Anne Imhof: Klaustrophobische Räume im Stedeljik Museum

06. Jan. 2023 in Ausstellungen

Anne Imhof, Youth. courtesy Stedelijk Museum Amsterdam, cp-presented with Hartwig Art Foundation. Foto Peter Tijhuis

Mengen von ordinären, grauen Metallspinden blockieren den Eingang zum Ausstellungsraum im Untergeschoß des Amsterdamer Stedeljik Museums. Ein Lager? Aber warum stehen die auf einem weißen Teppichboden? Sollte hier nicht eigentlich Anne Imhofs große Personale „Youth“ sein? Die deutsche Künstlerin gilt spätestens seit ihrem Beitrag „Faust“ im Deutschen Pavillon 2017 der Biennale Venedig als Meisterin der Performancekunst. Für ihre Installation mit herumlungernden Akteuren und Hunden erhielt sie damals den Goldenen Löwen. „Alle Kunst ist nur gemeinsam möglich“, postulierte Imhof einmal programmatisch. Ihre Werke basieren auf einem extensiven Netzwerk, zu dem neben Musikern und Tänzern vor allem ihre Partnerin Eliza Douglas gehört, die als Inbild einer androgynen Generation als Modell für Balenciaga berühmt ist. Für die britische Luxusmarke Burberry drehten Imhof und Douglas 2021 gemeinsam zwei schrille Filme. Merkmale wie Lethargie, Wut, Underground, Rebellion, Genderfluidität, aber auch Okkultisch und Düster prägen Imhofs Werke, die offenbar den Nerv unserer Zeit treffen.

Anne Imhof, Youth, 2022. Stedeljik Museum, Foto PeterTijhuis

In Amsterdam allerdings tritt Imhof nicht als Performance-Meisterin auf. Hier geht sie einen radikalen Schritt weiter. Hier sind offensichtlich wir die Performer. Also betreten wir den schmalen Gang zwischen den Schränken, der uns mit Sound und Licht langsam in eine immer klaustrophobischer werdende Installation leitet. In kleinen Kabinetten sind gerahmte Zeichnungen auf Lagerkisten präsentiert, auf Glasobjekten sieht man Graffitis. Alles wirkt verlassen, ist roh, spartanisch, herausfordernd. Irgendwann biegen wir in zwei Nischen ab, in denen Videos laufen. Da traben sieben Pferde durch das verschneite, menschenleere Moskau. In einer verstörend romantisierten Wildheit sind ihre wehenden Mähnen, ihr Schnauben in der Kälte gefilmt, was durch Johan Sebastian Bachs „Erbarme Dich Gott“ aus der Matthäus Passion noch pathetisch überladen wird. In der Menschenleere der Großstadt wirken die Szenen apokalyptisch. Im anderen Video irrt Eliza Douglas mit nacktem Oberkörper im Schnee durch eine ruinenhafte Architektur, in der die freigeschaufelten Wege ihr die Bahnen vorgeben. Immer wieder läuft sie wie in einem Computerspiel vor die Wände. Beide Filme entstanden in Moskau anlässlich einer im Garage Museum geplanten Ausstellung – die durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine abgesagt wurde.

Anne Imhof, Al Winter. Stedeljik Museum, Amsterdam 2022

Stattdessen stimmt uns Imhof damit jetzt in Amsterdam auf eine immer beklemmender werdende Welt ein. Denn im nächsten, düster-roten Raum finden wir uns auf einem Irrweg zwischen Zäunen, aufgestapelten Holzpaletten, meterhoch aufgetürmten Wassertanks, Regalen und Büroschränken wieder. An den Wänden lehnen dunkle Glasscheiben, in manchen Nischen scheint jemand gehaust zu haben, irgendwo liegt ein Motorradhelm, Dosen. Über allem hängt der Gestank der aufgetürmten Autoreifen, dazu läuft ein eindringlicher Sound, ein Koproduktion von Imhof mit dem Berliner Rapper Ufo361. Es erinnert an gespenstisch leere Büroflure, an Fabrikhallen, an Alpträume. Beide Räume zwingen uns ähnlich wie Douglas in dem Schnee-Video auf vorgegebene Wege, aus denen wir nicht ausbrechen können. Mit dem Titel „Youth“ referiert Imhof nicht auf Teenager, sondern auf eine Phase des Werdens, des Dazwischen, des Übergangs. Darauf spielen laut aushängenden Texten auch die Spind-Schränke an, die meist in Übergangsräumen stehen: Sinnbilder für einen Ort des Wechsels der Garderobe, aber auch der Identität. Die engen, vorgegebenen Gänge, lesen wir, erinnern an die limitierenden Grenzen der Entwicklungsmöglichkeiten. „Wie können wir den Bedingungen entkommen, die uns seit unserer Jugend bestimmen?“, wird Imhof zitiert. Darauf antworte sie laut Pressetext mit „zeitgenössischen emotionalen Antworten“: mit “Hyper-Individualismus und Einsamkeit, Sehnsucht und Gier, Sättigung und die Angst, etwas zu verpassen.“ Wir lesen, dass die grauen Schränke „Erziehung und disziplinierende Rituale“ symbolisieren, die Wassertanks referieren auf „rituelle Waschung“, die Glaswände verweisen auf „opake soziale Strukturen und (Un-)Zugänglichkeit“.

Anne Imhof, Fate, 2022. Featuring Eliza Douglas. Directed by Jean-René Étienne and Lola Raban-Oliva. Courtesy of the artist, Galerie Buchholz & Sprüth Magers. Produced with the support of Garage Museum of Contemporary Art, Moscow, Hartwig Art Foundation and Stedelijk Museum Amsterdam

Auch ohne diese Interpretationen empfinden wir „Youth“ als zutiefst irritierend. Als Sinnbild einer übermäßigen Normierung lassen die akkurat geordneten und gestapelten Dinge keinen Ausweg zu. Die Mauern bestehen dabei aus harmlosen Dingen unseres ganz alltäglichen Lebens, Versatzstücke unserer Routinen. Die Akteure sind wir. Das Leben ist die Performance. Aber warum reitet dann Douglas am Ende des Videos halbnackt auf dem Pferd? Liegt in der romantizistischen Idee einer Naturnähe der Ausweg aus dem Norm-Zwang? Auch wenn man das kaum glauben kann, ist „Youth“ eine verstörend-großartige Ausstellung!

veröffentlicht in: Die Presse, 30.11.2022
Anne Imhof, Youth, Stedeljik Museum, Amsterdam, 1.10.2022-29.1.2023