Glaskunst hat in Venedig Tradition – und die wird seit 2017 mit der Venice Glass Week gefeiert – heuer auch mit grandiosen historischen Ausstellungen.
Venedig ist berühmt für sein Muranoglas. Aber kurz sah es düster aus für die Glasbläser-Zunft. Auf der venezianischen Insel fehlte es an Nachwuchs. Dann brachte die Pandemie Venedig zum Stillstand und der enorme Gaskostenanstieg letztes Jahr schien der energieintensiven Kunst den Rest zu geben. Jetzt eröffnete gerade die 7. Venice Glass Week – und demonstriert eindrücklich: Die Glaskunst erlebt eine neue Blüte. 2017 gegründet, um die zertifizierte Marke Murano zu stärken, bewarben sich für die heurige Glaswoche mehr und internationalere Teilnehmer als je zuvor.
Man kann sich diese Woche als eine expansive, teilweise kommerzielle Ausstellung vorstellen, die über die gesamte Stadt verteilt rund 250 Präsentationen, Workshops und Vorträge rund um das Thema „Die Kunst des Feuers“, so das heurige Motto, in Hotels, Bars, Galerien und Palazzi bringt. Und dafür einige Tage lang sogar einen „Schwimmenden Ofen“ vor der Accademia-Brücke ankern lässt. Hier gibt das junge Team der Werkstatt Wave Murano Glas von Roberto Beltrami für alle Passanten eine Live-Demonstration der Glasbläserei. Beltrami gehört zur neuen Generation in Murano, die sich wieder für das 2000 Jahre alte Handwerk interessiert. Er ist Quereinsteiger, studierte zuvor in den USA Physik und stammt noch dazu aus dem Norden Italiens – was ihm seine Ausbildung bei den alteingesessenen Glasbläsern sehr erschwerte, wie er erzählt. Aber er gab nicht auf – und führt jetzt in Murano eine offene Werkstatt, in der jeder die Produktionen zwischen den heißen Brennöfen beobachten und sogar in kurzen Workshops selbst praktizieren kann. Es ist eine kleine Revolution in dem traditionellen Murano und demonstriert einmal mehr die neue Aufbruchsstimmung.
Dazu passt auch, dass zunehmend neue Glasdesign-Galerien in Venedig eröffnen. Seit kurzem residiert „Lostudio – Everything I Want“ in Dorsoduro direkt am Wasser gleich neben dem bekannten Eissalon Nico. Zur Glaswoche zeigen sie mundgeblasene Wolkenobjekte von Irene Cattaneo (ab 1.500 Euro). Eine ihrer faszinierenden Wolkenlampen gastiert während des Festivals im wenige Meter entfernten Hotel Il Palazzo Experimental. Pünktlich zur Glaswoche hat das Atelier Crestani in der Nähe der Peggy Guggenheim Collection ein eigenes Geschäft eröffnet. Simone Crestani produziert seine Kollektion im knapp eine Autostunde entfernten Vicenza, seine Trinkgläser mit eingearbeiteten Bienen kosten 150,- Euro, jene mit außen hochkrabbelnden Ameisen dagegen sind Einzelstücke ab 1500 Euro. Glaskunst, das wird hier eindrücklich klar, wird gerade wieder zum Statussymbol – was sich auch in den venezianischen Restaurants widerspiegelt: Je gehobener der Anspruch, desto exklusiver die Trinkgefäße.
Die Königsdisziplin der Glaskunst aber sind die künstlerischen Werke, denen die Glaswoche mehrere große Ausstellungen widmet. In der Bibliothek des Palazzo Loredan leuchten Peter Wiechenthalers fragile, in Südtirol produzierten Kombinationen aus Glas und Treibholz magisch im Halbdunkeln; die Französin Laetitia Jacquetton kombiniert transparentes, an Seifenblasen erinnerndes Glas mit groben Steinen und die US-Amerikanerin Leslie Ann Genninger verarbeitet Abfälle der Murano-Produktionen zu leuchtenden Stehlampen. Schwingt hier oft noch ein Rest von Funktionalität mit, zeigen zwei historische Ausstellungen die pure Glaskunst – und die enormen Unterschiede zwischen den klassischen Produktionsorten.
Denn während die geblasenen Meisterwerke aus Murano an ihrer Leichtigkeit und der hohen Qualität der Farben zu erkennen sind, entwickelte sich in Tschechien nach dem Zweiten Weltkrieg eine geradezu konträre Ästhetik eher massiver, gegossener Objekte. „Böhmisches Glas: Die großen Meister“ zeigt in der Fondazione Giorgio Cini auf San Giorgio Maggiore bis Ende November Werke von sechs tschechischen Glaskünstlern, darunter die kompakten, minimalistischen Formen mit optischen Lichtspielen des 1929 geborenen Václav Cigler. Oder die düsteren, monumentalen Glasskulpturen von Stanislav Libenský (1921-2002) & Jaroslava Brychtová (1924-2020).
Wie konträr dagegen die fast spirituell wirkenden Werke von Laura De Santillana (1955-2019), die bis Ende November in der Gallerie dell´ Accademia in Dialoge mit den Meistern der Renaissance-Malerei von Bellini bis Veronese treten. Als Enkelin von Paolo Venini gehört De Santillana zu der Muranoglas-Dynastie, unter deren Namen bis heute exklusive Glasobjekte verkauft werden. Nach ihrer Designausbildung in New York stieg sie in das Familienunternehmen ein, ab 1993 widmete sie sich ausschließlich ihrer Kunst und gehört heute zu den bedeutendsten Glaskünstlern der Gegenwart. Nur 1500 Werke produzierte sie in ihrem Leben, einiges in Murano, anderes in Prag oder auch Seattle. Oft als Serie angelegt, sind es Kuben mit weichen, an Mark Rothko erinnernden Farbverläufen, verfeinert mit subtilen Lichtreflexen. Oder transparente, trotz des harten Materials an weich fallende Stoffe erinnernde, majestätisch stehende Formen. „Glas ist wie eine Haut, die Luft sichtbar macht“ erklärte sie einmal. Manchmal brauchte es bis zu siebzig Versuche, bis die Farbe oder Form exakt ihren Vorstellungen entsprach. Ihre Werke vereinen Tradition und Experiment – eine Formel, die auch für die jüngere Generation gilt, wie diese intensive Glaswoche zeigt.
veröffentlicht in: Die Presse, 17.9.2023
Laura De Santillana, Gallerie dell´Accademia, Venedig, bis 26.11.2023
Böhmisches Glas: Die großen Meister, Le Stanze del Vetro, bis 26.11.2023