Lange wurde Kazuko Miyamoto übersehen – jetzt wird die US-japanische Künstlerin endlich als wichtige Minimalistin und Feminismus-Vorreiterin wiederentdeckt. Nach Neapel jetzt in Wien im Belvedere 21 zu sehen.
Während eines Feueralarms Ende der 1960er Jahre müssen alle Bewohner das Haus in der Lower Eastside in Manhattan verlassen. Darunter ist auch die junge Japanerin Kazuko Miyamoto.
Sie kam 1964 in die USA, um Kunst zu studieren, erst nach Philadelphia, bald nach New York. Während des Alarms stellt sie fest, dass ihre Mitbewohner im Haus einige der spannendsten Künstler New Yorks sind. Dazu zählt auch Sol LeWitt, Meister des Minimalismus, jener Formensprache, die auf geometrischen Formen in äußerster Reduktion basiert. Bald wird sie seine Assistentin und findet in der engen Zusammenarbeit mit dem 40 Jahre älteren Künstler ihren eigenen künstlerischen Weg.
Dreidimensionale Formationen
Ist Sol LeWitt berühmt für seine starken Farben, die er großflächig direkt auf Wände aufträgt, entscheidet sich Miyamoto allerdings für nahezu das Gegenteil. Denn ihr Material sind Baumwollfäden und Nägel. Damit experimentiert sie in ihrem Atelier, lässt ihre Verspannungen Anfangs den Fugen der Ziegel folgen. Später entwickelt sie dreidimensionale Formationen, die in den Raum hinein ragen, manchmal betont sie auch mit Öffnungen einen Zwischenraum. Immer sind die Verspannungen in den Weißtönen so zurückhaltend, dass ihre Installationen wie eine Erinnerung, eine Fata Morgana, eine fast unwirkliche Erscheinung wirken.
Weitaus spielerischer und poetischer als die strengen Formationen der männlichen Minimalisten, dienen ihr die Muster, Geometrien und Gitterstrukturen offenbar nur als Ausgangspunkt für eine Kunst, die die perfekte Balance zwischen japanischer und US-amerikanischer Kultur findet.
MOMA-Kantine und eigene Galerie
Und trotzdem kennt die Künstlerin heute kaum jemand. Zwar hatte sie in den 1970er Jahren mehrere Galerieausstellungen, durfte 1973 eine Arbeit in der Mensa des MOMA installieren, gründete 1986 ihre eigene Galerie Onetwentyseven in New York. Aber der internationale Erfolg blieb aus – woran auch ihre Personale 1987 in der Neuen Galerie in Linz nichts änderte. Damals war sie für die Ausführung eines Sol LeWitt-Werks nach Linz gekommen, woran sich die spätere Einladung an das Museum anschloss – und übrigens auch einige Ankäufe für die Sammlung.
Retrospektiven von Kazuko Miyamoto in Europa
Jetzt ist Miyamoto 82 Jahre alt – und endlich scheint die Zeit reif für ihr Werk. Letztes Jahr fand eine hervorragende Retrospektive im MADRE, dem Museum für zeitgenössische Kunst in Neapel statt. Jetzt widmet das Belvedere 21 der Künstlerin eine großartige, umfassende Ausstellung. 120 Exponaten von den späten 1960ern bis zu den 2010er Jahren sind zu sehen, ihre frühen Tafelbilder, ihre Zeichnungen, der Übergang vom Acrylbild mit Nägeln zu den Verspannungen; ihre skulpturalen Werke im öffentlichen Raum in den 1980er Jahren – in einer Zeit, in der New York die Hauptstadt der Kunstwelt war.
Allerdings passten damals Miyamotos freistehenden Konstruktionen aus Zweigen und bunten Bändern nicht in die aalglatte Ästhetik der Appropriation Art. Auch ihre Verbindungen von Baumkronen und Dächern blieben damals von den Torwächtern der Kunstkritik nahezu unbeachtet. Ein Raum im 21er Haus ist ihren Werken mit dem traditionellen japanischen Kleidungsstück Kimono gewidmet, das Miyamoto immer wieder variiert: Mal übergroß von der Decke hängend, aus Zeitungspapier gestaltet oder eine New Yorker Obdachlosenstation darauf gezeichnet. Eines der Werke kommt als Leihgabe aus Linz.
Hier hängt auch ein traditioneller Regen- oder Sonnenschirm in einer ihrer neuesten Installationen. Das Konstruktionsprinzip des Schirms ist vielleicht eine Inspirationen für Miyamotos Verspannungen. Sicherlich ist es aber ein offensichtliches Element für ihr zentrales künstlerisches Prinzip: die Vermischung kultureller Einflüsse aus Japan und US-Amerika, die sie in ihren Kunstwerken durch rhythmische Wiederholungen, Überschneidungen, Verdichtungen und manchmal auch durch bewusste Leerstellen vereinigt. Das entsprach in den 1980ern eben so wenig dem Zeitgeist wie ihre feministischen, körperbetonten Performances. Heute dagegen sind ihre Werke beeindruckend aktuell.
Denn Miyamoto ist nicht nur eine viel zu lange übersehene, wichtige Vertreterin des Minimalismus. Sie vermag zudem, mit den Prinzipien dieses Ismus´ persönliche bis zu politischen Themen wie Weiblichkeit, soziale Ungleichheit oder ethnische Zugehörigkeit zu verweben – und dies ohne den heute so gängigen moralischen Zeigefinger. Sol LeWitt übrigens erkannte ihre Qualität schon sehr früh, einige der spannendsten Leihgaben stammen aus seiner Sammlung.
veröffentlicht in: Die Presse, 13.9.2024
Belvedere 21, 12.9.2024-2.3.2025