Wien hat großartige fürstliche Sammlungen mit herausragenden Werken Alter Meister. Die Pracht der Wiener Museen endet allerdings mit dem Beginn der Moderne. Zwar besitzt das MUMOK (Museum Moderner Kunst) eine kleine Auswahl, aber die Helden der Impressionisten fehlen – und genau diese Lücke zu füllen, hat sich Klaus Albrecht Schröder, Direktor der Albertina, als Ziel gesetzt. Grundstock der Albertina ist die umfassende, von Herzog Albert zusammengetragene Sammlung von Zeichnungen und Druckgraphiken, die seither komplettiert wird. Auch dafür lag der Schwerpunkt lange auf Kunst aus Österreich und Deutschland. „Österreich betrachtete Frankreich als Erzfeind“, erklärt Schröder dazu, weswegen aus diesem für die Moderne so wichtigen Land kaum etwas für die Albertina angekauft wurde. Mit der Dauerleihgabe der Stiftung Batliner kam 2007 dann ein erstes Konvolut von Impressionisten in das Haus. Jetzt folgt der nächste Schritt: In einer großartigen Sonderausstellung werden drei Monate lang 25 Batliner-Werke mit 80 Leihgaben aus der Sammlung Hahnloser kombiniert. Das Schweizer Ehepaar konzentrierte sich zwischen 1907 und 1936 auf einige der wichtigsten französischen Künstler der frühen Moderne – Namen, die in Wien gänzlich fehlen: Henri Matisse, Paul Cézanne, Pierre Bonnard, Paul Gauguin. Sie kauften nicht einzelne Werke, sondern ganze Werkgruppen. So ist es jetzt möglich, dass in der Albertina ein ganzer Raum Felix Valloton gewidmet ist, den Schröder „eine Entdeckung“ nennt. In Österreich wenig bekannt ist auch Aristide Maillol, der als „Cézanne der Bildhauer“ gilt. Von einem „
Paarlauf zweier einflussreicher Sammlungen“ spricht Schröder, die noch ergänzt sind mit – wenigen – Papierarbeiten aus eigenen Beständen und weiteren privaten Leihgaben. Die Chronologie der Hängung verläuft dabei nicht als „Erwerbsgeschichte“, sondern zeigt „den kunsthistorischen Entwicklungsweg“, wie Kurator und ehemaliger Direktor des Kunstmuseum Bern Matthias Frehner betont, beginnend mit Portraits des Sammlerpaars von Vallotton, dazu Werke von van Gogh, Edouard Manet und Renoir. Den Abschluss bildet ein Saal mit neun Werken von Ferdinand Hodler.
Zeitgleich eröffnet dazu eine Neuaufstellung im Nachbartrakt: Inmitten der dauerpräsenten Sammlung Batliner ist die Sammlung Othmar Huber zu Gast, mit 15 zentralen Werken von Pablo Picasso, Wassily Kandinsky, aber auch Expressionisten wie Franc Marc und August Macke. Es ist offenbar als längerer Aufenthalt geplant, dessen Ende noch nicht genannt wird.
Das größte Konvolut der Gast-Auftritte stammt aus Schweizer Museen. Solche großzügigen Kooperationen zwischen Institutionen sind eine interessante und weitgehend neue Entwicklung. Lange konzentrierten sich Museen auf Zukäufe, um die Lücken in den Beständen zu füllen. Das ist heute kaum noch möglich, zu selten findet sich die gewünschte, hohe Qualität im Handel und zu hoch sind die Marktpreise. Es müssen neue Wege gefunden werden – und da bietet sich der Leihverkehr an. Für die Albertina ist dieser Weg existentiell. Denn die von Direktor Schröder betriebene Neuausrichtung als Museum der Moderne wäre ohne Leihgaben gar nicht möglich. Umgekehrt profitieren aber auch die Schweizer Museen (Kunstmuseum Bern, Kunsthaus Glarus, Kunst Museum Winterthur) davon. Eine dauerhafte Präsentation aller Schätze ihres Bestands ist nicht praktikabel. Durch diesen Gastauftritt sind jetzt einige ihrer schlummernden Meisterwerke wieder ausgestellt – und zugleich sind die Museen prominent präsent in Wien. Nina Zimmer, Direktorin des Kunstmuseum Bern, spricht von einem „wichtigen Kulturaustausch“ und möchte die Achse Bern – Wien auch in Zukunft stärken: „Unsere Kunstlandschaft ist ganz unterschiedlich gewachsen, umso besser ergänzen wir uns“, betont sie. Die Schweizer Kunstgeschichte ist geprägt von bürgerlichen Sammlungen. Kunsthistoriker Rudolf Koella erwähnt im begleitenden Katalog, dass in der kleinen Stadt Winterthur mit rund 50.000 Einwohnern damals nicht nur das Ehepaar Hahnloser, sondern nahezu jede Familie Werke wichtiger Künstler der Moderne besaß. Fürstliche Sammlungen dagegen fehlen in der Schweiz, und damit auch die Alten Meister – eine Lücke, die in den Museen bald mit Gästen aus den Albertina-Beständen zumindest zeitweise geschlossen werden kann.
(Sammlung Hahnloser, 21.2.-24.4.2020; Sammlung Othmar Huber zu Gast in der Albertina, ab 22.2.20202)
veröffentlicht in: NZZ