Interview mit Maria Lind, 3. Art Encounters Biennial

24. Sep. 2019 in Biennalen, Interview

Installationsansicht des Corneliu Miklosi Public Transport Museum, Art Encounters Biennial 2019. Vorne: Bella Rune; rechts: Agnieszka Polska, The Wayward Pigeon, 2019. Foto Adrian Câtu

Installationsansicht des Corneliu Miklosi Public Transport Museum, Art Encounters Biennial 2019. Vorne: Bella Rune; rechts: Agnieszka Polska, The Wayward Pigeon, 2019. Foto Adrian Câtu

Zur 3. Art Encounters Biennial in Timisoara, Rumänien, wurde Maria Lind (Schweden) zusammen mit Anca Rujoiu (Rumänien) als Kuratorinnen eingeladen. Unter dem Titel „The Whole and its parts“ führen sie die Besucher zu Werken von 60 KünstlerInnen in 30 Räumen quer durch die Stadt.
SBV: Waren Sie sehr verwundert, zur Biennale in Rumänien eingeladen zu werden?
Maria Lind: Nicht wirklich, denn ich habe seit den frühen 1980er Jahren viel Zeit in Osteuropa verbracht. Nach Rumänien kam ich erstmals Anfang der 2000er Jahre, für die – heute nicht mehr existierende – Periferic Biennale in Iasi.
SBV: Sind die Kontexte Iasi und Timisoara vergleichbar?
Maria Lind: Es sind sehr verschiedene Regionen. Nach meinen Eindrücken erscheint mir Timisoara vielschichtiger als Iasi im Nordosten Rumäniens, mit einer historisch bewegten Vergangenheit, in der die Grenzen immer wieder neu gezogen wurden und die Herrscher wechselten.

Zentrum von Timisoara // SBV

Zentrum von Timisoara // SBV

SBV: Die Zeiten unter den Römern, dann Awaren, die Phase des Wiederaufbaus durch deutsche Siedler nach der Zerstörung durch die Tataren, im 16./17. Jahrhundert als Teil des Osmanischen Reichs, ab 1716 unter österreichisch-ungarischer Herrschaft und zuletzt als Teil der Sowjetunion – all das spiegelt sich hier ja in der Architektur wider.
Maria Lind: Ja, und auch in den vielen Sprachen, die hier gesprochen werden. Das macht Timisoara kosmopolitisch.
SBV: Haben Sie vorab in der lokalen Kunstszene recherchiert?
Maria Lind: Ja, zusammen mit meiner Co-Kuratorin Anca Rujoiu. Sie ist aus Bukarest und kennt Timisoara gut. Anca übernahm die meisten Reisen durch das Land, manche KünstlerInnen haben wir dann gemeinsam besucht.
SBV: Kannten Sie sich vorher?
Maria Lind: Es war ein – erfolgreiches – blind date, organisiert von der Art Encounters Stiftung.
SBV: Als Thema der Biennale haben Sie zusammen das Bild der Winde, die durch die Räume wehen, beschlossen?
Maria Lind: Eigentlich gibt es kein dezidiertes Thema der Biennale. Es gibt eine Methode, einen Denkansatz: Wir haben mit 20 künstlerischen Positionen begonnen, die wir beide großartig, stark, wichtig fanden. In diesen Werken haben wir bestimmte Muster ausgemacht, wie etwa Do It Yourself, Resilienz, Agilität, Jugend, Indigene Probleme bzw. Problemlösungen, Selbstorganisation und Grenzen. Diese Muster nennen wir Winde, die wir mit bestehenden Werken weiterer 40 Künstler herausgearbeitet haben. Ihre Werke betonen, verkomplizieren und problematisieren die Winde. Aber es sind keine Themen, sondern eher etwas, was man fühlt – so wie Winde.
SBV: Woher stammt die Idee der Winde?
Maria Lind: Die Winde kommen von der Schriftstellerin Herta Müller, die in der Nähe von Timisoara geboren wurde und zur deutschen Minderheit dort gehörte. In ihren poetischen Werken kommt den Winden eine große Bedeutung zu, manchmal bringen sie Gutes, manchmal Schlechtes, sind mal ein Vergnügen, dann problemhaft.
SBV: Wehen die Winde in den 30 Räumen durcheinander?

Maria Therezia Bastion, Building D // SBV

Maria Therezia Bastion, Building D // SBV

Maria Lind: In manchen Orten ja, aber in den meisten sind es einzelne Winde. In der Bastion ist es das Muster ´Grenzen und Übersetzungen´, in der Art Encounter Foundation sind es die ´Grenzen des Sichtbaren´. Im Transport Museum in der Remise ist es eine Mischung und im Youth Hotel, dieser beeindruckenden Architektur der 1970er Jahre, ist es ´Unsicherheit´.
SBV: Unter welchen Aspekten haben Sie die Orte ausgewählt?
Maria Lind: Wir wollten keine exotischen postindustriellen Hallen, keine Entdeckungen machen. Wir haben nach Räumen geschaut, die es bereits gibt, die bereits kulturell benutzt werden oder die ein Potential haben, das noch nicht aktiviert wurde.
SBV: Biennalen stehen oft unter bedeutungsschweren Themen, die von den Kunstwerken dann kaum eingelöst werden können – ist Ihre Entscheidung, von Winden zu sprechen, eine Konsequenz dieser Erfahrungen?
Maria Lind: Ganz sicher! Ich arbeite manchmal mit einzelnen Strängen, aber eigentlich nie mit thematischen Konzepten. Konzeptuelle Ausstellungen sind kaum machbar.

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