1960er im MUMOK: Aufbruchsstimmung

25. Jul. 2024 in Ausstellungen

Ausstellungsansicht: Mapping the 60s. Kunst-Geschichten aus den Sammlungen des mumok, 5. Juli 2024 bis 1. Februar 2026: Jann Haworth, Snake Lady / Schlangenfrau, 1969–1971; Sine Hansen, Beglühte Sicherheit, 1965; Sine Hansen, Großer Steinbeißer, 1966; Sine Hansen, On Top, 1967; Sine Hansen, Good Morning / Guten Morgen, 1970. Foto: Klaus Pichler / mumok

Für die neueste Sammlungspräsentation feiert das MUMOK die 1960er – bewusst fragmentarisch, eine „selektive Kartographie“.

Unsere Zeit ist geprägt von Ängsten und Unsicherheit, Zukunftspessimismus und dadurch von einer erzkonservativen Grundstimmung. Wie anders dagegen waren die 1960er Jahre! Ob in Mode oder Film, Musik oder Kunst, überall herrschte Aufbruchsstimmung. Von einer „Schwellenzeit“ wird im MUMOK gesprochen, die diesem Jahrzehnt jetzt eine großangelegte, zweiteilige Schau widmet.

Die 1960er seien in jeder Hinsicht ein für „unsere Gegenwart prägendes Jahrzehnt“ gewesen, erklärt MUMOK-Kurator Matthias Michalka, das sie jetzt anhand der Bestände „neu beleuchten“. Aber wie kann man das damalige Prisma an radikalen gesellschaftlichen, politischen und ästhetischen Umbrüchen in die Räume eines Museums pressen? Gar nicht, und das ist mit der Ausstellung auch nicht beabsichtigt.

Hauseigene Werke

Ausstellungsansicht: Mapping the 60s. Kunst-Geschichten aus den Sammlungen des mumok,: 
Roland Goeschl, Großer Farbwürfel, schrägstehend, 1967–1968; Getulio Alviani, Superficie a testura vibratile / Oberfläche von schwingender Textur, 1965; Bridget Riley, Nineteen Greys / Neunzehn Grau’s, 1968 (Mappe: 4 Siebdrucke auf Karton). Foto: Klaus Pichler / mumok

Denn die von einem sechsköpfigen Kuratorenteam zusammengestellte Schau ist in erster Linie eine Sammlungspräsentation, also nur mit hauseigenen Werken bzw. Dauerleihgaben der Österreichischen Ludwig-Stiftung. „Mapping the 60s“ sei „bewusst fragmentarisch“, betont das Team, „eine selektive Kartographie“. Es soll keine Überblicksausstellung sein, sondern die eigenen Bestände in andere Zusammenhänge stellen.

Das gelingt großartig, dank der hervorragenden Werke in einer perfekten Ausstellungsarchitektur, die für jedes Thema kleine Räume und damit einen konzentrierten Rundgang schafft.

1960er auf Ebene -2

Der beginnt im ersten Raum auf Ebene -2 mit Werken zu den damals wichtigen Themen Gewalt, Krieg, Medien und Liebe. Hier hängen Drucken der so politisch agierenden Nonne Sister Coritha gegenüber von Jasper Johns „Target“: Seine Malerei mag abstrakt erscheinen, ist aber in direkter Verbindung mit dem Vietnamkrieg zu lesen. Der Titel „Ziel“ verweist auf die Zielscheibe von Schusswaffen. Joe Baers minimalistische, abstrakte Skulptur dagegen kommt zwar ohne explizit politischen Inhalt aus. Aber sie wollte damals „die richtigen Formen finden, um Sichtweisen zu verändern“, wie Michalka erklärt.

Ausstellungsansicht: Mapping the 60s. Kunst-Geschichten aus den Sammlungen des mumok: Konrad Klapheck, Triumph der Zerstörung, 1970; Domenico Gnoli, Tie / Krawatte, 1968; Yoko Ono, White Chess Set / Weißes Schachspiel, 1966. Foto: Klaus Pichler / mumok

documenta 4

Auf derselben Ebenen sehen wir auch hauseigene Werke von Künstlern, die an wichtigen Ausstellungen der 1960er Jahre wie der documenta 4 1968 teilnahmen. Ein Raum ist dem damals bahnbrechenden Magazine „Aspen Nr. 7“ gewidmet, das als Box wie eine Miniaturausstellung angelegt war inklusiv einer Schallplatte von Yoko Ono. Und wir lernen Werke von Künstlerinnen kennen, „die damals fehlten“, wie erklärt wird. Denn das Team wollte nicht die damals übliche Ignoranz übernehmen. Sie ließen sogar ein Werk eigens für „Mapping the 60s“ nachkaufen: die „Neon Layout Studie“ der griechischen Künstlerin Chryssa. Heute fast vergessen, war sie damals weithin bekannt und nahm auch an der documenta teil. Auf Ebene -3 sind eigene Räume damals wichtigen Künstlerinnen wie Sine Hansen oder Jann Haworth gewidmet.

Walter Pichler, Fusion von Kugeln (Prototyp 2), 1967. Acrylglas, Aluminium, Zinkblech. 
mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Leihgabe der Artothek des Bundes, seit 1968. Courtesy Galerie Krinzinger and Walter Pichler. Foto: Anna Lott Donadel. © Nachlass Walter Pichler

MUMOK und die 1960er

Dass die 1960er Jahre nicht nur gesellschaftlich und künstlerisch paradigmatisch waren, sondern für das MUMOK auch kulturpolitisch wichtig, ist Thema auf Ebene -3. Die Institution eröffnete 1962, damals als einziges ausschließlich der Gegenwart gewidmetes Museum Österreichs. Die Ankäufe und Ausstellungen aus jener Zeit bilden den Grund der Sammlung, frühe Plakate und sogar frühe Präsentationsskizzen des Gründungsdirektors Werner Hofmann erinnern daran.

Der zweite Teil der Ausstellung wird erst im Dezember eröffnet, da die Ebene -4 noch nicht fertig renoviert ist. Dort liegt dann der Schwerpunkt auf Fluxus, Happening, Aktionismus und Nouveau Réalisme – Stile, die auf der documenta 4 1968 zwar fehlten. Was damals auch heftig kritisiert wurde. Aber für die 1960er Jahre wesentliche Impulse setzten. Davon zeugt auch das „Destruction in Art Symposium“ von 1966, bei dem die Wiener Aktionisten erstmals international auftraten – eine der historischen Verschränkungen, durch die diese Sammlungspräsentation wichtige, manchmal sogar neue Zusammenhänge aufzeigt. Und ab 5. Juli bis 11. August zeigt das Performancefestival Impulstanz heutige Parallelen zu jenem Jahrzehnt: Acht Choreografien sind mit frühen, performativ angelegten Videoarbeiten von zwölf Künstlern und Künstlerinnen verknüpft.

Mapping the 60´, MUMOK Wien. 5. Juli 2024 bis 1. Februar 2026
veröffentlicht in: Die Presse, 4.7.2024