56. Oktober Salon. Es ist eine Hassliebe, die seit 56 Jahren den Oktober Salon in Belgrad begleitet. Gegründet 1960 von der Stadt, diente das Format ursprünglich als Überblicksausstellung für serbische Kunst. Aber schon nach sechs Ausgaben hagelte es Kritik, in den 1970er Jahren verlor der Salon an Bedeutung, in den 1980ern erreichte er einen Tiefpunkt an Beliebigkeit. 2004 kam eine gravierende Neuerung, denn seither werden internationale Kuratoren berufen – eine in Belgrad nicht wirklich begrüßte Entscheidung, geht doch damit die Angst einher, dass die serbische Kunst im eigenen Land marginalisiert wird. Heuer ist diese Sorge allerdings unbegründet. Berufen wurde der in Berlin lebende Brite David Elliott, der 68 Künstler einlud, darunter 28 Prozent aus Serbien. Auch sein Ausstellungskonzept für den 56. Oktober Salon ist eng mit Belgrad verbunden, mit der Geschichte des Salons, aber auch des Landes: „The Pleasure of Love“ lautet der Titel.
Das mag zunächst überraschen, sind die letzten Jahrzehnte in Serbien doch von allem anderen als von Liebe geprägt: Als der Oktober Salon gegründet wurde, war Belgrad noch die prächtige Hauptstadt Jugoslawiens. Aber nach dem Zerfall der Republik begann das repressive Regime des Kriegsverbrechers Slobodan Milošević. Mangelwirtschaft und Wirtschaftsembargo bestimmten die Zeit, 1999 beschädigten NATO-Bomben die Stadt schwer während des 78tägigen Kosovokriegs. Die Spuren des Bombardements sind bis heute sichtbar, die ehemalige TV-Station und das Polizeihauptquartier sind nach wie vor zerstört. Es fehlt das Geld für Abriss oder Renovierung.
Heute ist Serbien EU-Beitrittskandidat, an der Schengen-Außengrenze sammeln sich Flüchtlinge, die kurz vor Eröffnung des Oktober Salons mit ihren Zelten aus der Innenstadt vertrieben wurden. Hauptausstellungsort des Salons ist eine ehemalige, desolate Militärakademie – sind noch größere Kontraste zu den ´Freuden der Liebe´ vorstellbar?
Wenn Elliott in diesem Kontext einen derartig provokanten Titel wählt, dann ahnt man schnell, dass hier nur die eine Seite einer Klammer genannt ist. Denn mit Liebe geht auch Enttäuschung, Verlust und Leid einher. Zwischen diesen Polen entwickelt Elliott seinen 56. Salon. Es beginnt in der Eingangshalle der ehemaligen Militärakademie. Dort erschallt Susan Philipsz Version einer traurigen Ballade. Ein Mann fand die Leiche einer Frau und baute aus den Knochen der Verstorbenen eine Violine, auf der nur ein Song gespielt wurde: die tödlich beendete Eifersucht zwischen zwei Schwestern.
Ein Stockwerk höher hat Via Lewandowski einen toten Hund aufgehängt, Vladimir Peric & Milica Peric zeigen eine Serie von „Damaged Faces“ und Natalie Maximova dokumentierte Menschen vor oder nach ihrer Geschlechtsumwandlung: emotionale Gesichter zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Von William Kentridge wählte Elliot für den 56. Oktober Salon jenen animierten Film aus, in dem Figuren auf Buchseiten tanzen und Dimitri Solakov reflektiert in seiner Installation über seine Rolle als Vater.
Spätestens hier wird deutlich: Die Skala der Gefühlte geht weit über Liebe und Hass hinaus, bezieht alle Zwischentöne und Abzweigungen ein, auch Assoziationen zu Folter und Fitness wie in Toni Schmales Skulpturen. Auch die in einem Musical inszenierte Kritik am Neoliberalismus in Björn Melhus´ Film „Freedom & Indepandence“ passt dazu, und sogar Pornograhie, die allerdings ist verschlüsselt: Milovan Destil Markovic übersetzt den Barcode von Porno-Romanen in harmlos-hübsche, abstrakte Malerei.
Manches berührt uns unmittelbar wie die Venus-Serie von Aurora Reinhard, in der die Künstlerin ihr eigenes Bild in übertriebene Weiblichkeits-Klischees verwandelt – muss es so plakativ sein, um uns anzusprechen?
Andere irritieren ob der eher konservativen Ästhetik wie Biljana Durdevics Bild „Into Deep Waters“:
In akademischer Tradition gemalt, stehen zwei Frauen im Wasser. Es ist eine Szene, die von einem Mord, von Verlorenheit erzählen könnte, aber vielleicht auch nur die Schönheit von Natur und Frauen in einen unerwarteten Kontext stellen will. Auch Leiko Ikemuras Bilder zeigen uns eine brüchige Welt, Geisterlandschaften voller Melancholie.
Überhaut hat Elliot für diesen 56. Oktober Salon überraschend viel Malerei ausgewählt. Im Kulturzentrum, dem zweiten, rund 15 Gehminuten entfernten Ausstellungsort, beginnt der Parcours gleich mit einem starken Gemälde: Drei Afrikanerinnen laufen irgendwohin, darunter steht „Tomorrow Is Ours“ – ein Bild von Flüchtlingen? Nein, wenige Schritte weiter zeigt Johanna Kandl ihr Bildmotiv ein zweites Mal, diesmal im Kontext:
Die Frauen verlassen ein Werk, sie rennen in ihre Freizeit – Fröhlichkeit statt Ausweglosigkeit, so leicht können durch Kontextverlust Missverständnisse entstehen!
Im Kulturzentrums sind auch die frühen Werke von Snezana Nena Skoko zu sehen: wunderbare, kleine Bücher aus Samen und Gräsern, die zugleich liebevoll und melancholisch sind – nicht immer kann man eindeutig entscheiden, welche Gefühlsnote dominiert. Im Untergeschoß dominieren Filme, die auf Found Footage basieren, filmische Vorbilder variieren oder Klischees aufgreifen.
Da destabilisieren Nezaket Ekici & Shahar Marcus die Idee romantischer Momente, wenn sie einen Strandbesuch oder ein Picknick im Schnee inszenieren, frierend, aber voller Hingabe. Überzeugend dann auch das Schlusswerk des sorgsam inszenierten Ausstellungsparcours: Ein Mann sitzt am Fenster. Das Telefon klingelt. Aus jedem Detail von Jovan Čekić´ Video spricht Enttäuschung. Damit schließt sich die Klammer, die mit Philipsz´ Soundinstallation begann. Und damit endet ein Weg, auf dem Elliot wunderbar subtil mit den Erwartungen an den Salon und den Details des Kontextes jongliert.
56. Oktober Salon, Belgrad. 25.September – 6.November 2016