Einmal im Jahr öffnet das Gartenpalais Liechtenstein in Wien die Räume für eine ausgesuchte Ausstellung. Heuer steht atemberaubend schönes Porzellan im Mittelpunkt.
Kaum etwas gibt uns einen ähnlich intensiven Eindruck des aristokratischen Lebensgefühls des 18. Jahrhunderts wie Porzellan. Heute erscheinen uns die feinkeramischen Tassen, Teller und Schüsseln selbstverständlich. Aber damals wurden die Stücke in ihrer extravaganten Eleganz zum Sinnbild des höfischen Lebens – und ließen dazu noch eine gänzlich neue Tafelkultur entstehen. Die Freude an den zierlichen Objekten löste an den Höfen in Europa ein wahres Porzellanfieber aus, und dies ganz besonders in Wien. Denn in der Rossau entstand Europas zweite Manufaktur. Bis heute erinnert der Straßenname ´Porzellangasse´ im 9. Bezirk daran. Zu den wichtigsten Förderern und Sammlern gehörte das Haus Liechtenstein, die diesem spannenden Kapitel in ihrem Wiener Gartenpalais jetzt die alljährliche Sonderausstellung widmen.

Manufaktur Du Paquier, Wien (1718–1744), Trembleuse mit „Indianischen“ Blütenzweigen und Vogel, um 1725, Porzellan, Aufglasurfarben, Goldhöhung © LIECHTENSTEIN. The Princely Collections, Vaduz–Vienna
Anhand von wunderbar verspielten, herrlich humorvollen, überaus detailreichen und handwerklich atemberaubenden Objekten erzählt die Ausstellung eine verdichtete Geschichte von alchimistischer Neugierde, frühen Handelsbeziehungen und kulturellen Errungenschaften in der Zeit von 1718 bis 1744. Lange kamen die begehrten Objekte nur aus China, wo Porzellan mit der typischen kobaltblauen Unterglasurbemalung seit dem frühen 14. Jahrhundert hergestellt und seit dem 16. Jahrhundert als begehrte Waren aus Fernost importiert wurde. 1708 gelang die Herstellung dann erstmals europäischen Alchemisten in Dresden, 1710 entstand die bis heute erfolgreiche Meißner Porzellan Manufaktur.

Manufaktur Du Paquier, Wien (1718–1744), Leopard als Konfektschale, um 1730, Porzellan, Aufglasurfarben, Goldhöhung, 8 x 25,5 x 10,6 cm, MAK – Museum für angewandte Kunst © MAK / Foto: Joe Coscia, Jr.
Trotz streng gehütetem Geheimnis konnte schon 1718 der k.u.k. Beamte du Paquier die zweite europäische Manufaktur eröffnen – dank eines abtrünnigen Porzellan-Chemikers aus Dresden. Die dafür notwendige Porzellanerde (Kaolin) fanden sie in Passau. Du Paquier spezialisierte sich auf extravagante Einzelstücke, was sich als schwieriges Geschäftsmodell erwies. Bald hoch verschuldet, ließ Kaiserin Maria Theresia die Manufaktur 1744 verstaatlichen. 1864 musste die Manufaktur schließen. In den Jahren dazwischen allerdings veränderten die Porzellangefäße die Tischkultur an den Höfen – und zeigen herrlich freizügige kulturelle Aneignungen.

Manufaktur Du Paquier, Wien (1718–1744), Deckelterrine mit Chinoiserien und Fischhenkeln, um 1730/1735, Porzellan, Unterglasurblau, Aufglasurfarben, Goldhöhung, Vergoldung; Montierung: Bronze vergoldet © LIECHTENSTEIN. The Princely Collections, Vaduz–Vienna
Schon die große Schüssel im Eingang der Ausstellung folgt diesem Prinzip: in der Bemalung im Stil japanischer Imari-Dekore wird das asiatische Vorbild als Deckelterrine mit Karpfen als Henkeln und goldenen Delphin-Füßen europäisiert. Eine typisch blau-weiße, ursprünglich henkellose Kanne aus China aus dem Jahr 1580 wurde um 1600 mit Silbermontierungen überarbeitet. Großartig das Uhrgehäuse von 1725, man sieht einen der breit lachenden Drachen frech winken, der anderen wird gerade von einem Knaben mit einem Apfel besänftigt. Die typisch chinesischen Wächterlöwen tragen Flügel, eine klar europäische Erfindung. In der Kaffeekanne mit Pantherhenkel treffen chinesische Figuren im Relief auf japanisches Rankenmuster – der Fantasie beim multikulturellen Transfer waren damals keine Grenzen gesetzt, denn die Künstler mussten sich an keinerlei Konventionen halten.

Manufaktur Du Paquier, Wien (1718–1744), Service für Kaffee, Tee und Schokolade des Kardinals Silvio Valenti Gonzaga (1690–1756), mit Aufbewahrungskoffer, um 1738, Porzellan, Aufglasurfarben, Vergoldung; Koffer: Holz, geprägtes und vergoldetes Leder, vergoldete Beschläge, Wildleder, Goldborten © Turin, Palazzo Madama-Museo Civico d’Arte Antica. Courtesy of Fondazione Torino Musei
Im Gegenteil. Je fantasievoller, desto beliebter waren die Schätze. Unsummen wurden dafür ausgegeben, August der Starke etwa wollte im späten 17. Jahrhundert ein ganzes Schloss nur Porzellan widmen. Wandhohe Reproduktionen zeigen in der Ausstellung, wie Prinz Eugen seine umfangreiche Sammlung im Schloss Belvedere überall im Raum verteilte. An den Höfen entstanden Porzellankabinette. Vor allem aber diente das Porzellan der Inszenierung barocker Fest- und Tafelkultur. Die Stücke sollten überraschen, boten als ´Konversationsstücke´ Anlass für Gespräche. In Wien wurde erstmals die Idee eines Service entwickelt, die besonders für Desert-Gänge und üppige Frühstücksausstattungen beliebt waren. Dafür entstanden Trembleusen, mit fragilen Halterungen versehene Untertassen, damit der Tee- oder Kaffeegenuss im Bett keine unliebsamen Folgen hatte. Das Reiseset eines Kardinals mit Bechern für Kakao, Schalen für Tee und einer Schüssel für Teereste zeigt, wie wichtig damals die perfekte Ausstattung selbst unterwegs war.

Manufaktur Du Paquier, Wien (1718–1744), Ovale Schüssel aus dem Service mit Europäischen Blumen der Fürsten von Liechtenstein, um 1735, Porzellan, Aufglasurfarben © LIECHTENSTEIN. The Princely Collections, Vaduz–Vienna
Um 1730 etablierte die Manufaktur Du Paquier die Bemalung von Tellern mit Streublumen. Sie sollten die Illusion von Zufälligkeit erzeugen und variierten mit jedem Teil. Bis heute gehört dieses Dekor zu den beliebtesten Verzierungen bürgerlicher Service. Mitte des 18. Jahrhunderts wird Porzellan erschwinglich, hält Einzug ins Bürgertum und revolutioniert dort die Essgewohnheiten durch Teller und eine Vielzahl von Schüsseln. Heute führt die 1923 gegründete Manufaktur Augarten die Tradition von Du Paquier zwar fort, produziert auch Nachbildung früher Entwürfe. Aber das Porzellanfieber ist erloschen.
veröffentlicht in: Die Presse, 7.2.2025
Wunder und Wissenschaft. Porzellan und Sammellust im barocken Wien. Wien, Gartenpalais Liechtenstein, 30.1.-30.3.2025