Die neue Sammlungshängung der Heidi Horten Collection: Eine Besucherabstimmung entschied über die Lieblinge, Markus Schinwald entschied die Präsentation.
Um den Alltag auszusperren, werden für Kunstpräsentationen Ausstellungsräume so neutral wie möglich gestaltet. Die Wände weiß gestrichen, jegliche Erinnerung wie Möbel oder ähnliche, an eine häusliche Umgebung erinnernde Objekte entfernt, beeinflusst dieses White Cube genannte Prinzip seit über 60 Jahren unsere Kunstwahrnehmung in Museen bis Galerien. Jetzt bricht ein Wiener Privatmuseum radikal mit dieser Übereinkunft – und experimentiert gleich auch noch mit dem Auswahlverfahren der gezeigten Werke. Denn die neue Sammlungspräsentation in der Heidi Horten Collection ist maßgeblich von der Meinung der Besucher bestimmt.
Lieblingswerke
Dafür konnten neun Monate lang 50 „Lieblingswerke“ aus den ausgestellten 170 Exemplaren der Sammlung gewählt werden. 21.339 Interessierte nahmen daran teil, 13.337 analog in der Ausstellung, 8.002 digital in sozialen Medien. Die Auswertung ergab, dass 13.7 Prozent bzw. 1097 im Alter zwischen 12-18 Jahren sind, mit 41,1 Prozent der Großteil über 45 Jahre ist. Platz 1 erhielt 949 Stimmen: das kleine Werk „Geschwister“ von Paul Klee (1930). Mit nur 30 Stimmen Unterschied kommt Yves Klein auf Platz 2, gefolgt von René Magritte. Gustav Klimts „Kirche in Unterach am Attersee“ (1916) landete erst auf Platz 4. Weit abgeschlagen auf Platz 11 kommt Andy Warhols „Mickey Mouse“ (1981), die beiden letzten Plätze belegen Robert Rauschenbergs „Dry Run“ (1963) und Keith Harings „Self Portrait“ (1989). Die beiden titelgebenden Künstler Warhol und Basquiat – Platz 22 – sind offenbar gar nicht so beliebt wie Blockbuster nahelegen.
Dieses „Art-Fluence“-Verfahren könne die Menschen an das Haus binden, ist sich Direktorin Agnes Husslein sicher. Denn dadurch werden die Besucher auf Augenhöhe angesprochen, „ihre Meinung hat einen Wert“, wie sie es nennt. Ein Großteil der „Lieblingswerke“ ist jetzt mit weiteren Hauptwerken in der neuen Sammlungspräsentation im Erdgeschoß zu sehen. Dafür lud Husslein den Wiener Künstler Markus Schinwald ein. „Wir wollen weg vom White Cube und ein anderes Ambiente, neue Wege ausprobiert“, erklärt sie die Kooperation.
Tatsächlich entwarf Schinwald eine gewagte Präsentation. Das beginnt bereits am Eingang: Statt gleich in den Hauptraum zu gelangen, verstellt Schinwald jetzt den Blick mit einer Wand, die mit großen, konkaven und konvexen Gucklöchern durchsetzt ist. „Ich möchte damit den Blick brechen“, erklärt er im Gespräch, „und den Raum abstrahieren“. Ein bisschen, gibt er zu, sei es auch ein Selbstzitat. Denn schon zur Eröffnung vor zwei Jahren konnte er den „Tearoom“ mit gestalten, für den er damals bereits ein ähnliches Prinzip entwickelte.
Kampfansage an den White Cube
Seine Gestaltung sei Teil einer „Kampfansage an den White Cube“, erklärt Schinwald. 70 Werke werden in der neuen Sammlungspräsentation gezeigt, einige davon in den sieben eigens auf die Wand aufgesprühten Rahmen. Manche erinnern an die beliebten Fotoecken in Fotoalben, andere an verzierte Bilderrahmen des späten 19., frühen 20. Jahrhunderts. Er möchte damit „eine Intimität in die Ausstellung bringen“, sagt Schinwald. Die Fotoecken sieht er als „Platzhalter“, die Rahmen als „Phantome eines bürgerlichen Interiors“. Herrlich irritierend hängt einmal ein Spiegelobjekt von Michelangelo Pistolette in solch einem biederen Rahmen. Ein andermal ist ein kleiner Marc Rothko zwischen zwei ´Platzhaltern´ eingezwängt – der in solch radikaler Nachbarschaft durchaus seinen Bildraum behaupten kann! Auf einer anderen Wand ist ein Klavier zeichnerisch angedeutet, darüber hängt ein echter Magritte – immerhin seien solche Werke früher hauptsächlich in solch einem Ambiente platziert worden, betont der Künstler. Weitgehend klassisch dagegen füllt der jüngst angekaufte Biennale-Zyklus von Franz West das Kabinett.
Die eigenwillige Aufhebung der Neutralität gilt nur für die Sammlungspräsentation im Erdgeschoß, für die Schinwald auch die meisten Fenster verschwinden lässt – schließlich brauche man den Ausblick auf parkende Autos nicht, sagt er. Aber auch in den beiden Stockwerken darüber ist der Raum massiv verändert. „Light Sound Sense“ wird zwar erst am 19. September eröffnet, aber schon jetzt sei verraten, dass mehrere Boxen im Raum stehen für Werke, die teils eigens für die Ausstellungen entstanden.
veröffentlicht in: Die Presse, 5.9.2024
Heidi Horten Collection, Wien