Probezeit: Sammlung Jablonka in der Albertina

12. Okt. 2020 in Kunstmarkt

Francesco Clemente, Kreuz des Südens, 2006. ALBERTINA, Wien – The JABLONKA Collection © Francesco Clemente

Francesco Clemente, Kreuz des Südens, 2006. ALBERTINA, Wien – The JABLONKA Collection © Francesco Clemente

Museen und ihre Dauerleihgaben sind ein spannendes Thema – und dies ganz besonders in der Wiener Albertina. Denn das historische Haus für Erzherzog Alberts graphische Sammlung durchläuft seit Jahren eine Verwandlung. Statt sich auf den Bestand zu konzentrieren, ist es zu einem Museum für Malerei bis zur Gegenwart geworden. Auf hohem Niveau wäre das über Ankäufe nicht machbar. Also bindet Direktor Klaus Schröder eine Leihgabe nach der anderen an sein Haus. Als noch Millionen von internationalen Gästen nach Wien reisten, konnte Schröder mit Klassikern der Moderne aus der Sammlung Batliner Besuchermengen ins Haus locken. Jetzt ist die Stadt nahezu leer und da passt es hervorragend, eine Sammlung zu zeigen, die nicht Stadttouristen, sondern vor allem Connaisseure anspricht: Werke aus der Sammlung des Kölner Ex-Galeristen Rafael Jablonka. Vor gut einem Jahr übergab der in Polen geborene, heute in Tirol lebende Sammler der Albertina rund 400 Exponate, gebündelt in einer Stiftung – allerdings nur für sieben Jahre. Das ist extrem kurz. Jablonka nennt es auf der Pressekonferenz eine „Probezeit“. Denn er verbindet klare Forderungen mit der Leihgabe, allen voran die Bedingung, dass die Werke zu sehen sein sollen. An einer Einlagerung habe er kein Interesse, Lagerplatz habe er genug, betont er.

Richard Deacon, Totes Bein, 2007, Eiche und Edelstahl. ALBERTINA, Wien – The JABLONKA Collection © Richard Deacon

Richard Deacon, Totes Bein, 2007, Eiche und Edelstahl. ALBERTINA, Wien – The JABLONKA Collection © Richard Deacon

Jetzt also sind 110 Werke von 14 Künstler*innen der Sammlung zu sehen. Der Großteil gehörte zum Stamm seiner Galerie, aber gekauft habe er, das betont Jablonka bei der Pressekonferenz, vieles auf Auktionen. Für die Albertina durfte er gleich als „Ausstellungsmacher mit einer Carte Blanche“ auftreten, wie Schröder erklärte. Jablonka entschied sich für eine lose, von jeglichem thematischen Korsett befreite Folge von Solo-Räumen. Ihr gemeinsamer Nenner stellt zugleich den Titel: „My Generation“ – alle seien ungefähr sein Jahrgang, erklärt der 1952 geborene Jablonka. Großartig ist die brodelnde „Kandor“-Installation von Mike Kelley, in der er die Hauptstadt Kandor von Supermans Planeten Krypton als Inbegriff eines Traumas inszeniert. Es gibt zahlreiche Zeichnungen der fiktiven Stadt, die Kelley mal als Glasarchitekturen unter Glasglocken präsentiert, als Skizzen auf Monitoren wie Lebewesen pulsieren und sogar schreien lässt. Flankiert ist Kelleys Raum von Thomas Schüttes Holzschnittzyklus „Die Burg“ und Francesco Clementes Malerei. Im großen Untergeschoß folgen Räume für Philippe Taaffe, Ross Bleckner, Eric Fischl, Sherrie Levine und Andreas Slominski. In dem schmalen „Schlauch“, wie Jablonka den Galerie-Raum nennt, kommen noch einige Skulpturen von Candy Noland bis zu Damien Hirst dazu. All diese Künstler*innen sind keineswegs Unbekannte, sie dominierten den transatlantisch geprägten Kunstmarkt Ende der 1980er Jahre. Für Jablonka sind es Künstler*innen bzw. vor allem Werke, die ein „Gefühl für diese Generation“ vermitteln, etwas „Widerständiges und die Brüche mit Traditionen“.

Philip Taaffe, Künstliches Paradies (Tumulus), 2008. ALBERTINA, Wien – The JABLONKA Collection © Philip Taaffe

Philip Taaffe, Künstliches Paradies (Tumulus), 2008. ALBERTINA, Wien – The JABLONKA Collection © Philip Taaffe

Mit der Ausstellung ist jetzt der erste Pluspunkt für die von Jablonka verhängte Probezeit geschafft. Bald soll der nächste folgen. Die Stiftung umfasst noch 220 Fotografien von Araki und Werke von Richard Avedon, die gut mit Werken aus den Albertina-Beständen kombiniert werden könnten. Im dritten Schritt können Jablonkas Leihgaben von Michael Heizer und Andy Warhol irgendwo dazu gemischt werden. Und dann? Dieselben Namen innerhalb von nur sieben Jahren ein zweites Mal herauszuholen wäre absurd angesichts der vielen anderen Leihgaben und vor allem großartigen Graphikschätze des Hauses. Zudem wird in wenigen Jahren Schröders Amtszeit wohl endgültig auslaufen, eine nochmalige Verlängerung scheint ausgeschlossen. Wie wird ein Nachfolger mit den Dauerleihgabe-Vorgaben umgehen, wird das Haus dann überhaupt noch als Museum für Alles weitergeführt? Im Zuge der Corona-Konsequenzen wurde gerade deutlich, wie anfällig das Konzept der Albertina ist, statt auf Themen vor allem auf große Namen unter dem Motte ´von (Monet) bis´ zu setzen – eine Strategie, die hauptsächlich Touristen adressiert. Durch das Ausbleiben internationaler Gäste rechnet Schröder 2020 mit einem Minus von 70 Prozent, was „ein Loch von acht Millionen Euro“ in ihr Budget reiße, wie er in einem Interview im Mai sagte. Der Besucherschwund ist übrigens ein Problem, das auch die anderen großen Häuser in Wien betrifft. Im Belvedere wurde darauf mit einer typischen Marketing-Idee reagiert: ein Raum unter dem banalen Motto „Urlaub in Österreich“ – ob das tatsächlich Besucher angelockt hat? Im Kunsthistorischen startete gerade die kleine, aber sehr beeindruckende „Beethoven Bewegt“-Ausstellung, für die allerdings mit einer derartig beliebig angelegten Plakatkampagne geworben wird, dass diese wunderbare Schau kaum jemand in Wien bemerkt. Programmideen für ein Touristenfreies Wien hat noch kein Haus entwickelt, obwohl dieser Zustand noch Monate anhalten kann. Dabei erklärte uns Schröder so überzeugend seine Idee für ein zeitgemäßes Museum, das „fluide“ sein müsse: das „starre, statische Bild eines Saals, eingerichtet für Jahrzehnte“, sei vorbei, stattdessen seien häufige Neupräsentationen notwendig. „Wenn die Gesellschaft auf Veränderungen, Bewegung drängt, müssen darauf auch Museen reagieren“, resümiert er, und will mit „Dauerleihgaben das Terrain erkunden“.

Andreas Slominski, Ohne Titel, 1993/1994. ALBERTINA, Wien – The JABLONKA Collection © Andreas Slominski

Andreas Slominski, Ohne Titel, 1993/1994. ALBERTINA, Wien – The JABLONKA Collection © Andreas Slominski

Klingt gut, ist aber problematisch. Dauerleihgaben verursachen Kosten: Lager, Versicherung, Restaurierung, wissenschaftliche Aufarbeitung, Leihverkehr – und das gilt auch für die Sammlung Jablonka. Was aber passiert, wenn die Probezeit nicht bestanden oder der Wille zur Dauer verloren geht? Schon häufiger wurden Dauerleihgaben abgezogen und für Kunstmarkt-Spekulationen ausgenutzt. Das ließe sich nur durch eine Schenkung oder strikte Vertragsdetails ausschließen. Noch ist beides nicht vorgesehen und es bleibt zu hoffen, dass die Probezeit zur Festanstellung wird. Denn in den Wiener Museen sind die meisten der jetzt ausgestellten Künstler*innen nicht vorhanden und schließen in der Stadt damit eine Lücke – und sei es nur alle paar Jahre als Beimischung.

veröffentlicht in: WELT, 10.10.2020

Albertina, My Generation – Die Sammlung Jablonka, 2.10.2020-21.2.2021