Forms of Shadow in der Wiener Secession

09. Okt. 2024 in Ausstellungen

Forms of the Shadow, Ausstellungsansicht Adrián Villar Rojas (vorne), Minouk Lim (hinten), Secession 2024, Foto: Iris Ranzinger

Forms of Shadow nennt Kuratorin Sunjung Kim ihre große Schau in der Wiener Secession, mit vornehmlich südkoreanischen Künstler:innen – und einem immer wiederkehrenden Thema: die Demilitarisierte Zone. Die Mauer.

Südkorea gilt gerade als große Hoffnung für den Kunstmarkt. Koreanische Sammler sind offen für Westkunst, immer mehr Galerien eröffnen in Seoul Depandancen. Umgekehrt allerdings sind koreanische Künstler im Westen kaum zu sehen. Das ändert „Forms of Shadow“ in der Wiener Secession jetzt. In sämtlichen Räume bis hinunter zu Klimts Beethovenfries und in die Stadt hinein im Koreanischen Kulturinstitut an der Kärtner Straße stellen 21 großteils südkoreanische Künstler aus.

Es ist jedoch explizit keine Länderschau wie sie 2007 einmal in der Kunsthalle Wien stattfand. „Wir wollten eine politische Ausstellung für die Zeit der Nationalratswahlen“, erklärt Secessions-Präsidentin Ramesch Daha, „als einen Blick von außen“. Daher luden sie die renommierte, vom zahlreichen weltweiten Biennalen bekannte Kuratorin Sunjung Kim ein.

Kim leitet das Privatmuseum Art Sonje Center in Seoul, das weitgehend von dem Firmenkonglomerat Daewoo finanziert wird – sie ist die älteste Tochter des Firmengründers. 2011 startete sie zudem das Real DMZ Project: mit künstlerischen Mitteln werden die (un)sichtbaren Grenzen der Demilitarisierten Zone (DMZ) zwischen Nord- und Südkorea erforscht – eine der am stärksten militarisierten Grenzen der Welt. Nachdem der Süden von US-amerikanischen Truppen besetzt war, der Norden unter Kontrolle der Roten Armee stand, riefen beide Seiten eigene Staaten aus, womit 1950 der Koreakrieg begann – und mit der 1953 eingerichteten Grenze endete.

Forms of the Shadow, Ausstellungsansicht mit Werken von Minouk Lim (links), Adrián Villar Rojas (rechts), Kyungah Ham (hinten), Secession 2024, Foto: Iris Ranzinger

Topographie des Mondes

Diese Grenze verkörpere „den Schatten der Geschichte“, aber auch „das Potential für Widerstandsfähigkeit und Erneuerung“, wie Kim erklärt. Der Ursprung der Teilung Koreas liegt im Kalten Krieg – und darauf referiert auch die riesige, staubgraue Skulptur gleich im Eingang des Hauptraums. Es ist eine eigens für die Ausstellung entstandene Auftragsarbeit des argentinischen Künstlers Adrian Villar Rojas. Er spricht von einer „exakten Topographie des Mondes“ nach der Mondlandung von Apollo 11 1969. Man sieht die Fußspuren der Astronauten, sieht Spuren von Kabeln, die sich in den Boden eingegraben haben.

Politisches Denkmal

Aber wieso liegen hier auch Handschuhe und sogar Gewehre? Die stehen für die geopolitische Spannung, die damals geherrscht habe, erklärt er. Die Skulptur sei der Entwurf für „ein politisches Denkmal zu Space-Kolonialismus“. Gleich dahinter versperren Minouk Lims (Südkorea) Textilien den Blick – gebrauchte Decken von Soldaten, auf denen sie schlafen. Vorne bemalt, hinten mit Spuren der Benutzung.

Forms of the Shadow, Ausstellungsansichten mit Werken von Young In Hong (links), Lee Bul (mittig), Tomoko Yoneda (rechts), Secession 2024, Foto: Iris Ranzinger

Auch Lee Bul verwendet militärisch aufgeladenes Material. Ihr großer Turm besteht aus Stahlträgern, die von einem ehemaligen Wachposten in der DMZ stammen. Kyungah Hams handgestickte Bilder von riesigen Lustern faszinieren zunächst dank ihrer Farbenprächtigkeit vor pechschwarzem Hintergrund. Das angedeutete Pendeln lässt schon ahnen, dass es hier um bedrohliche Spannungen geht – was sich im Entstehungsprozess bestätigt, der Teil des Werkes sei, wie die Künstlerin betont: Sie wollte Kunst als Mittel der Kommunikation nutzen und ließ Bilder von nordkoreanischen Frauen nach fotografischen Vorlagen sticken. Das habe aufwendige Schmugglerwege bedeutet, erzählt sie, die über China und Russland führen, bedroht von Zensur und unzuverlässigen Mittelsmännern.

Forms of the Shadow, Ausstellungsansicht mit Werken von Nilbar Güreş (vorne), Minouk Lim (hinten), Secession 2024, Foto: Iris Ranzinger

Thematisieren die Werke des ersten Teils politische Spannungen und militante Grenzen, geht es im zweiten Teil um den Tod. In Jane Jin Kaisens bildstarkem Video sehen wir einen merkwürdigen Leichenzug mit Masken, Haegue Yangs Installation aus Jalousien im Untergeschoß thematisiere den „sozialen Tod“, wie es im Katalog heißt. Im dritten Teil, der vor allem im Koreanischen Kulturinstitut steht, kommt leise Hoffnung auf.

Hier erleben wir die Rückeroberungsmacht der Natur, in Joon Kims Aufnahmen nicht-menschlicher Geräusche entlang der DMZ oder Jin-me Yoon Video eines Vogelschutzgebiet auf einer renaturierten Industriebrache. Die oft harmlos erscheinenden Bilder, das lernen wir in dieser Ausstellung, sind keineswegs fröhlich-harmonisch, sondern tief vom politischen Kontext Koreas geprägt.

Veröffentlicht in: Die Presse, 2.10.2014

Wiener Secession, Forms of Shadow, 20.9.-17.11.2024