Gerade endete die 59. Biennale Venedig mit dem Rekord von über 800.000 Besuchern. Geschichtsträchtig ist allerdings vor allem die Entscheidung, in der Hauptausstellung nur Kunst von Frauen zu zeigen – eine Setzung, die langsam auch in Auktionshäusern Wirkung zeigt. Im Dorotheum erzielte Carla Accardis abstraktes Ölbild „Animale Immaginario“ von 1988 mit 303.000 Euro den fünffachen Schätzpreis – ein Rekord für die 2014 verstorbene Künstlerin. Und ein starkes Zeichen für einen zunehmend genderausbalancierten Markt. Auch das Kleinformat der japanischen Meisterin Yayoi Kusama ging weit über den Schätzpreis mit 478.000 Euro weg, und Maria Lassnigs kleine Gouache von 1980, geschätzt auf 12.000 bis 18.000, war einem Bieter 51.200 Euro wert. Die Toplose allerdings führen noch immer Werke von Künstlern an: Lucio Fontantas „Concetto Spaziale“ von 1965 mit diesem für den italienischen Avantgardisten typischen Schnitt in der Leinwand erzielte 753.000 Euro, Enrico Castellanis dreieckige Leinwand brachte 328.000 und auch der dritte Höchstpreis ging mit Paolo Scheggi an einen Italiener – der Markt für diese radikalen Abstraktionen ist seit Jahren stabil. Allerding inkludieren die Preise Käufergebühr und Mehrwertsteuer und liegen damit bei den Spitzenlosen häufig unter dem oberen Schätzpreis. Hermann Nitschs „Schüttbild“ von 1995 dagegen, geschätzt auf 80.000 bis 140.000, erzielte 228.000 – was nicht überrascht, handelt es sich doch um ein besonders typisches Werk. Sensationell schloss das Bietergefecht um den 1928 in Argentinien geborenen, in Paris lebenden Op-Art-Künstler Julio Le Parc ab: der Schätzpreis lag bei 18.000-26.000 Euro, erzielt wurden 102.400 Euro – offenbar öffnet sich der Markt zunehmend für weniger bekannte Positionen der Avantgarden.
Für Fotografie und Skulpturen, das konnte auch auf den Kunstmessen heuer beobachtet werden, besteht gerade wenig Nachfrage. Erstaunlich niedrig angesetzt waren die Werke der Jungen Wilden, jener Künstlergruppe, die in den 1980er Jahren von Berlin aus eine freche und von jeglichen akademischen Vorgaben unbelastete Malerei vorlegten und einen einzigartig schnellen Siegeszug feiern konnten. Ihre Werke waren zwischen 10.000 bis 20.000 Euro angesetzt, lediglich zwei Bilder von Helmut Middendorf gingen deutlich über den Schätzpreis hinaus.
Betitelt waren die beiden Abendauktionen mit „Postwar and Contemporary“ – zwei Kategorien, die noch keineswegs fix definiert sind. Auf Nachfrage spricht Martin Böhm, Geschäftsführer Dorotheum, von einer „fließenden Grenze“. Die Frage sei, wo ein Werk verankert ist, erklärt er, weswegen es nicht nur über den Fakt bestimmt werde, ob der Künstler noch lebe. Die Grenze verschiebe sich auch langsam, mittlerweile gehöre die Kunst der 1960er Jahre bereits zu Postwar. In englischer Sprache werden die Kategorien – und übrigens auch die Kataloge – gehalten, da bei den großen Auktionen der überwiegende Anteil der Käufer aus internationalen Kunden bestünde. Dabei gehe der Trend deutlich Richtung Internet, das Dorotheum verzeichne deutlich mehr Bieter auf gefragte Werke. Auch sei das Interesse an dem Online-Katalog in den letzten Jahren mindestens um das Dreifache gestiegen. Auf Repräsentanzen vor Ort verzichten Auktionshäuser trotzdem nicht: Es sei enorm wichtig, die Kunden auch vor Ort zu betreuen, erklärt Böhm im Gespräch. Darum eröffnete das österreichische Haus auch gerade eine neue Repräsentanz in Hamburg, die Katharina zu Sayn-Wittgenstein leitet. Auch Sotheby´s baut übrigens das Netz aus und expandiert auf den asiatischen Markt. Gerade eröffnete ein neues Büro in Tokio, nächstes Jahr sollen Repräsentanzen in Südkorea und Thailand folgen. Besonders Südkorea gilt als Hoffnungsmarkt, laut Artnet seien in der ersten Hälfte von 2022 bereits 410.2 Millionen US-Dollar im Kunstmarkt umgesetzt worden. Bis zum Ende des Jahres soll laut Korean Arts Management Service der letztjährige Rekord von 682.8 Millionen US-Dollar noch übertroffen werden. Sotheby´s gibt einen Kunden-Zuwachs von 50 Prozent in Südkorea an. Wenn auch nicht in vergleichbaren Höhen so können auch österreichische Galerien das steigende Interesse von Südkoreanern an europäischer Kunst bestätigen. In Hong Kong dagegen ging laut Artnet der Umsatz mit Moderne und Zeitgenossen heuer um 38 Prozent zurück, Kalligraphie dagegen nur um 1 Prozent, Antiquitäten und Porzellan stiegen um 78 Prozent. Als Grund werden die Corona-bedingten geschlossenen Grenzen vermutet. Sotheby´s jedenfalls reagiert bereits auf solche Tendenzen und wird Anfang 2023 ein neues Quartier auch für lokale Auktionen in Shanghai eröffnen – von Festland China sollen laut Artnet bereits 20 Prozent der Kunden kommen, Tendenz steigend. Trotz des Siegeszugs des Internets scheint der Kunsthandel doch noch die Präsenz zu benötigen.
veröffentlicht in: Die Presse, 11.12.2022