Raffael – Tapisserien im KHM Wien

28. Dez. 2023 in Ausstellungen

Ausstellungsansicht „Raffael – Gold & Silber“ im KHM Wien. Courtesy KHM-Museumsverband

Raffael ist 32 Jahre alt, als er 1515 den Auftrag für  Tapisserien zur Apostelgeschichte in der Sixtinischen Kapelle erhält – und mit seinen Entwürfen die Wandteppich-Zunft revolutioniert, wie die eindrucksvolle Ausstellung“Raffael – Gold & Silber“ im KHM Wien zeigt.

Madonnenbilder, Portraits, Fresken – darin ist Raffael ein Meister. Aber dann erhält der florentinische Maler im Jahr 1515 von Papst Leo X. den Auftrag für eine Serie von Tapisserien. Diese meist mehrere Meter hohen Wandteppiche werden in Belgien produziert, wo die flämischen Meister seit dem Mittelalter einer Tradition im Stil von Wimmelbildern folgen. Raffael ignoriert diese Tradition – und revolutioniert mit seinen Entwürfen nachhaltig das Tapisserie-Design, wie jetzt eine Ausstellung im Kunsthistorischen Museum in Wien (KHM) eindrücklich zeigt.

Zweitgrößte Tapisserien-Sammlung der Welt

Wandteppiche sind damals nicht nur vom Papst, sondern auch in den
Fürstenhäusern begehrt. Mit diesen vergleichsweise leicht zu transportierenden Monumentalbildern können beliebige Räume in zeremonielle Säle verwandelt werden. „Mobile Repräsentationsmedien der Macht“ nennt es KHM-Generaldirektorin Sabine Haag. Das KHM besitzt mit 750 Stück die zweitgrößte Tapisserie-Sammlung der Welt nach der Spanischen Krone, in „hervorragendem Erhaltungszustand und Qualität“, wie Haag betont.

Raffael – Gold & Silber, Ausstellungsansicht KHM Wien. Courtesy KHM-Museumsverband

Schräge Wände

18 dieser gewebten Monumentalbilder sind jetzt in der großen Herbstausstellung zu sehen. Die Säle in schonendes Halbdunkel gesetzt, hängen die bis zu 60 Kilogramm schweren Teppiche in leicht schräg gestellten Gestellen, um das Eigengewicht zu minimieren. Statt auf einer Wand ruhen die Bildgiganten hier auf Kettfäden, wie sie auf Webstühlen gespannt werden. Dank der Gold- und Seidenfäden schillern sie magisch im Licht – imposanter könnte der Eintritt in die Welt der Tapisserien kaum gelingen.

Der wunderbare Fischzug. Serientitel: Szenen aus der Apostelgeschichte. Entwurf: Raffaello Sanzio da Urbino, gen. Raffael (1483–1520) und Werkstatt, um 1515/16. Hergestellt unter Jakob I. Geubels († vor 1605), Brüssel, um 1600 Wolle, Seide. Kunsthistorisches Museum Wien, Kunstkammer. © KHM-Museumsverband

 

Tapisserien: „Das Beste vom Besten“

Das beginnt gleich im ersten Raum, wo wir inmitten von fünf dieser luxeriösen Teppiche aus Raffaels zehnteiliger Sixtina-Apostelserie stehen. Diese Serie sei damals „das Beste vom Besten, das Teuerste vom Teuren“ gewesen, erklärt Haag. Ein sechster Teppich kommt als Leihgabe des Vatikans dazu, der „Tod des Ananias“. Anders als die KHM-Bestände stammt dieses Meisterwerk noch aus der editio princeps. Als Höhepunkt der Serie gilt „Der wunderbare Fischzug“: Am linken Bildrand ziehen Jakobus und Johannes die prall gefüllten Netze aus dem Wasser, mit ihren Zeigefingern weisen sie auf das Wunder. Am rechten Bildrand sitzt Jesus, entgegen der biblischen Geschichte, im Boot. Vor ihm kniet Petrus nieder, daneben steht Andreas mit vor Erstaunen weit ausgebreiteten Armen.

Die Trägheit, Serientitel: Die sieben Todsünden. Entwurf: Pieter Coecke van Aelst (1502–1550), um 1533/34
Hergestellt unter Willem de Pannemaker (um 1510–1581), Brüssel, um 1548/49. Wolle, Seide, Edelmetallfäden
Kunsthistorisches Museum Wien, Kunstkammer. © KHM-Museumsverband

Todsünden-Serie von Pieter Coecke van Aelst

Wie anders dagegen die flämischen Meister! Vor allem in der selten zu sehende „Todsünden“-Serie von Pieter Coecke van Aelst werden die Kontraste deutlich. Coecke van Aelsts Serie entstand in den 1540er Jahren, also deutlich nach Raffaels Sixtina-Serie. Man kann einzelne Figurenzitate erkennen, die auf Raffael zurückgehen. Ansonsten herrscht deutlich die flämische Tradition vor, mit vielen Einzelszenen in einer detailgesättigten Landschaft. Da trägt etwa Gula, die personifiziere Völlerei, stolz drei Würste. Daneben spießt ein Igel Weintrauben auf seinen Stacheln auf. Raffael dagegen legt seine Entwürfe wie Wandgemälde an: wenige monumentale Figuren in perspektivisch weit in den Hintergrund führenden Räumen. Er konzentriert sich auf wenige Figuren vor äußerst reduzierten Flächen. Und auf ausdrucksstarken Gesten, mit denen Raffael die Geschichte auf den einen, zentralen Moment verdichtet – etwa das Fischfangwunder.

Manifattura FIAMMINGA, Bruxelles; sogg. e cart: RAFFAELLO Sanzio (Urbino 1483 – Roma 1520); arazz.: bottega di VAN AELST, Pieter (m. Bruxelles 1532); Arazzo della serie „Scuola Vecchia“: Morte di Anania; ordito in lana; trama in lana, seta e argento dorato; 1516-1519; Musei Vaticani; Inv. 43870

 

Bordüren als Datierungshilfen

Umrahmt sind seine Szene von Bordüren. Auch diese verzierten Geweberänder legt Raffael deutlich anders an als die flämischen Meister. Dort dominieren florale, inhaltlich unverbundene Motive. Raffael dagegen integriert allegorische Figuren und erstmals überhaupt ikonografische Szenen, die das Hauptbild inhaltlich ergänzen. Diese Bordüren sind ein spannendes Element der Wandteppiche. Tapisserien, das wird auch in der Ausstellung mit Vorzeichnungen vermittelt, basieren auf Entwürfen der Künstler, die dann in der geplanten Originalgröße auf sogenannte Kartons übertragen werden. Nach diesen Vorlagen können weitere Teppich-Dublikate gewebt werden – allein von Raffaels Sixtina-Serie sind rund fünfzig Editionen bekannt.

Die Schule von Athen. Serientitel: Tapisserien nach Fresken Raffaels im Vatikan. Entwurf: Raffaello Sanzio da Urbino, gen. Raffael (1483–1520), 1509/11. Hergestellt unter Pierre-François Cozette (1714–1801) und
Michel Audran (1701–1771) in der Manufacture Royale des Gobelins, Paris, 1765–1771. Wolle, Seide. Kunsthistorisches Museum Wien, Kunstkammer. © KHM-Museumsverband


Eine genaue Datierung ist schwierig, erklärt Ausstellungskuratorin Katja Schmitz-von Ledebur. Die Serie im KHM sei wahrscheinlich um 1600 entstanden. Eine willkommene Datierungshilfe seien die Bordüren, denen separate Vorlagen zugrunde liegen – und bei denen sich die Weber, aber auch die Karton-Künstler gerne große Freiheiten nahmen. Denn diese Rahmen wurden immer wieder geändert und der jeweiligen Mode angepasst. Aber Das markiere sie zugleich als zusammenhängende Serien, zumal bald nicht nur flämische, sondern auch englische und französische Manufakturen Werke nach Raffaels Entwürfen anfertigten.

„Schule von Athen“

Wie gewaltig die Nachfrage damals nach diesen Monumentalbildern war, zeigt die 1662 in Paris gegründete Manufacture Royale. Stolze 775 Gobelins entstehen während der 30jährigen Blütezeit der Manufaktur. Noch im 18. Jahrhundert werden in Paris Fresken aus Rom gewirkt, vier Werke aus der Manufaktur erhält Kaiser Joseph II 1777 als königliches Präsent. Heute gehören sie zum Bestand des KHM, die auf 1765 datierte „Schule von Athen“ nach Raffael bildet jetzt als 4.60 Meter hoher, 7,90 Meter breiter Wandteppich den Abschluss der grandiosen KHM-Ausstellung. Die Pariser Werkstatt übrigens existiert bis heute.

veröffentlicht in: NZZ, 5.12.2023 online
Raffael – Gold & Seide, Kunsthistorisches Museum Wien, 26.9.2023-14.1.2024