Schon zwölf Mal fand die Wander-Designmesse NOMAD statt, diesen Sommer zum zweiten Mal auf der italienischen Luxus-Insel Capri.
Bis zu 45.000 Tagestouristen kommen an Wochenenden im Sommer mit der Fähre aus Neapel nach Capri und drängeln sich in den schmalen Gassen von Capri. Die maximal ein Meter breiten, kleinen Lastautos finden dazwischen nur mühsam ihren Weg zu Nobelboutiquen, Hotels und Restaurants. Mittendrin und doch abgeschieden liegt das ehemalige Kloster Certosa di San Giacomo. Einst lebten hier kartäusische Mönche eremitisch hinter den dicken Mauern. 1363 gebaut, ist es das älteste Gebäude auf Capri. Jetzt findet hier die Designmesse Nomad statt. Die kleinen, spartanischen Kammern rund um den großen Innenhof sind perfekt geeignet für die rund zwanzig internationalen Galerien, die vier Tage lang Kunst und Design ausstellen. Zur Eröffnung flanieren Damen in eleganten, gerne farbintensiven Abendkleidern plus Designertaschen durch die kühlen Kammern – welch ein Kontrast zu dem Ort. Und zu den Tagestouristen! Überhaupt ist Capri eine Insel der Gegensätze, was auch diese Messe widerspiegelt.
Capri war schon immer ein Ausflugsziel, angefangen bei römischen Kaisern. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die italienische Insel von Künstlern und Prominenten entdeckt. In den 1920er Jahre gastierte hier gerne die Künstlergruppe der Futuristen, später wusste die queere Szene die Abgeschiedenheit der Insel zu schätzen. In den 1970er Jahren setzte der Massentourismus ein, wovon auch das in Deutschland beliebte Capri-Eis und das gleichnamige Auto der Ford-Gruppe zeugten. Noch heute erinnert manche Strandbars an damalige Interiour-Trends. In den ruhigeren Gegenden besitzen Hollywoodstars Sommerdomizile, in den kleinen Buchten ankern stattliche Yachten dicht nebeneinander.
Dieses exklusive Publikum und die ausgeprägte Sammler-Szene in Neapel adressiert die Nomad. Der Name der Messe ist Programm: kein fixer Ort, kein fixer Termin, keine Stammgalerien. Stattdessen legen die beiden Gründer Giorgio Pace und Nicolas Bellavance-Lecompte großen Wert auf den Ausstellungsort: Es müssen einzigartige, historische Architekturen sein – Häuser, die Geschichten erzählen, erklären sie im Gespräch. 2017 gastierte die Messe in Monaco in der Luxusvilla La Vigie, die zuvor von Karl Lagerfeld bewohnt wurde. Im Winter zog es Nomad einige Jahre in das temporär leergeräumte Museum für Engadiner Patrizier-Kultur namens Chesa Planta in Samedan fünfzehn Autominuten von St. Moritz. 2019 stellten 26 Galerien in Venedigs historischem Palazzo Soranzo Van Axel aus. Jetzt also Capri. Mit dem Kloster ist nicht nur ein geschichtsträchtiger, sondern auch wunderbar ruhiger Ort gewählt, der noch dazu ein 1974 gegründetes, eigenartiges Museum beherbergt: In dem ehemaligen Speisesaal des Klosters hängen dicht nebeneinander die riesigen Bilder des deutschen, nahezu vergessenen Malers Karl Wilhelm Diefenbach. Diefenbach gilt als Vorreiter der Freikörperkultur. 1897 gründete er in Wien eine Künstlerkommune, die bankrott ging. 1899 zog er nach Capri, wo er 1913 starb. Sein Museum ist eine Ansammlung erschreckend düsterer Naturdarstellungen mit spirituellem Touch.
Wie anders dagegen nebenan die Werke der Nomad! Auffallend viele der internationalen Galerien bringen Keramik-und Leucht-Objekte mit, die mit ihrer sehr verspielten, farbenfrohen Gestaltung von einem weltzugewandten Optimismus zeugen – und ganz im Trend der Zeit altes Handwerk feiern. Möbel dagegen werden nur wenige angeboten. Denn was immer hier zu sehen ist, muss zuvor mühsam und kostenintensiv mit den schmalen Lastautos oder mit Handkarren transportiert werden. Dazu kommt eine logistische Herausforderung: Eine Firma ist für den Transport von der Fähre hoch hinauf zur zentralen Piazetta zuständig. Ab da muss eine andere Firma beschäftigt werden, erzählt Pace. Letztes Jahr seien sie an solchen Details fast verzweifelt, heuer ist es schon Routine.
Ob kleine Tische, Sessel, Keramik oder Wandobjekte – die Messe setzt auf Collectibels, also Sammlungsstücke der angewandten Kunst, die die Grenze zur bildenden Kunst überschreiten. Dieser Markt beginne sich in Ägypten gerade erst zu etablieren, erzählt Noha Deyab von Le Lab aus Kairo. Die Alabaster-Lampen von Omar Chakil für 1.600 Euro waren zur Eröffnung sofort reserviert – übrigens nahezu ein Schnäppchen, denn die meisten Preise hier liegen im vierstelligen Bereich. Studio Trisorio aus Neapel dagegen entschied sich für Foto-Kunst. Für die Messe beauftragten sie den britischen Dokumentarfotograf Martin Parr mit einer Capri-Fotoserie, mittendrin stehen Liegestühle. Der Stoff ist bedruckt mit dem Motiv der Faraglionie genannten, markanten Felsen im Meer. Kosten: in unlimitierter Auflage 700 Euro.
Wie für den Kräutergarten geschaffen sind die märchenhaften, großen Stehlampen aus Muranoglas und Bronze von Irene Cattaneo. Mit dem roten Glas erinnert eine an eine Blume, die hellen, transparenten Gläser an Wolken auf einem knorrigen Baum (Studio Everything I Want aus Venedig) – ein wunderbarer Kontrast zum strengen Ambiente des Klosters! Die größte Aufmerksamkeit ziehen Cedric Mizeros Skulpturen im Kleinen Kreuzgang auf sich. 1994 in Ruanda geboren, ist Mizero bekannt für seine „Fashion for all“-Kollektion. Für Capri entwarf der Autodidakt acht knallrote Kunstobjekte, die in intensiver Handarbeit von großen Frauenteams produziert wurden wie das Boot mit Schmetterlingsflügeln aus winzigen Bohnen oder die imposante rote Matrone aus Bast – die Farbe Rot stehe für Blut und Leben, als kryptisches Thema nannte sein Manager „Geburtsmerkmale“. Vertreten wird Mizero von der Initiative Africa Privé, die hier zugleich ihr Projekt „Interlude“ bewerben: Ab nächstem Jahr im Februar sollen jährlich Kunstsammler nach Ruanda eingeflogen werden, um der Welt ein anderes, ein kulturell geprägtes Bild des afrikanischen, als sicher geltenden Staates zu vermitteln. Und den Kunstmarkt anzukurbeln – vielleicht wird das ostafrikanische Land eine zukünftige Station von Nomad?
veröffentlicht in: Die Presse, 9.7.2023
NOMAD Capri, 6.-9.7.2023