Fujiko Nakaya – Meisterin des Nebels im HdK München

13. Jul. 2022 in Ausstellungen

Fujiko Nakaya, Nebel Leben, Haus der Kunst München, 2022. Foto: Andrea Rossetti

Fujiko Nakaya, Nebel Leben, Haus der Kunst München, 2022. Foto: Andrea Rossetti

Es ist ein strahlender, wolkenloser Sonnentag in München. Plötzlich taucht über dem Englischen Garten dichter Nebel auf. Langsam ziehen die Schwaden Richtung Eisbach. Als die Sicht wieder frei wird, erkennen wir den Grund für dieses Naturwunder: An der Ostseite vom Haus der Kunst ist Fujiko Nakayas Nebelwasserfall „Munich Fog (Fogfall)“ angebracht. Alle 10 Minuten sprühen Düsen Wasser über die Terrasse und hüllen die staunenden Menschen in feuchte, dichte Wasserschwaden.
Mit dem Nebelwasserfall hat die 1933 geborene Künstlerin ihre erste große Werkschau außerhalb Japans in den Außenraum expandiert – und das ist weit mehr als nur ein Marketingtrick. Fujiko Nakaya gilt seit 1970 als Meisterin der Nebelskulpturen. Damals war sie Teil der losen Bewegung E.A.T. (Experiments of Art and Technology), die für die Expo´70 im japanischen Osaka den „Pepsi Pavillon“ bauten, an dem über 60 Künstler, Ingenieure und Wissenschaftler beteiligt waren. Innen mit futuristischen Werken gefüllt, umhüllte außen Nakayas Nebelwolke den Pavillon. Seither inszenierte die 1933 geborene Japanerin fast 100 ihrer atmosphärischen Werke, auch in Österreich, 2011 und 2021 beim Höhenrausch in Linz. Ihr Material ist reines Wasser, ihr Werkzeug Wind, Atmosphäre, Temperaturen. Und natürlich Düsen, aus denen das Wasser in die Luft befördert wird – Düsen, die der Physiker Thomas Mee entwickelte und die zugleich an jene Technik erinnern, die ihr Vater Uchikiro Nakaya erfand, um künstliche Schneekristalle zu erzeugen. Sechzig Jahre Nebelskulpturen – ist das nicht etwas redundant? Theoretisch ja. Erlebt man ihre Werke dann aber, ist es jedesmal höchst eindrücklich. Denn Nakaya studiert zunächst tagelang die Räume, wodurch jede Nebelskulpturen anders wird. Für München entwarf sie den Nebelfall außen und im Innenraum eine Nebelwelle: Alle 30 Minuten steigt die verdichtete Masse wie in einer Explosion geballt in der Raummitte in die Höhe, schleicht nach vorne und füllt langsam den gesamten Raum, bis Raum und Besucher in das wunderbaren Farbspiel eingetaucht sind. Wenn dann der letzte Rest des Nebels wieder verschwunden ist, stehen wir vor einem riesigen Wasserbecken, in dem sich die bleiverglaste Decke widerspiegelt. Aber wieso entweichen die Schwaden nicht in die Seitengalerien, die durch keine Türen versperrt sind? Die perfekte Formation verdankt Fujiko Nakaya dem Wind. Genauer dem Luftzug, der durch die weit offenen Türen hinaus zum „Nebelfall“ entsteht und die Wolke so bändigt.

Fujiko Nakaya, Nebel Leben, Haus der Kunst München, 2022. Foto: Andrea Rossetti

Fujiko Nakaya, Nebel Leben, Haus der Kunst München, 2022. Foto: Andrea Rossetti

Im Haus der Kunst erleben wir nicht nur die präzise choreographierten Nebelwunder, sondern lernen auch Nakayas frühe Werke kennen, beginnend mit ihrer Malerei der 1960er Jahre, die an Mikrostrukturen und Wolken erinnern. In den 1970ern experimentiert sie dann mit Video, filmt Minimalbewegungen, wenn sie eine Spinne beim Netzweben und Mönche beim Rezitieren von Sutras beobachtet, oder unzählige Male erfolglos versucht, ein Ei aufzustellen. 1971 ist sie Mitbegründerin des Kollektivs Video Hiroba, eröffnet 1980 Japans erste Videogalerie SCAN und organisiert 1987 ein internationale Videofestival in Tokio. Im oberen Stockwerk ist eine kleine Extraschau mit ihren Zeichnungen, dazu Forschungen ihres berühmten Physiker-Vaters eingerichtet. In dieser Auswahl wird unübersehbar, wie eng Kunst, Wissenschaft und Natur hier verbunden sind – und wie einflussreich Nakaya mit dieser Kombination ist. Man denke nur an Olafur Eliassons Arbeiten mit Naturphänomenen wie die Wasserfälle, oder an Tomas Saraceno, der in seinen Objekten lebendige Spinnen ausstellt, die unter stressigen Bedingungen asymmetrische Netze bauen. Während Eliasson und Saraceno ihr Form- und Materialreservoir permanent weiterentwickeln, konzentriert sich Fujiko Nakaya seit 60 Jahren unbeirrt auf ihre Nebel-Atmosphären. Sie ist nicht an Objekten, sondern am Prozesshaften interessiert. Ihr Ziel ist es, das zeigt diese Werkschau sehr deutlich, den Moment, das Unbestimmte, das Ephemere zu betonen. Mit ihren Inszenierungen möchte sie, dass die Menschen „in den Nebel gehen und ihn fühlen, anstatt ihn zu beobachten“, sagt sie 2012 einmal, und spricht von einer „verkörperten Erfahrung“ – daher auch ihr Ausstellungstitel „Nebel Leben“.

Fujiko Nakaya, Nebel Leben, bis 31.7.2022, Haus der Kunst München

veröffentlicht in: Die Presse, 27.6.2022