Kork kennen wir von Weinflaschen – aber als Parkbank? Ja, das zeigt uns das Projekt „City Cortex“ in Lissabon. Dort wird Kork gerade als nachhaltiges Wundermaterial für Design und Stadtmobiliar entdeckt.
Handtaschen, Kappen, Bilderrahmen, Brillenetuis – in den Shops von Lissabon gibt es keine Grenzen für Souvenirs aus Kork. Die verarbeitete Rinde der Korkeiche ist in Portugal noch so allgegenwärtig wie früher bei uns nur in den großelterlichen Wohnungen. Da waren Wände mit Kork verkleidet, die Schuhe mit Kork besohlt und die Tische mit Korkuntersetzern geschützt. Das hatte den Mief der Nachkriegsjahre.
Bioregionales Design
Seither wurde das Material von Designers gemieden. Das ändert sich gerade. Denn erstens kann Kork weit mehr als nur den Privatraum behübschen. Und zweitens ist es eines der nachhaltigsten Materialien – und liegt damit perfekt im Trend unserer Zeit. „Bioregionales Design“ nennt der sich: nachwachsende und vorhandene Ressourcen werden Ausgangspunkt für neue Produkte. Daran forscht auch gerade ein Team auf dem Nordwestbahngelände im Rahmen der 1. Wiener Klima Biennale. In Wien dienen Abfälle von Baustellen als Ausgangsmaterial. In Lissabon experimentieren acht Designer mit Kork.
8000 Hektar Korkeichen
Portugal ist weltgrößter Kork-Produzent. Ein Großteil wird für Wein- und Schnaps-Stöpsel genutzt. Dazu benötigt es allerdings höchste Qualität – das sind gerade einmal 30 Prozent der gesamten Ernte, erklärt Antonio Rios de Amorim im Gespräch. Er ist CEO von Corticeira Amorim, einem der größten Korkproduzenten Portugals. 600.000 Millionen Flaschenkorken verkaufte sein Familienunternehmen letztes Jahr weltweit. Auf 8000 Hektar bauen sie Korkeichen an, in nächster Zeit wollen sie über 1 Millionen Jungbäume pflanzen. Bis zur ersten Ernte dauert es 24 Jahre. Dann kann die Rinde alle neun Jahre abgehauen werden – traditionell mit einer Axt, neuerdings auch dank einer schonenderen, leichter zu handhabenden Maschine. Dann hat der Baum wieder neun Jahre Zeit, die begehrte Rinde nachwachsen zu lassen.
Alles Kork: City Cortex in Lissabon
Kork wurde schon im frühen Ägypten für Fischfang bis Sandalen eingesetzt, von den Römern als Dämmmaterial. Heute sieht Amorim es als Alternative für Beton, Kunststoff bis Holz. „Kork ist ein Geschenk der Natur“, begeistert er sich. Kork speichert CO2, ist dank der dichten Wabenstruktur wetterbeständig, feuerfest und enorm leicht. Weil Kork eine „elastische Erinnerung“ habe, wie er es nennt, eigne es sich als Ersatz für Teakholz, in Rolls Royce-Autos bis zu Innenräumen von Flugzeugen. Dass es auch Außenraum-tauglich ist, beweist jetzt das Projekt „City Cortex“ in Lissabon.
Dafür lud die Kuratorin Guta Moura Guedes im Auftrag von Amorim sechs Designer:innen ein, Korkideen für den öffentlichen Raum zu entwickeln. Die meisten Objekte stehen an der Promenade entlang des Flusses. Direkt vor dem MAAT-Museum lädt der thronartige Doppelsitz des portugiesischen Stararchitekt Eduardo Souto de Moura zum Verweilen ein.
Das um einen Baum gewickelte Outdoor-Bücherregal vom New Yorker Studio Diller Scofidio & Renfo ist absolut regenbeständig – die Bücher leider nicht. Vielleicht könnte ein Kork-Schutzeinband helfen?
Der Schweizer Yves Béhar entwarf ein super leichtes, dünnes, stabiles Modul-System, dessen Anwendung allerdings noch so offen ist wie sein freistehender Turm. Leong Leongs weiche, warme Kork-Sitzlandschaft lässt ahnen, wie plastikfreie Spielplätze in der Zukunft aussehen könnten. Und Gabriel Calatrava Collaborative Architecture Laboratory installieren auf der anderen Flussseite in Trafaria einen „kollektiven Ruheraum“, wie sie es nennen. Boden, Überdachung und Tische sind aus Kork, die Sessel stammen von den Anwohnern und werden mit Kork überzogen. Solche Rasträume wünscht man sich für alle Städte! Eine humorvolle Verdrehung stammt von dem österreichisch-US-amerikanischen Designer Stefan Sargmeister, der zusammen mit Jessica Walsh Flaschen entwarf: der Hohlkörper ist aus Kork, der Stöpsel aus Glas. In der Gastronomie eingesetzt, wären diese Flaschen ein perfekter Schalldämpfer.
Kork im öffentlichen Raum?
Aber ist Kork im öffentlichen Raum wirklich eine realistische Alternative? Absolut, ist sich Architekt Calatrava sicher. Kork könne als Bodenbelag für Gehwege und für jede Art öffentlicher Möblierung dienen. Wie er so wollen alle sechs Designer das Material weiter erforschen und einsetzen – nicht nur den frisch geernteten, sondern auch wiederverwendeten Kork. Daran können wir übringes alle mitwirken. Denn gebrauchte Flaschenstöpsel werden in Recycling-Höfen gesammelt und später neu gepresst. Mit jeder entkorkten guten Flasche Wein können wir so dazu beitragen, dass unsere Städte korkreich werden.
veröffentlicht in: Die Presse, 20.6.2024
City Cortex by Amorim, Juni – November 2024