren?
Die Para-Pavillons von ILLUMInations sind eine Antwort auf diese Fragen. Eine andere sind die Tauben, die in Songs Käfigen fehlen und dafür den Pavillon in den Giradini bevölkern. Mehr als 200 dieser ausgestopften Tiere verteilt Maurizio Cattelans von der Fassade bis in jeden Raum. Es ist ein Werk voller Anspielungen, auf (un)erwünschte Anwesenheiten, auf (un)kontrollierten Lebensraum, auf anarchistische Raumübernahme.
Ob im Arsenale oder im Pavillon, immer wieder sehen wir spannende Arbeiten, die im Rahmen der vorgegebenen Themen unerwartete Ebenen denken lassen. Das ist keineswegs selbstverständlich. In den letzten Jahren verloren sich die zentralen Ausstellungen in kryptischen Titeln, unverständlichen Konzepten und weitgehend wahllosen Auswahlkriterien. Ganz anders dieses Jahr: Leitmotive, Abfolge und Qualität der Werke, der Medien und Formate, zwischen instalativen Skulpturen, großzügig präsentierter Malerei und wenigen Filmen – all das ist überzeugend gelöst und bleibt dabei immer nahe bei den beiden Themen. ´Licht´ etwa reicht von James Turrells Farbraum bis zu Christian Marclays 24-Stunden-Film „Clock“, einem der Höhepunkte im Arsenale. Aus Mengen von Filmausschnitten zusammengestellt, spielt die Zeit in jeder Szene eine zentrale Rolle. Marclay arbeitete drei Jahre an diesem Film, der uns in die Geschichte zurückführt und gleichzeitig eine immerwährende Gegenwart erzeugt.

Ähnlich groß ist auch der Bogen des zweiten Themas, der von den Tauben über die Para-Pavillons bis zu Tintoretto reicht. Drei Bilder des Meisters, der im 16. Jahrhundert in Venedig lebte, hängen im zentralen Pavillon: Werke, in denen wir Licht in seiner schönsten, malerischen Umsetzung begegnen. Diesem kunsthistorischen Ausflug setzt Urs Fischer im Arsenale einen wunderbar humorvollen Kontrast entgegen, wenn er einen skeptisch schauenden, lebensgroßen Mann vor Giovanni Bolognas Skulptur „Der Raum der Sabinerinnen“ aus dem Jahr 1583 stellt. Der Mann, erst kann man es kaum glauben, brennt. Dieser Betrachter ist eine Kerze, ein Ort des Lichtes. Bis zum 27.November läuft die Ausstellung, solange soll der Betrachter brennen.

veröffentlicht in: Die Presse, 3.6.2011