Shannon Alonzo im „kolonialen“ Theseustempel

02. Jun. 2025 in Ausstellungen

Shannon Alonzo, Washerwoman, im Theseustempel Wien. Ausstellungsansicht KHM-Museumsverband

Ihr Körper ist aus braunen Wäscheklammern, ihre Arme und Beine aus braunem Wachs. Ihre Hände halten einen Baumwollstoff in eine simple Zinkwanne. Ihr Kopf fehlt. „Washerwoman“ nennt Shannon Alonzo ihre Skulptur, die jetzt bis Anfang Oktober bei freiem Eintritt im Theseustempel im Wiener Volksgarten steht. Es sei ein „Archetyp der arbeitenden karibischen Frau“ und der „Versuch, unsere Vorfahren durch die Arbeit unserer Hände kennenzulernen“, erklärt die 1988 in Trinidad und Tobago geborene Künstlerin zu ihrem bereits 2018 entstandenen Werk.

Waschfrauen sind auch in Europa bekannt und waren hier gesellschaftlich ebenso unsichtbar und unterprivilegiert wie in der Karibik. Aber hier geht es um mehr als die minderwertig eingeschätzte Arbeit von allen Frauen. Denn diese in ihrer starken Präsenz beeindruckende Skulptur steht in einem klassizistischen, einem griechischen Tempel nachempfundenen Bau – und der Kontext macht den Unterschied.

Seit 2012 wird hier einmal im Jahr ein Werk zeitgenössischer Kunst aufgestellt. Bisher vom Kunsthistorischen Museum bespielt, liegt es jetzt in der Verantwortung des Weltmuseum Wien. Seit März leitet Claudia Banz das Haus. Sie will die hauptsächlich historische, ethnologisch ausgerichtete Sammlung des Hauses mit zeitgenössischer Kunst erweitern, WMW Contemporary nennt sie das neue Format. Ein besonderer Fokus liegt auf Kunst aus dem Globalen Süden. Und dafür sei der Theseustempel perfekt geeignet, denn der Tempel sei „kolonial“, erklärt die deutsche Kunsthistorikerin.

Theseustempel ist kolonial?

Das ist eine steile These, die weit mehr Erklärung benötigt als ihr kurzer Verweis darauf, das liege im Architekturdiskurs des 19. Jahrhunderts begründet. In den 1820ern erbaut, erscheint diese Zuschreibung zunächst absurd. Der Theseustempel war nie Teil eines kolonialen Verwaltungsapparats. Im Gegenteil: Er entstand für eine einzige Skulptur, für Antonio Canovas Marmorfigur „Theseus besiegt den Kentauren“, die 1890 in das Kunsthistorische Museum übersiedelt wurde. Aber kulturell-symbolisch kann eine Verbindung hergestellt werden. Denn die Kolonialmächte nutzten die Antike, um ihre kulturelle Überlegenheit über nicht-westliche, damals als unzivilisiert angesehene Kulturen zu behaupten. Im postkolonialen Diskurs wird es als ´ästhetischer Kolonialismus´ angesehen. So kann man den Theseustempel als Symbol europäischer kultureller Selbstverherrlichung lesen – und symbolische Orte sind nie neutral. Im damaligen Kontext gesehen, kann es sogar als Zeichen kolonialer Machtstrukturen gelten – zumindest indirekt. Beides Aspekte, die mit der Wahl einer Künstlerin aus einer ehemals kolonisierten Region bestärkt werden.

Theseustempel Wien, Josef Müller, 1921. Courtesy KHM-VerbandMuseumsverband

Shannon Alonzos pflegebedürftige Waschfrau

Zwar spricht Alonzo das Thema nicht direkt an. Aber schon der Kontrast zu der Bronzeskulptur eines nackten Jünglings vor dem Tempel legt eine solche Wahrnehmung nahe. „Jugendlicher Athlet“, 1921 von Josef Müller geschaffen, verherrlicht Jugend, Kraft und Schönheit. Wie gegensätzlich zu diesen Attributen Gestalt und Tätigkeit der ´Waschfrau´ sind! Hier trifft heroische europäische Kultur auf eine koloniale Arbeitskraft. Denn mit den verwendeten Materialien und der Hautfarbe der ´Wäscherin´ stellt Alonzo eindeutig eine Verbindung zur Karibik her. Gerade Baumwolle war ein wichtiges Exportprodukt ihrer Heimat. Das Waschen war dort lange eine der wenigen Tätigkeiten, die schwarze Frauen ausüben konnten – im Dienste der weißen Oberschicht. Jetzt dreht Alonzo das System um: ihre „Waschfrau“ besteht aus fragilen Materialien, „man muss sich um die Skulptur kümmern“, betont sie, „mindestens einmal die Woche“: Regelmäßig wird jetzt das Wasser in dem Bottich gewechselt, das teilweise im Wasser liegende Tuch getauscht und gewaschen und die Figur auf konservatorische Veränderungen untersucht. Die ´Waschfrau´ ist fragil.

veröffentlicht in: Die Presse, 21.5.2025
Shannon Alonzo, Theseustempel im Volksgarten Wien, 21.5.-5.10.2025, freier Eintritt