Gustav Klimt im Van Gogh Museum, Amsterdam

12. Okt. 2022 in Ausstellungen

Gustav Klimt, Beethoven Frieze (detail), 1901-02, Casein colours, stucco, pencil, applications of various materials (glass, mother-of-pearl, etc.), gold trim on mortar, 216 x 3438 cm, Belvedere, Vienna, permanent loan in the Secession, Vienna

Gustav Klimt, Beethoven Frieze (detail), 1901-02, Casein colours, stucco, pencil, applications of various materials (glass, mother-of-pearl, etc.), gold trim on mortar, 216 x 3438 cm, Belvedere, Vienna, permanent loan in the Secession, Vienna

Ein einziges Mal nur fuhr Gustav Klimt nach Paris. Und das erst 1909. Dabei galt die Stadt an der Seine damals schon lange als Nabel der Avantgardekunst, als Quelle neuester Stile und Kunstströmungen. Aber der 1862 geborene Klimt reiste nicht gerne. Er begnügte sich mit seinem Leben in Wien. Hier entwickelte er seinen ganz eigenen Malerstil, der ihn leicht als Sonderling erscheinen ließ. Einige wie der berühmte Literat Karl Krauss kritisierten seine Bilder damals als allzu dekorativ. Andere ignorierten ihn, weil er sich nicht in die avantgardistischen Moden seiner Zeit einfügte. Aber war Klimt tatsächlich so fern und unbeeinflusst von seinen Kollegen? Dieser Frage geht jetzt eine großartige Schau nach, die in enger Zusammenarbeit zwischen dem Van Gogh Museum in Amsterdam und dem Wiener Belvedere entstand und gerade in Amsterdam eröffnete. Zu sehen sind 24 Bilder und 12 Zeichnungen von Klimt, darunter einige, die seit Jahrzehnten nicht mehr zu sehen waren. Dazu 39 Werke einflussreicher Maler. Die gewagte These dieser Ausstellung: Gustav Klimts Werk ist deutlich inspiriert von einigen Meister der westeuropäischen Moderne, vor allem von Van Gogh.

Gustav Klimt, Water Serpents II, 1904, reworked 1906-07, Oil on canvas, 80 x 145 cm, Private collection, Courtesy of HomeArt

Gustav Klimt, Water Serpents II, 1904, reworked 1906-07, Oil on canvas, 80 x 145 cm, Private collection, Courtesy of HomeArt

Wo aber hatte der reiseunlustige Klimt diese Werke sehen können? Dieser Frage ging das Kuratorenteam der beiden Häuser in einer mehrjährigen Recherche nach. In einer kurzen Notiz in einer Wiener Zeitungen fand die Amsterdamer Kuratorin Lisa Smit etwa Belege dafür, dass Klimt und Van Gogh Weihnachten 1912 gemeinsam in einer Porträtausstellung im „Wiener Volksheim“ ausstellten. Anderes sah Klimt in der Wiener Secession oder in der damals so wichtigen Galerie Miethke. Mit diesen Ergebnissen habe sich das Team dann auf eine „Schatzsuche“ begeben, wie es Kurator Edwin Becker nennt. Denn sie wollten exakt jene Werke mit Klimts Bildern gruppieren, die der Maler damals in Ausstellungen sah. Allerdings waren einige Werke im Zeiten Weltkrieg verloren gegangen, anderes in privaten Sammlung verschwunden. Es sei wie ein Puzzle gewesen, erzählt Becker. Manchmal half der Zufall, etwa die beiläufige Bemerkung während einer exklusiven Abendveranstaltung im Van Gogh-Museum über ein ganz besonderes Meisterwerk, dass sie noch immer suchten: Klimts „Wasserschlangen II“ von 1904. Sie konnten es dann tatsächlich finden, in der HomeArt Sammlung in Hong Kong – und mit viel Überredungskunst sogar ausleihen. Seit 1964 war es nicht mehr öffentlich zu sehen,  jetzt ist das Werk der absolute Höhepunkt dieser großartigen Schau.

Vincent van Gogh, The Pink Orchard, 1888, Oil on canvas, 65 x 81 cm, Van Gogh Museum, Amsterdam (Vincent van Gogh Foundation)

Vincent van Gogh, The Pink Orchard, 1888, Oil on canvas, 65 x 81 cm, Van Gogh Museum, Amsterdam (Vincent van Gogh Foundation)

Anhand dieses Werkes lässt sich überzeugend nachweisen, wie sehr Klimt von dem damals berühmten holländischen Symbolisten Jan Toorop beeinflusst war: Toorops „Drei Bräute“ (1892-93) war in Wien ausgestellt, wo Klimt offenbar von der besonderen Linienkunst in der Darstellung der Haare und den fließenden Gewänder beeindruckt war. Die Figuren scheinen hier im Bildraum zu fliegen – ein Eindruck, den Klimt in seinem berühmten, in der Wiener Secession befindlichen Beethovenfries aufgreift, ganz besonders in dem „Sehnsucht nach Glück“-Teil mit den schwebenden Frauen. Der Fries ist im Van Gogh-Museum Amsterdam nachgebaut, hier zeugen zwei schmale Bilder von Margaret Macdonald Mackintosh von einem weiteren Einfluss: Die britische Künstlerin arbeitete Metallfänden, Glasperlen und Farbbänder in ihre Bilder ein, was Klimt aufgriff. Großartig dann im oberen Stockwerk des Museums die neuen Blicke auf Klimts Landschaftsbilder. Offensichtlich ist die Nähe zwischen Fernand Khnopffs „Stilles Wasser“ (1894) mit Klimts „Ein Morgen am Teich“ (1899): Beidesmal ist der Himmel kaum zu sehen, was eine mysteriöse, düstere Stimmung erzeugt. Van Goghs „Rosa Obstgarten“ (1988) war 1903 in der Wiener Secession ausgestellt und trifft hier auf Klimts „Allee zum Schloß Kammer“ (1912): die Farbgebung, der Pinselduktus und die stilisierten Linien zeigen eine deutliche Nähe. Van Goghs hoher Horizont und pastoser Farbauftrag in den Blumengarten-Bildern findet sich auch in Klimts Gärten. Unübersehbare Inspiration holte sich Klimt auch auf seiner Paris-Reise, wenn er Henri de Toulouse-Lautrec Kompositionen ohne räumliche Perspektive übernimmt, oder die üppigen Muster und hellen Farbtöne von Henri Matisse.
Klimts Stil, das wird hier mit tiefem Respekt gezeigt, ist eine Kombination vieler Inspirationen. Diese Feststellung gilt zwar für nahezu jeden Künstler. Aber nur wenige extrahieren so gezielt einzelne Elemente aus anderen Werken, um daraus eine derartig einzigartige künstlerische Sprache zu entwickeln. Und nur wenige finden dabei zu einer so grandiosen Qualität wie Klimt – weswegen die Ausstellung in Amsterdam auch den Titel „Golden Boy Gustav Klimt“ trägt. Im Frühjahr 2023 werden wir die Ausstellung dann im Belvedere sehen können. Leider reisen Klimts Meisterwerk „Wasserschlangen II“ und drei weitere Leihgaben von HomeArt nicht mit. Die Versicherungssumme überstieg die staatlich gedeckte Höhe von 120 Millionen Euro. Das Van Gogh Museum konnte das Problem mit Sponsoring und Fundraising-Aktionen lösen, das Belvedere verzichtet auf diese Leihgaben. Dafür werden wir in Wien hochkarätige Schätze von Seurat und Cezanne sehen und darin weitere Inspirationsquellen entdecken können.

Van Gogh Museum, Amsterdam, 7.Oktober 2022-8. Januar 2023
Belvedere, Wien, 3.Februar – 29. Mai 2023

veröffentlicht in: Die Presse, 9.10.2022