
Francesca Woodman, Face, 1976. Posthumer Silbergelatineabzug, 1997. SAMMLUNG VERBUND, Wien © Woodman Family Foundation / Bildrecht, Wien 2025
Kaum eine Fotografin hat ein derart intensives Werk hinterlassen wie die US-Amerikanerin Francesca Woodman – und sie wird gefeiert dafür. Wenn auch posthum. Jetzt sind 82 ihrer Fotografien, darunter 20 von der Künstlerin selbst entwickelte, in einer kleinen, sehr feinen Schau in der Wiener Albertina zu sehen.
Hauptmotiv ihrer Fotografien ist sie selbst. Schon ihre ersten Versuche sind Selbstportraits, aufgenommen mit einem Selbstauslöser. Mal liegt sie nackt auf der Erde, dann ist sie im Sand eingebuddelt. Es sind keine auffallend innovativen Sujets. Aber irgend etwas fesselt unsere Aufmerksamkeit in diesen kleinen schwarz-weiß-Bildern. Ist es die Einsamkeit, die ihre Posen ausstrahlen? Oder die Fragilität des Körpers? Oder ist es die Tatsache, dass die Fotografin damals gerade einmal dreizehn Jahre alt war?
Francesca Woodmans kurzes Leben
Woodman wurde 1958 in Colorado geboren. Ihr Vater war Maler und Fotograf, ihre Mutter Keramikkünstlerin. Beide unterstützten ihre frühen Ambitionen, verbrachten viel Zeit in Italien, wo ihre Tochter Werke der Kunstgeschichte kennenlernte. Mit 17 Jahren begann sie ihre dreijährige Ausbildung an der Rhode Island School of Design. Anschließend zog sie nach New York. 1981 setzte sie dort ihrem Leben freiwillig ein Ende. Eine fragile Psyche, finanzielle Probleme und eine depressive Phase gelten als die Gründe .

Francesca Woodman, #1 or House #1 or Abandoned House from the Abandoned House series, 1976. Posthumer Silbergelatineabzug, 2005. SAMMLUNG VERBUND, Wien © Woodman Family Foundation / Bildrecht, Wien 2025
Zerbrechlichkeit und Verletzungen
In nur neun Jahre entstand ihr Werk. Zu ihren Lebzeiten wenig bekannt, brachte es ihr posthum den Platz als einer der besten Fotografinnen ein. In der Albertina sind ihre Werke auf hellgrauen Wänden in mal chronologischer, mal thematischer Hängung präsentiert. Schon in den ersten Bildern kündigt sich die Zerbrechlichkeit des jungen Mädchens an, die sie durch Bewegungsunschärfe, durch die Verwischung von Körper und Raum, vor allem aber durch grandiose Kompositionen und gezielte Lichtspiele ins Bild bannt.
In Rhode Island lebte Woodman in einer leerstehenden Fabrik. In der Ausstellung sehen wir auf einem riesigen Foto die junge Frau in strenger, viktorianischer Kleidung in ihrem Zimmer sitzend – welch ein Kontrast zu ihren nackten Selbstinszenierungen! Rundum stapeln sich Bücher und Gewand. Wie anders als dieses Chaos dagegen ihre Fotografien, die sie in den leeren, verlassenen Räumen der Fabrik inszenierte, wo sie hinter Tapetenfetzen verschwindet und nur ihr nackter Bauch zu sehen ist. Oder vor einer Ecke hockt. Mit Spiegeln und Handschuhen, Masken, Glas, später mit Muscheln und während ihres Rom-Aufenthalts mit Fischen erzählen ihre Bilder von einer großen Verletzlichkeit. Vielleicht sogar von Missbrauch, aber davon ist nichts überliefert. In Rom begann sie einen Fisch-Kalender: die Menge der Zitronen stand für die Monate, die Menge der Hechte für die Wochentage.

Francesca Woodman, Untitled, 1978. Posthumer Silbergelatineabzug, 1997-2001. SAMMLUNG VERBUND, Wien © Woodman Family Foundation / Bildrecht, Wien 2025
„Meine innere Geometrie ist ganz falsch“ schrieb Woodman einmal in ihr Tagebuch – ein Gefühl, dass sie in subtilen bildlichen Verzerrungen und Fragmentierungen übersetzte. Aber sie notiert auch formale Überlegungen: „Glas definiert den Raum hübsch, weil es den Umriss der Form zeigt und zugleich den Inhalt enthüllt.“ Im letzten Raum in der Albertina hat Kuratorin Gabriele Schor jene Fotografien gruppiert, die klare Bezüge auf italienische Meister zeigen, an Michelangelos „Jüngstes Gericht“ oder an Botticellis „Geburt der Venus“.
Sammlung Verbund zu Gast in der Albertina
Sämtliche Werke dieser intensiven Ausstellung stammen aus der Sammlung Verbund, die seit der Gründung 2004 von Gabriele Schor geleitet wird. 1999 hatte Schor erstmals eine Ausstellung von Woodman gesehen. Lange vor Woodmans großer Personale im New Yorker Guggenheim 2012 kaufte sie erste Fotografien für die Sammlung an, damals noch für rund 6000 Dollar, wie sie bei einem Ausstellungsrundgang erzählt. Heute liege der Preis bei über 60.000 Dollar. Sie sei von der „geheimnisvollen Inszenierung“ der Fotografien sofort fasziniert gewesen, erinnert sich Schor. Den Weg in die Albertina findet der Sammlungsbestand über eine dreijährige Kooperation des Verbund mit dem Museum. Denn die Vertikale Galerie, wie Schor ihre Ausstellungsräume im Treppenhaus des Firmensitzes Am Hof nannte, ist wegen Umbaus geschlossen und wird wohl nicht mehr eröffnet.
veröffentlicht in: Die Presse, 2.4.2025

Francesca Woodman, From Space² or Space² from the Space² series, 1976. Posthumer Silbergelatineabzug, 1997-99. SAMMLUNG VERBUND, Wien © Woodman Family Foundation / Bildrecht, Wien 2025