
Tania Candiani, Subterra, 2025. 3. Helsinki Biennial 8.6.–21.9.2025, HAM Helsinki Art
Museum. Photo: HAM / Helsinki Biennial / Sonja Hyytiäinen
Gerade eröffnete die 3. Helsinki Biennale – aber warum finanziert die finnische Hauptstadt die Helsinki Biennale so großzügig?
Knapp zwanzig Minuten braucht die Fähre von Helsinkis Hafen zur Insel Vaalissari. Die hohen Backsteinhäuser an der einfachen Anlegestelle sind von Pflanzen überwuchert. Schnell wird klar: Dieser Ort ist verlassen! Die Fenster der wenigen Häuser verbarrikadiert, die Wege zugewachsen, umgefallene Bäume völlig vermoost. Es ist kaum vorstellbar, dass hier in den 1950er Jahren noch rund 200 Menschen lebten. Sogar eine Schule gab es. 1980 verließen die letzten Zivilisten Vaalissari, die Insel wurde zum militärischen Sperrgebiet. 2008 zog das Militär ab. Acht Jahre lang völlig abgeschieden, begann 2016 die langsame Wiedereröffnung. 2021 erhielt Vaalisaari dann eine neue Bestimmung: Alle zwei Jahre verwandelt die Helsinki Biennale die Insel in ein einzigartiges Freilichtmuseum.

Laura Põld Külmking. Resting Within Puddles and Branches, 2025. 3. Helsinki Biennial 8.6.–21.9.2025, Vallisaari Island. Photo HAM, Helsinki Biennial, Maija Toivanen
Gerade eröffnete die dritte Ausgabe. Knapp zwei Stunden dauert der Parcours über die Insel. 27 Werke sind über die Insel verteilt, manche stehen am Rand der behutsam freigelegten Wege, andere führen in Bunker, die unter einer dichten Grasdecke versteckt sind. Eines dieser düsteren Gebäude wählte Tania Candiani für ihre magisch leuchtenden Glasobjekte, kleine Fantasie-Tiere und -Pflanzen. An der Decke lassen sie ein Farbspiel entstehen, dass an Nordlichter erinnert – eine intensive Stimmungsveränderung in dem muffigen, ehemaligen Lagerraum. Direkt ans Wasser platziert Sara Bjarland ihre sieben Delphine. Es sind Bronzeabgüsse von diesen aufblasbaren Gummidingern, mit denen Kinder gerne im Wasser spielen. Die Luft ist entwichen, deformiert liegen sie wie gestrandete Wesen auf den großen, blanken Steinen.

Sara Bjarland, 3. Helsinki Biennial 2025, Vallisaari, photo: ©HAM/Helsinki Biennial/Sonja Hyytiäinen
Das Duo nabteeri bedeckt eine Barracke mit Tausenden von – gefundenen – Ästen, die wie eine Perrücke für das alte Haus erscheinen. Wie in so vielen Beiträgen dieser Biennale thematisieren solche Werke unser Verhältnis zu „more than human life“. Auf deutsch klingt es etwas holprig: „mehr als menschliches Leben“. Mit der Formulierung soll die Zweiteilung Mensch und Natur aufgehoben werden, um eine respektvolle Koexistenz mit allen Lebewesen anzuregen. Schon seit einiger Zeit kreist nahezu jede Biennale und jede trendige Kunstausstellung darum. Hier auf der zugewucherten Insel erhält es eine überzeugende Stimmigkeit. „Shelter“ lautet der Biennale Titel. Und man weiß kaum, wer hier wem den Zufluchtsort gewährt.

Olafur Eliasson, Viewing Machine, 3. Helsinki Biennial, Vallisaari kuva/photo: ©HAM/Maija Toivanen
Organisiert wird die Biennale vom Helsinki Art Museum (HAM) mit dem stolzen Budget von rund 4.2 Millionen Euro. Rund 15 Prozent kämen aus privaten Stiftungen, der Rest seien öffentliche Gelder, erklärt HAM-Direktorin Arja Miller. Zu den Werken der 37 Künstler an den drei Standorten HAM, auf der Prachtallee Esplanadi und vor allem auf der Insel erwarten sie weit über 100.000 Besucher. Ein Teil werden Touristen sein. 2020 führte Helsinki eine Studie zur internationalen Sichtbarkeit der Stadt durch. Das Ergebnis zeigte einen überraschend niedrigen Bekanntheitsgrad der Kultur in der Hauptstadt, obwohl es laut offiziellen Angaben über 80 Museen gibt. 2021 folgte eine Wirkungsstudie zur ersten Helsinki Biennale, die der Stadt eine deutliche Verbesserung des internationalen Image bescheinigte.
Der andere Adressat ist die eigene Bevölkerung. In Helsinki gilt „Kultuuria kaikille“, ´Kultur für alle´. Schon 2016 wurde der Posten eines Chief Design Officers eingerichtet, den Hanna Harris seit 2020 innehat. Ihre Aufgabe ist die strategische Eingliederung von Design in die Stadtentwicklung. Auch Kunst soll Teil des Alltags werden. Es gäbe bereits 4000 Biennale-Voranmeldungen von Schulen, erzählt Miller stolz.
Ein ganz besonderes Projekt gilt dem jüngsten Nachwuchs: Seit 2020 nehmen Museen Neugeborene als „Kulturpatenkinder“ auf, erzählt Kieran Long, Direktor des privat finanzierten Amos Rex. Das Haus mit dem unterirdischen Ausstellungsraum und den markanten, oberirdischen Betonkuppeln liegt mitten im Herzen der Stadt. Dank eines Stiftungsvermögen von 850 Millionen Euro können sie ihr Programm sehr experimentell und zunehmend international anlegen, betont Long und erzählt von der Zusammenarbeit mit dem japanischen Kollektiv Team Lab, die 2018 zur Eröffnung des Museums fünf immersive digitale Kunstwerke in den Raum zauberten. „Das junge Publikum von damals kommt bis heute wieder“, erzählt er.
Letztes Jahr nahm Amos Rex rund 60 Patenkinder auf, insgesamt wurden alle 8000 Neugeborene in Helsinki zu dem Projekt angemeldet. Die symbolische Patenschaft umfasst kostenfreie Veranstaltungen für die Kinder und deren Familie bis zum Ende der Schulzeit. Kostenfrei ist auch der Besuch der Biennale. Denn in Helsinki glauben alle an die „verändernde Macht von Kunst“, wie Miller es zusammenfasst.
verwuselt veröffentlicht in: Die Presse, 10.7.2025
3. Helsinki Biennale 8.6.-21.9.2025
