Panorama Monopoli: Kunstherbst in Italien

07. Sep. 2022 in Kunstmarkt

Hafen von Monopoli. Foto: SBV

Hafen von Monopoli. Foto: SBV

September ist Saisonstart für den Kunstmarkt. Während Wien dabei auf Kunstmessen und das Galerienfestival curated by setzt, geht der italienische Kunsthandel einen gänzlich anderen Weg. Dort wird zum Beginn des Kunstherbst der Sommer mit Panorama Monopoli verlängert. Über 60 Galerien locken Anfang September vier Tage lang Künstler, Sammler und Connaisseure zu einer Ausstellung mit Ferienfeeling. Organisiert wird das Wochenende von dem Netzwerk „Italics“, das Pepi Marchetti Franchi (Gagosian Rom) und Lorenzo Fiaschi (Galleria Continua) in der Coronazeit 2021 gründeten. Wie können wir die Kunstszene beleben, wie den Kunsthandel sichtbarer machen, wie neue Verkaufsanreize schaffen, fragten sie sich damals. Ihre Antwort: Wir müssen zusammenarbeiten und aktiv werden! Höhepunkt der Aktivitäten ist die einmal jährlich stattfindende Ausstellung „Panorama“ mit Werken, die aus dem Programm der Galerien stammen. Letztes Jahr gastierte Italics mit einem Kunstparcours auf der nur rund vier Kilometer langen, süditalienischen Insel Procida.

Foto SBV

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Heuer trifft sich die Creme de la Creme Italiens im apulischen Hafenstädtchen Monopoli. Normannen über Byzantiner und Staufer, Spanier, Habsburger und Bourbonen herrschten hier unten am Absatz des Stiefels. Heute leben hier knapp 50.000 Einwohner. Ein behutsam restaurierter, mittelalterlicher Stadtkern voller verwinkelter Gassen, ein Sandstrand an der Promenade, die beeindruckende Festung von Karl V. aus dem 16. Jahrhundert, eine im 12. Jahrhundert begonnene Kathedrale – und trotzdem hat der Apulien-Hype Monopoli bisher verschont. Jetzt sind hier ein Wochenende lang über 70 Kunstwerke ausgestellt, in Innenhöfen, auf Plätzen und vor allem in Kirchen und Kapellen. Zu 19 zauberhaften Orten führt der Kunstparcours, dessen Charme auf dem Aufeinandertreffen von Zeiten, Architekturen und auch Themen beruht. Kurator Vincenzo de Bellis erzählt im Gespräch von der langen Tradition des kulturellen Austauschs in Monopoli, was ihn zu seiner Auswahl inspirierte. Das kann sehr krass ausfallen wie Edi Hilas Triptychon „People of the Future“ (1997), in dem er die lebensgefährliche Migration über das Mittelmeer als bedrohliche Geisterschiffe darstellt. Davor stehen Judith Hopfs phantomhafte, graue „Phone User“-Skulpturen, in denen sich jeder  fotografierende Tourist wiedererkennt. Die Werke finden sich in der Festung, zu der auch eine tief im Inneren liegende, kleine Kapelle gehört. Dort treffen ein Madonnenbild von Lorenzo Lippi (1606-65) auf Marisa Merz´ mit Goldfarbe überhöhtes, spukhaftes Frauenbildnis. Dazwischen schwingt Francesco Arenas Bronzeschaukel wie eine Brücke zwischen den Zeiten.

Marisa Merz, Schaukel von .... Foto SBV

Marisa Merz, Schaukel von Francesco Arena. Panorama Monopoli 2022. Foto SBV

Michelangelo Pistoletto; Cesare Fracanzano. Chiesa SS. Giuseppe e Anna, Monopoli. Panorama Monopoli 2022. Foto: Erwin Bauer

Michelangelo Pistoletto; Cesare Fracanzano. Chiesa SS. Giuseppe e Anna, Monopoli. Panorama Monopoli 2022. Foto: Erwin Bauer

Ähnlich faszinierend ist eine Kombination in der nach 18 Jahren erstmals wieder öffentlich zugänglichen, barocken Kirche SS. Giuseppe e Anna-Kirche: Cesare Fracanzanos Satyr-Familie aus dem 17. Jahrhundert hängt zwischen Michelangelo Pistolettos Spiegelbildern, in denen sich unser Konterfei mit aufgedruckten Fotografien von Prostituierten vereint – welch spannungsgeladene Konfrontation in dem sakralen Rahmen! Andere Werke gewinnen dank des Umraums gänzlich neue Lesearten wie die kleinen Muranoglasobjekte von Richard & Johanna Nitzke Marquis. „Knollen auf Rändern“ nennen sie die an Karotten, Kartoffeln und Rüben angelehnten Skulpturen.

Richard & Johanna Nitzke Marquis, Tubers On Wheels (Potato), 2008. Panorama Monopoli 2022. Foto: Erwin Bauer

Richard & Johanna Nitzke Marquis, Tubers On Wheels (Potato), 2008. Panorama Monopoli 2022. Foto: Erwin Bauer

Nathalie Djurberg & Hans Berg vor dem Stillleben von Carlo Manieri im Palazzo Martinelli. Panorama Monopoli 2022. Foto: Erwin Bauer

Nathalie Djurberg & Hans Berg vor dem Stillleben von Carlo Manieri im Palazzo Martinelli. Panorama Monopoli 2022. Foto: Erwin Bauer

Vor den Mauern der Festung wirken die Objekte allerdings wie skurrile Miniatur-Militärfahrzeuge. Der majestätische, teilweise neugotische Palazzo Martinelli gleich am Hafen wird gerade aufwendig renoviert, die noch im Rohzustand befindlichen Räume dienen jetzt als zentraler Ausstellungsort von „Panorama“. Hier stehen die Rieseneier-Skulpturen von Nathalie Djurberg & Hans Berg vor dem gigantisch-üppigen, barocken Stillleben von Carlo Manieri aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts – welch ein Kontrast der beiden von der Natur inspirierten Bildwelten! Am Abend lädt Eugenio Tibaldi zu einer Poker-Performance ein. An vier Tischen spielen Besucher das Kartenspiel, die Möbel sind Fundstücke, Eimer und selbst eine ausrangierte Toilette dienen als Sessel. Statt Geld werden Kichererbsen eingesetzt. Die Sieger treten gegeneinander an, der Finalist gewinnt ein vom Künstler gestaltetes Kartenspiel. Hier bringt Tibaldis Galerist Giosuè Di Marino aus Neapel die außergewöhnliche Stimmung von „Panorama Monopoli“ auf den Punkt: „Dieses Ausstellungswochenende ist nicht nur Business, sondern auch für uns wie Urlaub“.

monopoli_kuratoren-kopieveröffentlicht in: Die Presse, 4.9.2022
Panorama Monopoli, 1.-4.9.2022