Wie die Essl Sammlung in die Albertina kam

15. Dez. 2020 in Ausstellungen

Daniel Richter, Wow, 2011. Albertina Wien, The Essl Collection. c Bildrecht Wien

Daniel Richter, Wow, 2011. Albertina Wien, The Essl Collection. c Bildrecht Wien

Geplant war dieser Schritt schon lange. Jetzt ist die Sammlung Essl in der Albertina Modern endlich eröffnet. Es ist die zweite Ausstellung in dieser Filiale der Albertina, die am Karlsplatz im Künstlerhaus Wien residiert. Und es ist zugleich der Höhepunkt einer langen und außergewöhnlichen Geschichte dieser ehemaligen Privatsammlung, die zu den größten Europas gehört.
Begonnen hat alles 2014 mit dem Konkurs von Essls Baumarkt-Unternehmen. Die über rund vierzig Jahre aufgebaute Kunstsammlung diente den Gläubigern als Pfand. Der Buchwert der 7421 Objekte lag bei 86 Millionen Euro, geschätzt wurde der Verkaufswert auf 120 Millionen Euro. Ein erstes Angebot ging an die Republik Österreich, die ablehnten. Stattdessen stieg der Bauunternehmer Hans Peter Haselsteiner ein – und damit beginnt ein unternehmerisch bemerkenswert ausgeklügelter Plan, den man wie ein Puzzle zusammensetzen kann. Zunächst wird die SE-Sammlung Essl GmbH gegründet, der auch das Depot des Essl Museums gehört – das wird später noch interessant. Haselsteiner übernimmt 60 Prozent der Sammlung. 40 Prozent bleiben in Essls Familienbesitz. Bald kommen die ersten Werke auf den Markt: 2014 werden 44 Werke bei Christie´s versteigert, der obere Schätzwert liegt damals bei 75 Millionen Euro. In den nächsten Jahren veräußert Haselsteiner weiterhin Werke, die Rede ist von 300 Objekten, mit denen er den für den Sammlungsankauf aufgenommenen Kredit finanziert. Gelagert bleiben die verbliebenen Werke im Depot des Essl Museum in Klosterneuburg. 2016 musste der Museumsbetrieb eingestellt werden. Wo können die Werke jetzt ausgestellt, wie können die Kosten für das Museum bzw. Depot finanziert werden?

Neo Rauch, Revo, Albertina Wien, The Essl Collection. c Bildrecht Wien

Neo Rauch, Revo, Albertina Wien, The Essl Collection. c Bildrecht Wien

Hier beginnt Haselsteiners Plan: Über seine Familienstiftung kauft er den Großteil des Wiener Künstlerhauses. Dieser klassizistische Prachtbau gehörte mehr als 100 Jahre der Künstlervereinigung, die jetzt nur mehr die Sperrminorität von 26 Prozent besitzt. Zugleich beauftragt seine Privatstiftung sein Bauunternehmen für die rund 40 Millionen-teure Sanierung des Hauses. 2017 übergibt er der Albertina den Großteil seiner Essl Sammlung als Leihgabe, die bis 2044 läuft – versehen mit der Vorgabe, im Laufe von 10 Jahren ca. 100 Werke verkaufen zu können. Das geschehe in Absprache mit der Albertina, eine Art „Dublettenverkauf“, wie es bei der Bekanntgabe der Leihgabe genannt wurde. 2017 kauft der Schraubenfabrikant Reinhold Würth 150 Werke – ob das tatsächlich „Dubletten“ waren? Eine weitere Auflage: das öffentliche Präsentieren der Werke. Dafür sieht Haselsteiner von Anfang an das Künstlerhaus vor. Und ja, Sie haben es wahrscheinlich bereits geahnt: Die Kosten dafür trägt die Albertina. Das staatliche Museum ist dort Mieter. In einem Nebensatz erwähnt Schröder einmal, dass die jährlichen Mietkosten deutlich über 1 Millionen Euro liegen. 2018 schenkt das Ehepaar Essl der Albertina ihren Teil, genau 1323 Werke. Gelagert bleiben Essls Schenkung und Haselsteiners Leihgabe im Essl Museum. Mieter ist auch hier die Albertina.

Bill Viola, Mary, 2000. Albertina Wien, The Essl Collection. c Bill Viola

Bill Viola, Mary, 2000. Albertina Wien, The Essl Collection. c Bill Viola

Dieses Jahr folgt der vorerst letzte Schritt: Albertina Modern, wie die Filiale im Künstlerhaus heißt, eröffnet endlich – zwar nicht mit der Essl Sammlung, aber immerhin sind 200 Objekte daraus in die Ausstellung „The Beginning“ eingewoben. Nach diesem Gang durch die österreichische Kunstgeschichte folgt jetzt „The Essl Collection“: Im niedrigen Untergeschoß kuscheln sich rund fünfzig Foto-Werke von Candida Höfer bis Cindy Sherman zusammen, 81 Bilder und Skulpturen füllen die großen Erdgeschoß-Räume. Ein Drittel der Werke stammt aus dem Haselsteiner-Bestand, der Rest aus der Essl-Schenkung. Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder spricht von einer „amerikanischen Art des Sammelns“, die das Ehepaar Essl bei ihrem New York-Aufenthalt Ende der 1950er Jahre kennenlernte: die Vorliebe für große Formate. Vor allem die Malerei-Sammlung ist höchst heterogen, mit einem Schwerpunkt auf österreichischer Kunst plus globalen Erweiterungen, ein bisschen aus China, ein bisschen aus Indien, sogar Kunst von Aboriginis sammelte das Ehepaar Essl. Die geographische, mediale und thematische Vielfalt wollte Schröder zusammen mit Kuratorin Elisabeth Dutz sichtbar machen – Dutz war für die Abwicklung der Sammlungs-Verkäufe zuständig, ist jetzt Kuratorin der Albertina. Dort bereitet sie weiterhin die Verkäufe vor, auf Nachfrage wehrt Schröder das Thema ab: Es gäbe keine Verkäufe mehr. Und wenn, dann nur für zwei Zwecke: Um Zahlungsverpflichtungen nachzukommen und um den Österreich-Schwerpunkt weiter auszubauen.

Gilbert & George, Bloody People, 1997. Albertina Wien, Familiensammlung Haselsteiner. c Gilbert & Georg

Gilbert & George, Bloody People, 1997. Albertina Wien, Familiensammlung Haselsteiner. c Gilbert & Georg

Aber zurück zur Ausstellung: „Es sind die Gegensätze, die diese Sammlung wertvoll machen“, formuliert Schröder seine schöne, positive Sicht auf die Mischung, in der er „die Gegensätze aufeinanderprallen“ lässt. Das klingt radikaler als es ist, meist dominieren formale Nähen: ein Raum vereint Geometrisches von Vasarely, Sarah Morris und Peter Halley, ein anderer „bad painting“ (Schröder) von Daniel Richter, Jonathan Meese und Albert Oehlen. Keine Albertina-Ausstellung ohne Alex Katz, der hier auf Heimo Zobernig trifft. Georg Baselitz, ein anderer Stammkunde des Hauses, erhält einen Soloauftritt. Und „ein Raum schmerzt“ (Schröder), mit Marc Quinns Abu Ghraib-Skulptur, Videos von Bill Viola und einem samtigen Riesen-Stoffkäfer von Gudrun Kampl, der weniger an Kafka als an Kirmes denken lässt – hier sind die Gegensätze tatsächlich schmerzhaft. Humorvoll treffen die beiden halbnackten Päpste von Virgilius Moldovan auf die nackten Gilbert & George in „Bloody People“. Inhaltlich unverständlich ist die Kombination von Nam June Paiks „Duet Memory“, einer Skulptur aus flirrenden Monitoren, mit Anselm Reyles bunt glitzerndem Wandobjekt. Martha Jungwirths Malerei zumindest passt in ihren pastellig-roten Farbtönen formal prima zu Annette Messagers Installation aus bemalten, pneumatischen Objekten.

Annette Messager, Gonfles, Degonles, 2005-2006. Albertina Wien, The Essl Collection. c Annette Messager

Annette Messager, Gonfles, Degonles, 2005-2006. Albertina Wien, The Essl Collection. c Annette Messager

Was eigentlich sagt Sammler Karl-Heinz Essl zu diesen sorglosen Kombinationen seiner früheren Schätze? War Essl bei der Auswahl eingebunden? Nein, aber er habe sich eine Vorbesichtigung erbeten, sei „begeistert“ gewesen und habe viele Anekdoten zu den Werken erzählt, betont Schröder. Für ihn ist das Kapitel abgeschlossen. Für die Albertina beginnt es jetzt erst, die nächsten Ausstellungen mit der Sammlung sind schon geplant.
(The Essl Collection, 7.12.2020-14.3.2021)

Veröffentlicht in: WELT am Sonntag, 13.12.2020