
Hans Haacke, Geschenkter Gaul, 2014, Skulpturengarten des Belvedere 21
Foto: Kunst-Dokumentation.com, Manuel Carreon Lopez / Belvedere, Wien
Kaum ein Künstler war Ende des 20. Jahrhunderts so einflussreich wie Hans Haacke. Jetzt zeigt das Belvedere 21 eine Retrospektive des 1936 Geborenen – verträgt sein Werk einen solchen musealen Rückblick?
In den 1990er Jahren war Hans Haacke unser Idol. Wir waren davon überzeugt, dass Kunst sich gesellschaftlich und vor allem politisch engagieren müsse. Nur wenige lösten das so weitreichend ein wie der 1936 in Köln geborene deutsche Künstler, der schon 1965 nach New York gezogen war. Er wollte „das Heilige“ der Kunst zerstören, sagte er einmal.
Ohne Rücksicht auf Sponsoren- oder Kunstmarktwünsche legte er mit seinen Werken den Finger in Wunden. Schon 1971 hatte er für seine Schau im Guggenheim Immobilienspekulationen in New York recherchiert – die wegen heftigen Sponsoren-Interventionen nie eröffnet werden konnte. 1981 zeigte er die Verflechtungen von Kunst und Kapitel anhand des Kölner Sammlers Peter Ludwig auf.

Ausstellungsansicht „Hans Haacke. Retrospektive“, Belvedere 21. Foto: Kunst-Dokumentation.com, Manuel Carreon Lopez / Belvedere, Wien
Hitler in Venedig
An Radikalität kaum zu übertreffen war sein Beitrag im Deutschen Pavillon der 45. Biennale Venedig: Brachial zerbrach er die Bodenplatten. Wir gingen über ein Trümmerfeld, an der Wand stand groß ´Germania´ geschrieben, über dem Eingang platzierte er eine große D-Mark. Den Blick in den Eingang verstellte eine rote Wand mit einem Foto von Hitlers Pavillon-Besuch 1934. So und vielleicht nur so kann Kunst tatsächlich eine gesellschaftliche Relevanz haben, schien es uns. Dreißig Jahre später läuft jetzt eine große Retrospektive Haackes, zunächst in der Frankfurter Schirn Kunsthalle, jetzt in Wien in Belvedere 21. Wie schauen wir heute auf diese Werke, hält unsere schwärmerische Einschätzung?
Freude an Systemen
In dem großen, rundum verglasten Raum flattert gleich zu Beginn ein blaues Tuch über einem Ventilator in der Luft – „Blue Sail“ (1967/2001) ist typisch für Haackes Frühwerk, in dem ihn der „bewusste Verzicht auf Komposition“ interessierte, wie er einmal rückblickend erklärte. Und es ist symptomatisch für diese Retrospektive, die nicht auf Radikalität setzt, sondern einen musealen Zugang wählt.
So reihen sich dicht nebeneinander frühe Reliefdrucke der 1960er Jahre, Arbeiten mit reflektierenden Materialien, mit Plexiglas und Kondensationsprozessen. Wenige Schritte weiter vermischen sich all diese poetisch-experimentellen mit den späteren strengen, politischen Werken. Der Parcours durch sechs Jahrzehnte ist in einer groben Chronologie angeordnet und wirkt in dem Raum mit verstreuten Stellwänden nahezu labyrinthisch.
Das mag sinnvoll sein, um die Bedeutung von Systemen in Haackes Werk zu betonen, die anfangs noch auf physikalische und biologische Prozesse beschränkt waren. Oder auf ökologische Systeme wie der kegelförmige Erdhaufen „Gras Wächst“ (1967-´69), der hinten mit Blick in den Park steht. „Die äußere Form hat keine Relevanz“, wird er auf dem Schild daneben zitiert. Vom „Austausch von Kräften, von Energie und Information“ ist die Rede.

Ausstellungsansicht „Hans Haacke. Retrospektive“, Belvedere 21. Foto: Kunst-Dokumentation.com, Manuel Carreon Lopez / Belvedere, Wien
Aber mit dieser Vermischung verliert sich auch jene Schärfe, die wir damals als Aufbruch erlebten. Kann hier überhaupt noch verstanden werden, wie bahnbrechend sein Fokus auf Systeme war? Vielen galt Kunst damals noch im Sinne der Boheme als ein System außerhalb der Gesellschaft. Haacke aber beginnt ab 1970 konsequent und eindrücklich Kunst als fixen Teil des sozialen Systems zu zeigen.
Die Macht des Faktischen

Ausstellungsansicht „Hans Haacke. Retrospektive“, Belvedere 21. Foto: Kunst-Dokumentation.com, Manuel Carreon Lopez / Belvedere, Wien
Geprägt durch politische Ereignisse wie den Mord an Martin Luther King, Vietnamkrieg, die Pariser 1968er Bewegung ersetzt er die Arbeit mit Wahrnehmungsreizen durch die Macht des Faktischen. Damit wird sein Werk provokant, anklägerisch und brisant, wenn er 1970 etwa in der Ausstellung „Information“ im New Yorker MOMA zwei transparente Boxen für eine Publikumsbefragung aufstellt: „Wäre die Tatsache, dass Gouverneur Rockefeller die Indochina-Politik von Präsident Nixon nicht verurteilt hat, ein Grund, dass Sie im November nicht für ihn gestimmt haben?“ Nur dank des Rückhalts durch den Direktor wurde das Werk trotz Interventionen nicht entfernt. Jetzt stehen die Boxen wie Relikte einer fernen Zeit im Belvedere 21.
Wie wichtig ist der Kontext?
Bedarf es vielleicht gerade bei Haacke der – auch zeitlichen – Entstehungskontexte? Ist die Botschaft von „Nichts zu verzollen“ (1992) mit sieben von der Decke abgehängten Bilderrahmen plus Flaschentrockner heute nicht längst common sense? Ist die Wertsteigerungsgeschichte von Kunst durch wechselnde Eigentümer, die er in seinem – damals zensierten – „Manet-Projekt“ 1974 anhand von Edouard Manets „Spargel-Stilleben“ nachzeichnet, nicht längst allen bekannt und wirkt heute banal?
Können seine Appelle zur Aufarbeitung der – österreichischen – Nazi-Vergangenheit, sein Offenlegen von Machtverhältnissen, finanziellen Verflechtungen oder menschenverachtenden Praktiken wie die „Schutzdiskriminierungen“ von Chemiekonzernen in „Das Recht auf Leben“ (1979) heute noch aufrütteln – oder sind es nur mehr Zeugnissen eines künstlerischen Lebenswerks?

Ausstellungsansicht „Hans Haacke. Retrospektive“, Belvedere 21. Foto: Kunst-Dokumentation.com, Manuel Carreon Lopez / Belvedere, Wien
Unerwartet aktuell könnte Haackes „Hommage an Marcel Broodthaers“ von 1982 gelesen werden, wenn es nur prominenter platziert wäre: Die vergrößerte Aufnahme einer Massendemonstration in Bonn gegen US-Mittelstreckenraketen ist über einen roten Teppich mit dem – von Haacke selbst gemalten – Portrait von Ronald Reagan verbunden, der „hochnäsig auf die Demonstranten hinabblickt“, wie er es in einem Interview beschreibt. Auch in New York hatte es massive Aktionen gegen Atomwaffen gegeben, 1987 wurde die Beseitigung aller nuklearen Raketen in Europa vereinbart – was derzeitig mit dem aktuellen, mehrheitlich begrüßten Wunsch nach einem nuklearen Schutzschirm beendet ist.
Haackes ähnlich aktuelle, 2005 entstandene Installation, die Donald Trumps Leitspruch mit „Make Mar-a-Lago Great Again“ persifliert, ist leider nicht ausgestellt. Von ungebrochener Aktualität ist auch seine altarähnliche Installation „Buhrlesque“ (1985) über den Schweizer Waffenproduzenten Oerlikon-Bührle. Lakonisch erklärt der letzte Satz der Wandtafel, dass Dietrich Bührle „prominenter Stifter des Kunsthaus Zürich“ sei. Die Schlussfolgerung, das gilt für sämtliche Werke von Haacke, müssen die Besucher selber ziehen.
Hans Haacke wird zahm
Aber solche Ermahnungen an die Verflechtung von Kunst und wirklichem Leben verlieren sich in dem Labyrinth zwischen Kondensationssystemen und überraschend netten Arrangements wie sein „Broken R.M….“: Man sieht eine Schneeschaufel a la Duchamp mit zerbrochenem Stil und vergoldetem Rest auf einem Podest darunter, dahinter das Schild „Art & Agent a tout les etages“. Dieses Werk wirkt in der Wiener Retrospektive kaum mehr wie eine Anklage gegen die Vereinnahmung der Kunst durch das Kapital. Selbst Haackes – 2014 für die vierte, leere Säule auf dem Londoner Trafalgar Square entstandenes – bronzenes Pferde-Skelett mit einer Geschenkschleife aus aktuellen Börsenwerten verliert im Skulpturengarten des Belvedere 21 als adrettes Kunstobjekt seine kritische Schärfe.
Hans Haacke, der noch heute als Pionier der „Institutionskritik“ gilt, ist musealisiert. Ist zum Altmeister geworden. Daran ändert auch seine „Besucher*innenbefragung Belvedere 21“ mit 14 digitalen Fragen (2025) nichts, mit denen er nach Wahl- und Konsumverhalten fragt und am Ende sogar das heikle Thema des Gaza-Kriegs anspricht, hier verharmlosend als „Nahostkonflikt“ bezeichnet.
veröffentlicht in: NZZ, 28.3.2025