Lois Weinberger 1947-2020: Du wirst uns fehlen

25. Apr. 2020 in News

Lois Weinberger in seinem Gebiet in Gars. Foto Paris Tsitsos, 2017

Lois Weinberger in seinem Gebiet in Gars. Foto Paris Tsitsos, 2017

In der Nacht vom 20. auf den 21. April verstarb Lois Weinberger plötzlich im Alter von 72 Jahren. Mit ihm verliert Österreich einen der außergewöhnlichsten Künstler. Und einen Menschen, der fröhlich, verschmitzt und voller Humor unermüdlich durch Straßen und Wälder wanderte, voller Achtsamkeit auf das Übersehene. Unvergessliche seine Liebe zu all den kleinen Dingen, die der Kamp nach einem Hochwasser auf dem Grundstück vor seinem Atelier in Gars liegen ließ. Voller Begeisterung für die Pflanzen, die angeflogen waren, führte er uns herum, voller Freude über die Fundstücke, die er für seine Skulpturen aufsammelte. Nichts war ihm wertlos, alles öffnete Denk- und Freiräume.

Lois Weinberger, 2018, c-print, Courtesy Galerie Krinzinger und Künstler, Foto Atelier Lois Weinberger

Lois Weinberger, 2018, c-print, Courtesy Galerie Krinzinger und Künstler, Foto Atelier Lois Weinberger

Sein Leben lang war Natur seine Welt. Nicht die Kultivierte, sondern das Übersehene, die Peripherie, die Spontanvegetation. Daraus entwickelte Weinberger ein Werk, dass so bahnbrechend wie ungewöhnlich ist. Dabei kam der 1947 in Stams geborene Tiroler erst spät zur Kunst, absolvierte zunächst eine Schlosser- und Kunstschmiedlehre, besuchte dann die Wiener Kunstschule. Aber schon in den 1970er Jahren praktizierte er das, was er später seine „Forschungen“ nannte. So übermalte er einen Schulaufsatz seiner Schwester mit Rotstiften, um es „noch röter zu machen“ – eine poetisch-subversive ad absurdum-Führung einer autoritären Markierung, wie er es später immer wieder praktizierte. 1977 schmückte er einen großen Kirchbaum mit Plastikbahnen. Sein „Baumfest“ sah er in der Tradition der Volkskunst – was so typisch war für sein Denken, dass immer auf wunderbar subtile Art hochpolitische Diskurse in seine Kunst einband. Als er 1988 Stams verließ, legte er in Wien einen Garten an. Dort pflanzte er Ruderale, also Unkräuter, die er am elterlichen Hof ausreißen musste. In Salzburg brach er einmal ein Stück Asphalt auf, um dort Brennessel, Ackermelde und anderer Spontanvegetation freien Wuchs zu lassen. Zur documenta X 1997 bepflanzte er ein stillgelegtes Bahngleis am Kasseler Kulturbahnhof mit Pflanzen aus dem Balkan – es war der meistbeachtete, bis heute existierende Beitrag. Zur letzten documenta 2017, an der er in Athen und Kassel teilnahm, traf ich ihn neben dem Gleis. Er begutachtete seine Disteln und riss manch andere Pflanze aus – ein bisschen Ordnung ließ er doch zu. „Präzise Achtlosigkeit“ schrieb er einmal in einem seiner Gedichte über den Garten – ein perfektes Motto für seinen Weg mit der Natur.
4_weinberger1994Immer galt Weinbergers Interesse den oft als invasiv geschriebenen Ruderalen, wie Unkräuter auch genannt werden. Er verstand diese Pflanzen immer auch politisch, als Bild für Migration. Ab wann ist eine Pflanze heimisch, wo beginnt das Fremdsein, wo verlaufen Grenzen? In Innsbruck legte er 1998 einen „Garten“ innerhalb einer geschlossenen Einfriedung an: eingeschlossen und zugleich geschützt, begrenzt und wild, wuchert es hier seither, zugleich selbstverständlich und in ihrer Unberührtheit exotisch. Es erinnert mich an seine frühe Übermalung in dem Schulheft: die Übersteigerung des autoritären Zauns in sein Gegenteil, in den Schutz vor Ordnungswillen. Und es erinnert an die Freude an vermeintlich Wertlosem wie beim „Baumfest“. Nicht das Kultivierte, sondern die „unsichtbare Natur“, die „Natur des Geistes“, interessiere ihn, hatte er mir anlässlich seiner großen Retrospektive im französischen Saint-Etienne 2011 erklärt. Dort waren auch seine Stadtpläne zu sehen. Die Straßenlinien tragen Namen von Pflanzen: Leberblume, Pfingstrose, Königskerze. Manche dieser Karten tragen auch nur den einen Teil der Namen, Schuh, Kerze, Fuß, Nord – „Die Worte geben die Bilder frei“ schrieb er dazu einmal in einem seiner großartigen Gedichte.

Lois Weinberger, Foto Paris Tsitsos

Lois Weinberger, Foto Paris Tsitsos

Darin findet sich auch die Zeile „Eins mit anderem verstricken“ – es sind Worte, die wir wie ein Motto seiner Kunst lesen können. „Sich in einer enormen Wachsamkeit auf noch ferne Ränder hin zu befinden“ heißt es weiter – jetzt ist Lois Weinberger auf dem Weg zu dem wohl fernsten Rand. Er wird uns hier fehlen.