Vom Goldenen Löwen bis zu Anerkennungen – die Preise der 60. Biennale Venedig wurden stromlinienförmig den aktuellen Themen vergeben. Und statt rauschender Parties dominieren immer häufiger feine Frühstücke.
Während der Eröffnungstage beginnt schnell unter dem Fachpublikum das große Raten: Welcher National-Pavillon wird wohl mit dem Goldenen Löwen geehrt? Dieses Jahr einigen sich die meisten bald auf Wael Shawkys Film „Drama 1882“ über die Urabi-Revolution im Ägyptischen Pavillon. Manche favorisieren Anna Jermolaewas „Swan Lake“ für Österreich – wenigsten für eine Spezielle Erwähnung. Dafür erhalten die Geehrten zwar keine Trophäe, nur ein Zertifikat. Aber es ist eine gewaltige Anerkennung.
Mit der Entscheidung der fünfköpfigen Jury allerdings hatte niemand gerechnet: Den Goldenen Löwen durfte Archie Moore für den Australischen Pavillon entgegennehmen, überreicht von Italiens Kulturminister Gennaro Sangiuliano – die Löwen-Zeremonie ist eine hochpolitische Veranstaltung. Archie Moore ist Nachfahre der Stämme Kamilaroi und Bigambul, seine Installation „kith and kin“ (Kind und Kegel) zeichnet die 65.000jährige Geschichte der indigenen Völker Australiens nach – und passt damit perfekt in die Themen der 60. Biennale Venedig: indigen, queer, Außenseiter, Postkolonialismus.
Ganz in diesem Sinne ging auch der Goldene Löwe für den besten Beitrag – überreicht von Venedigs Bürgermeister Luigi Brugnaro – in der Zentralen Ausstellung an das Mataaho Collective aus Neuseeland. Unter dem Titel ´takapau´, was die von Maoris gebräuchlichen Geburtsmatten bezeichnet, erstellten die vier jungen Maori-Frauen eine riesige Webstruktur aus Ladegurten. Die gewaltige Größe der Installation sei „eine technische Meisterleistung, die nur durch die kollektive Stärke der Gruppe möglich sei“, so die Jury.
Ähnlich pragmatisch argumentierten sie auch für die ´Spezielle Erwähnung´ an Doruntina Kastrati für den Pavillon Kosovo. Die vier überdimensionalen Skulpturen in dem kleinen Hinterhof des Marine Museums seinen eine „kleine, aber wirkungsvolle Installation“, die sich auf „feminisierte Industriearbeit und die Abnutzung des Körpers berufstätiger Frauen“ beziehe, die zusammen mit der Soundarbeit „eine größere Arena feministischen Aktivismus“ wiederspiegele. Ästhetische oder kunstimmanent-qualitative Kriterien spielen in den Jurybegründungen nur noch Nebenrollen.
Der Silberne Löwe für eine*n „vielversprechende*n, junge*n Künstler*in“ ging an die in England geborene, in Hamburg lebende Nigerianerin Karimah Ashadu, die in ihrem Video „Machine Boys“ eine Gruppe afrikanischer, junger Männer dokumentiert, die illegale Motorradtaxis fahren. Ihr „feministisches Kameraobjekt“ sei „außerordentlich sensibel und intim“, das Video „meisterhaft bearbeitet, um die Darbietung der zur Schau gestellten Männlichkeit hervorzuheben“, so die Begründung der Jury.
Es obliegt der jeweiligen Jury, ob noch weitere Spezielle Erwähnungen ausgesprochen werden. Julia Bryan-Wilson (USA), Alia Swastika (Indonesien), Chika Okeke-Agulu (Nigeria), Elena Crippa (Italien) und Maria Ines Rodiguez (Frankreich/Kolumbien) entschieden sich für zwei solcher Anerkennungen: Eine ging an die in New York lebende, 1936 geborene Palästinenserin Samia Halaby, die nur per Videoeinschaltung teilnahm. Ihr Gemälde „Nucleo Storico“ suggeriere die „Souveränität der Vorstellungskraft“ und „die Bedeutung globaler Solidarität“ – sie widmete ihren Preis den im Gaza-Krieg gestorbenen Journalist*innen.
La Chola Pbolete (Argentinien), angekündigt als „erste nicht -weiße, queere Trans-Künstlerin aus Brasilien auf der Biennale Venedig“, beschäftige sich mit „der Geschichte der kolonialen Repräsentation aus einer trans-indigenen Perspektive“. In ihrer Danksagung hoffte Pbolete, dass solche identitätspolitischen Zuschreibungen irgendwann nicht mehr wichtig sein.
Den Preis für ein Lebenswerk erhielten unter jubelndem Applaus „zwei außergewöhnliche, wegweisende Künstlerinnen, die auch Migrantinnen sind“, wie es Biennale-Kurator Adrian Pedrosa nannte: die 1942 in Italien geborene, in Brasilien lebende Anna Maria Maiolini und die 1938 in Ägypten geborene, in Paris lebenden Nil Yalter gingen.
Weiße Männer im Stadtraum
Die Auszeichnungen spiegeln perfekt die allgemeine Tendenz der letzten Jahre wider, die eine immer größere Schere zwischen Kunstmarkt und Kuratorenarbeit zeigt. Im krassen Gegenteil zu den Ausgezeichneten dominieren außerhalb des Biennale-Rahmens von Galerien initiierte, westliche Kunstmarkt-Stars, darunter einige ´alte, weiße Männer´ wie Frank Auerbach (Palazzo da Mosto), Alex Katz (Fondazione Giorgio Cini), Willem De Kooning (Gallerie dell´Accademia). Wenige Meter vom Biennale-Gelände entfernt führte Ex-documenta-Direktorin Carolyn Christov-Bakargiev ab Mitternacht ihre „Whiskey-Gespräche“ mit William Kentridge, dessen Ausstellung „Self Portrait as a Coffee Pot“ tagsüber frei zugänglich ist (Arsenale Institute for Politics of Representation). Nur während der Voreröffnungstage wurde das saudi-arabische Projekt Wadi AlFan mit Entwürfen von u.a. James Turrell, Michael Heizer und Agnes Dennis für das „Tal der Kunst“ in der saudischen Wüste AlUla lanciert – war es Neugierde auf die Kunst oder die Freude über das wunderbar üppige Frühstück, dass so viele Kurator*innen hier schon morgens um 8:30 in den Innenhof der Abtei von San Giogio eintrafen?
Frühstück statt Party
Frühstück statt Party entwickelt sich dank der winterlichen Temperaturen in der Voreröffnungswoche Mitte April zum großen Renner, vom Wiener Auktionshaus Dorotheum, dem Dubai-Galerienviertel Alserkal Avenue bis zur Fondation Pernod Ricard luden viele zum frühen Treffen ein. Das französische Spirituosenunternehmen präsentierte seine Schriftenreihe „TextWorks“ in dem kleinen Luxus-Hotel Ca´di Dio. Seit November 2017 finanziert die Stiftung Texte internationaler Autor*innen über das Werk einer*s französische*n Künstler*in, in Venedig wurde Nr. 33 von Yung Ma über Ali Cherri vorgestellt.
Ein eher karges Frühstück lockte zur Vorbesichtigung von Yoo Youngkuk, ein koreanischer Maler-Star, dessen großartige, reduzierte Berg-Bilder in der gesamten Fondazione Querini Stampalia bis hinauf zur Bibliothek hängen.
Höchst exklusiv lud die Turiner Sammlerin Patrizia Sandretto Rebaudengo zu einem Ausflug auf ihre kleine Isola di San Giacomo zu einer Performance der koreanischen Tänzerin Eun-Me Ahn ein. Im nicht minder exklusiven, aber stolze rund 1000 Gäste umfassenden Rahmen feierten Monsieur et Madame Francois Pinault, wie es auf der Einladung hieß, in der Fondazione Giorgio Cini auf San Giorgio Maggiore – ein beeindruckendes Stelldichein von französischer Kunstwelt und internationalen Künstler*innen und Galerist*innen. Die Tische standen rundherum in den Säulengängen und sogar in den Ausstellungsräumen, mitten im Garten dazu ein schier endloses Austern-Buffet.
Kulinarisch dezenter, dafür mindestens so ausgelassen-fröhlich drängelten sich dieses Jahr zum siebten Mal die Freunde der Berliner Nationalgalerie mit ihren Gästen am Markusplatz, um die diesjährigen Preisträger*innen zu feiern – endlich wieder ohne Regen.
veröffentlicht in: Kunstforum, Bd. 296, Juni/Juli 2024