Mining Photography im Kunsthaus Wien: Ist Fotografieren böse?

16. Mrz. 2023 in Ausstellungen

Lake_Bed, Developing Process, 2013, C Optics Division of the Metabolic Studio. Mining Photography Kunsthaus Wien.

Wir sollen nicht mehr in den Urlaub fliegen, hören wir so oft. Die ökologischen Kosten seien zu hoch. Jetzt wird dieser Vorwurf mit einer Ausstellung im Kunsthaus Wien noch verschärft: Unter dem Titel Mining Photography lernen wir schonungslos, dass nicht nur die Reise, sondern auch die vielen Selfies vor dem Sonnenuntergang und Erinnerungsfotografien vom Strand böse sind. Noch unter der vorherigen Direktorin Bettina Leidl konzipiert, wird dort der ökologische Fußabdruck der Fotografie betrachtet: Wie nachhaltig ist der ´ewige Moment´, den wir auf unseren Apparaten zu Tausenden speichern und verschicken? Den wir danach nahezu nie wieder anschauen, aber einen hohen Preis dafür zahlen? 2021 wurden 90 Prozent aller Fotografien mit Smartphones aufgenommen. Die digitale Fotografie allerdings basiert auf „einem riesigen materiellen Netzwerk“, lesen wir in der Ausstellung: vom Abbau von Metallen und seltenen Erden für elektrische Schaltkreise, Datenspeichern mit wachsenden Kohlenstoffemissionen bis zu Mengen von Elektroschrott, 2019 allein 54 Millionen Tonnen weltweit. Anders als in bisherigen Ausstellungen werden solche Fakten nicht mit hochästhetischen Fotografien dokumentiert – und weiter vorangetrieben. Stattdessen sehen wir einen „spannenden Perspektivenwechsel“, wie es die neue Direktorin Gerlinde Riedl beschreibt: Die Schau greift fünf besonders signifikante, mit Fotografien verbundene Materialien heraus und zeigt uns mit insgesamt 170 Beiträgen, darunter Wandtexten, Archivmaterialien, Interviews mit Wissenschaftlern, dass Fotografie die Welt nicht nur abbildet, sondern auch massiv beeinflusst. Die Schau beginnt mit fossilen Brennstoffen wie Kohle und Bitum, die als Pigment genutzt wurden, was besonders bei den Piktorialisten Ende des 19. Jahrhunderts beliebt war. In der Albertina Modern sehen wir gerade in einer eindrucksvollen Schau, wie sie die Fotografie der Malerei gleichstellen wollten. Im Kunsthaus Wien sehen wir einige dieser oft lieblich angelegten Amateurfotografien neben Dokumentationen der durch den Materialabbau zerstörten Landschaften. Ganz ähnlich wie die Piktorialistischen Idyllen wirken dann die hübsch-harmlos wirkenden  Wolkenbilder von Anais Tondeur. Die französische Künstlerin recherchierte fünfzehn Tage lang die Fluglinie von Rußpartikeln in England, fotografierte den Horizont, maß die Feinstaubkonzentration und gewann die Kohlenstoffpartikel aus der Luft, die ihr dann zur Herstellung der Grau-und Schwarztöne in ihren Wolkenkonstellationen dienten – was erst so harmlos erschien erweist sich als drastische Umweltverschmutzung.

F & D Cartier. Bildrecht Wien 2023

Immer wieder sind solche oft auf langer Recherche und vielen Experimenten basierenden Kunstprojekte in den didaktischen Parcours eingeflochten, ob bei den Themen Kupfer und Gold als Basis für die frühe Daguerreotypie oder Silber als zentrales Element der Filmindustrie. Im späten 20. Jahrhunderte ging über die Hälfte des weltweiten Silber-Verbrauchs in die Fotoindustrie für Silbergelatineabzüge. Hier zeigt die Koreanerin Daphne Nan le Sergent den Zusammenhang des Materials mit den kolonialen Kontexten seit dem 17. Jahrhundert: Noch Mitte des 20. Jahrhunderts stammte die größte Menge des von der Firma Kodak genutzten Silbers vor allem aus Mexiko. Aber nicht nur der Silberabbau, auch die Verschmutzung rund um die Filmfirmensitze wird angesprochen. Im Kapitel Papier, das früher für die Entwicklungen benötigt wurde, lernen wir den Zusammenhang mit Sklaverei, Entwässerung von Feuchtgebieten und Wasserverschmutzung durch Schwefelsalze. Dazu gehören auch die schockierenden Aufnahmen von Madame d´Ora. Eigentlich als Wiener Portraitfotografin berühmt, dokumentierte sie 1949-´53 in Pariser Schlachthöfen drastische Momente wie Blutlachen und abgeschlagene Pferdebeine. Fleischprodukte gehörten zu den Bestandteilen des auch von ihr benutzten Silbergelatinepapiers. Das letzte Kapitel ist zugleich das größte: Seltene Erden inklusiv Energie und Abfall. Hier kommen wir zurück zu dem Smartphone-Fotografie-Wahnsinn: 2020 wurden damit mehr als eine Billion Bilder gemacht. Ein iphone kann bis zu 75 chemische Elemente enthalten, darunter Gold, Zinn, Kobalt, Wolfram – viele davon „Konfliktmaterialien“, deren Abbau mit Zwangsarbeit und Milizarmeen verbunden ist. Dazu kommen komplexe Lieferketten und rücksichtlose Abbaumethoden. In ihrer Kobalt-Serie zeigt uns die US-Künstlerin Mary Mattingly einen kleinen Ausschnitt der komplexen Kobalt-Produktion. „Mining Photography“ ist die erste Ausstellung, die diese Zusammenhänge systematisch zusammenbringt und einen drastischen Überblick über all das zeigt, was wir auf den Fotografien nicht sehen. Ob sich mit diesem Wissen die gewaltige Menge der digitalen Fotos reduzieren lassen kann?

veröffentlicht in: Die Presse, 10.3.2023

Kuratiert wird die Ausstellung von dem Künstler, Autor und Kurator Boaz Levin und Dr. Esther Ruelfs, Leiterin der Sammlung Fotografie und neue Medien am MK&G. Eine Kooperation zwischen dem Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg und dem KUNST HAUS WIEN.