Katharina Grosse gehört zu den bekanntesten Maler:innen unserer Zeit – und hat jetzt die Pfeilerhalle in der Albertina übernommen.
Unsere Welt ist voller Farben. Sie können uns beruhigen, uns warnen, uns leiten – oder überwältigen. Genau das passiert gerade in der Pfeilerhalle in der Albertina. Denn hier hat Katharina Grosse den Raum in ein begehbares Bild verwandelt. Die 1971 geborene deutsche Malerin ist bekannt für ihre expansiven Farbwelten, die im Hamburger Bahnhof in Berlin vor drei Jahren weit über die Ausstellungshalle in den Außenraum führten, die in Philadelphia das Gelände neben Bahngleisen oder an der Rockaway Beach ein Strandhaus mit Farbe überzogen. Ein gemaltes Bild, sagte sie einmal, könne überall landen. Auch in der Albertina nimmt sie den gesamten Raum in Beschlag, wagt aber ein neues Experiment: Die Farbe ist nicht quer durch den Raum direkt aufgetragen. Stattdessen ließ sie die Wände mit einer Plastikfolie überziehen, die an den Enden zusammengeknubbelt herunterhängt. Das bricht die Erhabenheit des historischen Raums, entmachtet die Säulen und erzeugt eine beiläufige Atmosphäre, als befände sich die Halle im Stadium des Übergangs. Damit öffnet sie den Raum für ihre Malerei.
Vierzehn Tage arbeitete Grosse mit ihrem Team hier, trug mit dem Airless-Sprühsystem die sechs Grundfarben Schicht für Schicht auf. Sie spricht von Kollisionen, Lücken, Fehlstellen und Räumen, die wir entdecken können. Im Sprühen mit der Lanze ignoriert sie die Begrenzung durch die Folie, Farbspuren wuchern darüber hinaus auf den Boden. Manche dieser Folien sind so stark gezurrt, dass sich horizontale Schraffuren ergeben – das erinnere sie an Wasser oder Glas, erklärt Grosse bei einem Rundgang durch ihre Ausstellung. Darauf sind Leinwände befestigt, auf denen die Farben geballt zusammenfinden – manchmal als diffuse Flächen, manchmal lineare, an Sterne erinnernde Strukturen. Es wirkt wie ein Band, das den Raum einschnürt, aus dem die Farben ausbrechen. In den Raum einbrechen.
Was kann ein Bild?
Aber ist die Folie nicht doch eine Begrenzung wie beim Tafelbild der Rahmen, die Grosse in ihrem Werk ja überwunden hat? Nein, denn bei dieser Kombination von Folie und Leinwand interessiere sie die Fragen „wo sitzt ein Bild?“ und „wie transformiert es sich in die Zonen daneben?“ Dabei gehe es um Raumverdichtungen, Raumausdehnungen – wie beim Fußball. Die Folie definiere keine Grenzen, sondern sei eine Trennschicht. Im unteren Raum hängt ein riesiges Tuch als gewaltiger Knoten von der Decke. Es ist eine Wiederverwertung einer früheren Arbeit aus Helsinki, teilweise neu besprüht und neu formiert. Auch hier gilt ihre zentrale Frage: „Was kann ein Bild? Wie kann es in unser Leben hineinragen?“ Denn ein Bild muss keineswegs auf ein Rechteck begrenzt werden, es kann Räume ein- und „andere mentale Formen“, wie sie es nennt, annehmen.
Immer wieder betont Katharina Grosse dabei, dass ihre Malerei keine Geschichten erzählt, die Farben keine Bedeutungen erzeugen – es sei ein „Trubel von Farben“. Aber tragen Farben nicht per se Bedeutungen in sich? Farben sind in unserer Wahrnehmung stark kodiert, braune Töne ordnen wir der Erde zu, Lichtfarben dem Himmel, Grüntöne der Mitte. Helleres erfahren wir als nach oben strebend, dunkleren nach unten – Farben prägen unsere Raumwahrnehmung und steuern unser Verhalten. Auch jenes der Malerin: Der Boden der Pfeilerhalle sei ihr zu dunkel gewesen, weswegen sie alles mit weißer Folie überklebt ließ – und so einen „Modellcharakter“ erzeuge. Tatsächlich folgt unsere Wahrnehmung von Formen und Bewegungen den Farben – und nicht umgekehrt. Formeigenschaften lesen wir aus den Umgrenzungslinien der Farbfläche, dynamische Veränderungen von Farbflächen erleben wir als Bewegung. Farben sind Signale, die uns Bedeutungen vermitteln und unser Wohl- oder Unwohlbefinden prägen.
Von dieser Kraft lebt auch Grosses Raummalerei, am intensivsten im hinteren Raum. Viel Rot, Orange, Gelb dominieren hier. Warme Farben, die uns doch arg bedrängen. „Die Farben entwickeln einen auf den Körper ausübenden Eindruck“, erklärt sie, „die Farben kommen uns entgegen und verengen den Raum“. Und fasst zusammen: „Zurückhaltung ist nicht Thema meiner Malerei.“
Grosses expansive Malerei ist meist ein Gemälde auf Zeit. Auch in der Albertina werden am Ende der Ausstellungen die Folien entsorgt. Aber einige der Leinwände kommen zurück ins Atelier und werden überarbeitet, andere finden vielleicht ein zweites Leben in einer Galerie. Und manche hat sie schon jetzt wieder abgenommen, leere weiße Flächen erinnern daran. Denn auch das gehört zu dem, was sie einen „Territorialkampf zwischen den Farben“ nennt.
Albertina, Katharina Grosse, 1.11.2023-1.4.2024
veröffentlicht in: Die Presse, 3.11.2023