Kaum ein Maler ist so berühmt wie Pieter Bruegel d.Ä.. Jetzt hat das Kunsthistorische Museum (KHM) in Wien ganz neue Erkenntnisse über den Niederländer herausgefunden. Denn erstmals wurden die Bilder in der Restaurierungswerkstatt eingehend untersucht. Hier herrscht ein Betrieb, den man aus Museen sonst nicht kennt, Werkzeuge liegen herum, Kataloge stapeln sich, Bilder sind aus den Rahmen genommen. Auf einer Staffelei steht Pieter Bruegels weltberühmter Turmbau zu Babel, unter einer Glashaube liegt Selbstmord Sauls geschützt.
Es ist das Reich von Elke Oberthaler, Leiterin der Restaurierung – Gemälde. Sie ist gemeinsam mit Sabine Pénot, Kuratorin für niederländische und holländische Malerei am KHM, verantwortlich für dieses gewaltige Projekt, das bereits seit 2012 läuft: Damals erhielt das KHM eine Förderung von 470.000 Euro von der Getty Panel Painting Initiative. Damit startete die erstmalige und damit bisher wichtigste, vollständige technologische Untersuchung von Pieter Bruegel d.Ä. Holztafeln mittels Röntgen– und Infrarotaufnahmen.
Über das Leben von Pieter Bruegel der Ältere ist wenig bekannt, geboren wurde er um 1525/1530 vermutlich in Breda und starb 1569 in Brüssel. Er war ausgebildeter Miniaturmaler, reiste nach Italien und begründete nach seiner Rückkehr in den Niederlanden eine Malerdynastie. Keiner seiner Nachfahren kam je an die Brillanz des Älteren heran, dessen Bildsprache geprägt ist von ausgeklügelten Kompositionen, in denen jedes Detail Bedeutungsträger ist. Von seiner Hand sind nur rund 40 Gemälde überliefert, wovon das Wiener Kunsthistorischen Museum mit 12 Bildtafeln das größte Konvolut weltweit besitzt. Anfangs sollten nur sechs der Werke untersucht werden, mittlerweile sind sämtliche Bruegel-Bilder der Sammlung erforscht. Kleinste Schäden wie winzige Risse wurden dokumentiert, aber auch massive Formatbeschneidungen erkannt und virtuell rekonstruiert, kompositorische Detailveränderungen und erstaunliche Unterzeichnungen entdeckt.
Dabei machte das Restaurierungsteam des KHM überraschende Entdeckungen. Bisher sind keinerlei Skizzen oder Entwurfszeichnungen des Meisters bekannt. Man weiß daher nicht, wie Pieter Bruegel d.Ä. die Kompositionen der riesigen Landschaften, Bauernszenen und Wimmelbilder entwickelte. Und wieso in den über Hundert Kopien, die von Bilder wie Winterlandschaft mit Vogelfalle angefertigt wurden, die Figuren so ähnlich, ja, fast deckungsgleich sein können. „Bisher gab es keine Dokumentationen von Unterzeichnungen. Jetzt konnten wir in Fasching und Fasten und Kinderspiele eine sehr mechanische Unterzeichnung feststellen“, erläutert Oberthaler. Diese Umrisslinien beweisen, dass Bruegel mit Vorlagen arbeitete – und das erklärt auch die identen Kopien. Ganze Figurengruppen entstanden so. Die Landschaften oder andere Partien weisen dagegen einen deutlich anderen Malduktus auf. Und noch ein spannendes Detail haben die Untersuchungen erwiesen: In der Kreuztragung ist die Beweinungsgruppe zunächst nach Vorlage übertragen worden. Dann aber arbeitete Bruegel noch einmal in die Komposition hinein: „Beim Christus wurde die Blickrichtung verändert, er schaute erst zum Boden und ist jetzt auf den Betrachter gerichtet. Auch der winzige Rabe oben im Bild schaute in der Unterzeichnung in die Komposition und wurde dann um 180 Grad geändert, um jetzt von der Szene wegzuschauen.“ In solchen Details wird offensichtlich, dass Bruegel den Bezug zum Betrachter stärken wollte. „Bei den Jäger im Schnee ist in der Dreier-Figurengruppe der Dicke nicht unterzeichnet und kam erst in einem späten Bildstadium hinzu. Es ist aber die Figur, mit der der Betrachter jetzt in das Bild einsteigt.“
Ähnlich bahnbrechend für die Bruegel-Forschung ist eine weitere Entdeckung: Lange fragte man sich, wieso Bruegel nach seiner Italienreise (1552-1555) nicht die neue Technik der Zentralperspektive in seine Bilder aufnahm. „Bei einem Bild konnten wir einen eingezeichneten Fluchtpunkt feststellen, im Kinderspiele laufen alle Mauern und Gebäudeelemente rechts oben zusammen.“ Das Bild wird dem Frühwerk zugerechnet, die neue Erkenntnis lässt vermuten, dass Bruegel sich bewusst gegen die logische Konstruktion entschied.
Aber es sind nicht nur solche zentralen Erkenntnisse, die das Restaurierungsteam herausfand. „In der Auseinandersetzung mit Kunst muss man sehr genau und langsam schauen, man braucht Zeit und entdeckt sehr Subtiles, das aber einen großen Unterschied macht,“ erklärt Oberthaler. „Solche Untersuchungen klingen einfach, sind aber eine Herausforderung.“ Das beginnt damit, dass fast alle Bilder „gedünnt“, also abgehobelt und mit einem Holzrost versehen wurden. Diese sogenannte Parkettierung war im 19. Jahrhundert üblich, man wollte die Holztafeln stabilisieren. „Heute weiß man, dass die dünneren Hölzer noch empfindlicher sind und außerdem ging originale Bildsubstanz verloren, Werkstattreste, Aufschriften, alte Etikette.“ Wurde die Parkettierung jetzt wieder abgenommen? „Nur wenn es Schäden verursacht wie bei dem Vogeldieb. Da haben wir Sprünge verleimt. Die Bekehrung Pauli ist dadurch zwar konkav verwölbt, was problematisch ist für die Malschicht. Das könnte stauchen, aber wir haben es erstmal nur dokumentiert. Leichtfertig wollen wir keine Restaurierungen bei Gemälden dieser Kategorie beginnen.“ Ein Bild jedoch braucht eine intensive Behandlung: „Der Firnis des Selbstmord Saulus ist so spröde, dass er abblättert, darum entfernen wir den Firnis. An manchen Stellen wird es dadurch heller, die Kontraste werden stärker, es entsteht wieder mehr Räumlichkeit.“ Werden auch die Farben heller? „Die Farben werden klarer, aber nie wieder so wie ursprünglich, denn alles ist ja gealtert.“ Vor allem das Blau-Pigment veränderte sich stark: „Im Bauerntanz springt rechts eine Frau mit ihrem Tanzpartner ins Bild, in einem gelben Kleid mit grau-braunem Innenfutter. Das war ursprünglich ein leuchtendes Blau.“
Spannend sind auch so „kleine Dinge“ wie die Dübel in den Tafelkonstruktionen. Fehlen welche oder ist die Symmetrie gestört, sei das ein Indiz für Formatänderungen. „Der Vogeldieb war rechts 12 Zentimeter größer, wodurch die Komposition stark verändert ist. Beim Turmbau zu Babel fehlen mehrere Zentimeter am rechtem Rand, und auch oben und unten ist das Bild beschnitten worden. Auch Bekehrung Pauli war links und oben viel größer.“ Das ist bedeutsam, denn bisher ist das größte Tafelbild Bruegels die Kreuztragung. „Mit unserer Entdeckung wissen wir jetzt, dass die Bekehrung Pauli dieselbe Größe hatte.“ Das erkennt man nur anhand der Dübel? „Nein, wir haben auch eine hervorragende Quellenlage, die weit zurückgeht.“ Es sei eine „sehr detektivische Arbeit“, betont Oberthaler: Die Angaben sind nicht in Zentimeter, aber in welchem Maß, welche Ellen? Wurde der Rahmen mit eingerechnet? Noch immer sind viele Fragen offen und die Auswertung der Untersuchung längst nicht abgeschlossen. „Wir wollen das nicht monopolisieren“, betont Oberthaler. Daher stellen sie ihre Ergebnisse der Wissenschaftsgemeinde zur Verfügung und veröffentlichen es im Internet. Von Oktober 2018 bis 13. Januar 2019 kann auch das Museumspublikum die technologischen Forschungen in der weltweit ersten großen, monographischen Bruegel-Ausstellung im KHM sehen.
veröffentlicht in: Weltkunst Nr. 146, August 2018