Fast vergessen, aber nahezu 400 Jahre kümmerten sich die Chor-Schwestern vom Stift Klosterneuburg um die Bildung der Mädchen – woran jetzt eine eindrückliche Ausstellung im Stift erinnert.
Majestätisch thront das Stift mit seinen beiden frisch renovierten Kirchentürmen über Klosterneuburg. Weit weniger prunkvoll druckt sich dagegen eine zweite, kleine Kirche in das Ensemble: die Frauenkirche St. Magdalena. Einmal im Jahr ist dort Hochbetrieb. Nicht zur Andacht, sondern während der Weinlese. Denn diese Kirche wurde 1722 säkularisiert und dient seit 1738 als Presshaus.
Kaum etwas erinnert hier noch daran, dass es einst das religiöse Zentrum der Augustiner-Chorfrauen waren. 1114 gründeten Markgraf Leopold III. und seine Frau Agnes von Waiblingen das Doppelkloster an der Donau nördlich von Wien. Bis heute lebt hier die Gemeinschaft der Chorherren. Fast vergessen dagegen ist die Gemeinschaft der Chorfrauen, die gut 400 Jahre lang einen großen Einfluss auf das Leben in Klosterneuburg ausübten. Ihnen ist jetzt im Stift die Ausstellung „Wir Schwestern“ gewidmet.
Doppelkloster waren im Mittelalter keine Seltenheit. In die Frauengemeinschaft als Ort des Rückzug und der Bildung traten neben jungen Frauen auch adelige Witwen ein. Sie brachten ihre Güter mit – eine wichtige Grundlage für den Weinbau des Stift Klosterneuburgs, das heute über 108 Hektar Rebfläche verfügt und damit zu den ältesten und größten Weingütern Österreichs zählt. In der Ausstellung sehen wir in einer der eleganten, violett ausgekleideten Vitrinen Dokumente dazu – violett als liturgische Farbe der Stille und Besinnung, der Ausrichtung auf Gott. Da lesen wir im „Traditionscodex“, dass zwischen 1130 und 1250 von 800 Stiftungen ein Drittel von Frauen stammte, die „Land und Leute (Unfreie)“ schenkten. Manche Frauen lebten auch nur temporär im Stift, während ihre Männer abwesend waren. Das Kloster bot Schutz und wirtschaftliche Sicherheit, in einem historischen Rechnungsbuch wird der Speiseplan ersichtlich: mindestens an drei Tagen in der Woche gab es reichlich Fleisch, darunter Kälber, Lammbäuche, aber auch Eichhörnchen oder Gänse. Die beliebtesten Gemüsesorten waren Grün- und Weißkohl. Getrunken wurde Wasser.
Zur Blütezeit im 13. Jahrhundert traten derart viele Frauen in den Ordnen ein, dass 1261 mit dem Frauenstift Sankt Jakob eine Dependance in der Unteren Stadt hinzukam. Zu den Aufgaben der Schwestern gehörte gemäß der Augustinusregel ein „vita activa“, also eine tätige Nächstenliebe. Das umfasste Andachtsmessen, Seelsorge, auch ein Spital für Arme. In Klosterneuburg ist dazu eine der seltenen externen Klosterschulen bezeugt – Bildung war damals Frauen kaum zugänglich.
Bildung für Mädchen
Ab dem Alter von fünf Jahren lebten Mädchen für sechs Jahre im Kloster, um hier Lesen und Schreiben zu lernen, vermutlich auch Musik und Handarbeit. Das Schulgeld war an das Einkommen der Familie angepasst. Die Einkünfte daraus bildeten eine wichtige Einnahmequelle für die täglichen Einkäufe, die im Rechnungsbuch der Chorherren aus dem 14. Jahrhundert akribisch aufgezeichnet sind. Es ist lateinisch verfasst, in der Sprache der Männergemeinschaft.
Ende des Frauenordens
Zeitweise lebten wohl 30 Schwestern permanent im Kloster – zum Vergleich: Heute besteht das Konvent des Stifts aus 37 Brüdern. Gegen Ende des Mittelalters ebbte das Interesse an dem Frauenorden ab. 1568 starb mit Apollonaire Katzler die letzte Meisterin der Schwestern. Das Frauenstift wurde aufgelöst, sämtliche Zeugnisse ihrer Existenz fielen an das Männerstift, die Kirche entweiht und die Schwestern vergessen.
Nicht viel von damals ist noch vorhanden, die Aufarbeitung hat gerade erst begonnen. Deswegen weisen wohl einige Objekte in der Ausstellung über das unmittelbare Leben der Klosterneuburger Chorfrauen hinaus wie der prächtige Krummstab einer Äbtissin aus dem frühen 17. Jahrhundert oder die etwas makabren „Ursula-Köpferl“. Diese mit Edelsteinen und Stickereien versehenen Schädel aus der Schatzkammer des Stifts stammen angeblichen von Gefährtinnen, die der Legende nach im 4. Jahrhundert gemeinsam mit der heiligen Ursula von Heiden ermordet wurden. Gefertigt wurden diese Reliquienschädel von den Chorfrauen von St. Laurenz am Fleischmarkt in Wien. Eine unmittelbare Erfahrung des damaligen Klosterlebens dagegen vermitteln uns die wunderschönen, spirituellen Gesänge in der Tradition der Klosterneuburger Schwestern des 12. Jahrhunderts, die eingesungen von der Choralschola der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien die Räume der Ausstellung verzaubern.
Wir Schwestern, Stift Klosterneuburg, bis 15.11.2024
veröffentlicht in: Die Presse, 3.6.2024