Teilnahme nur auf Einladung, nur für nordische Kunst bzw. nordische Galerien, keine privaten Dinner-Einladungen der Aussteller während der Messe, keine Trennwände zwischen den Galerien, kein Anrecht auf einen fixen Platz – die Regeln der CHART Art Fair sind streng. Vor zehn Jahren von fünf Galeristen gegründet, gehört die dänische Kunstmesse damit zu den Exoten im globalen Messekarussell. Denn hier in Kopenhagen wird massiv auf Gemeinschaft gesetzt. Und auf Qualität. „Wir wollen nichts zeigen, was vorher schon in Basel zu sehen war“, fasst Messedirektorin Nanna Hjortenberg den Anspruch auf neue, eigens für die Messe entstandene Werke zusammen. Sie übernahm die Leitung 2018, verfolgt die Grundausrichtung konsequent weiter und lanciert trotzdem jedes Jahr überraschende Veränderungen. Heuer zur 10. CHART Art Fair initiiert sie erstmals ein – von den Galerien finanziertes – Skulpturenprojekt im 8 Hektar großen Tivoli Park.
Einen Monat lang stehen in diesem ältesten Vergnügungspark Europas in Blumenbeeten, in vergessenen Räumen oder über Teichen schwebend Werke von 15 Künstlern. Kontrastreicher und skurriler kann ein Ambiente für Kunst kaum sein. Welch großartige Idee, die Messe so in die Stadt zu expandieren!
Hauptausstellungsort der Chart bleibt natürlich weiterhin die Kunsthalle Charlottenberg mitten im Zentrum der dänischen Hauptstadt, deren tageslichtdurchfluteten Räume perfekte Ausstellungsbedingungen bieten – fast perfekte. Während der bestens besuchten Voreröffnung ist es kuschelig heiß in den Räumen, die kleinen mobilen Klimageräte kommen gegen die geballte Sonnenkraft durch die Deckenfenster nicht an. Aber das stört kaum jemanden, zu groß ist die Neugierde auf die neueste Kunst, die Freude über altbekannte Kunden, der Genuss eines spannenden Messebesuchs. 38 Galerien nehmen heuer teil, jeweils drei sind in den offenen Räumen zusammengespannt. Die Kombinationen werden von der Messe vorgeschlagen, die Präsentationen von den Galerien im engen Austausch besprochen, erklärt Hjortenberg im Gespräch: „Die Galerien sollen gemeinsam planen“ – hier flankiert die Idee von Gemeinschaft die Tatsache der Konkurrenz. Gleich zu Beginn fängt die Galerie Andersen´s Contemporary die Besucher mit einem Solostand von Tomas Saraceno ein. Der argentinische Künstler schuf gerade in Barcelona und im dänischen Aalborg seine faszinierende „Cloud City“, eine schwebende Stadt aus einem wabenähnlichen Netz mit begehbaren, kleinen Räumen zum Lesen, Sitzen, Ruhen. Auf der CHART Art Fair zeigt seine Galerie Modelle dieser Konstruktion als Hänge-Skulpturen. Daneben schweben transparente Plastikballons, die mit Tintenstiften verbunden sind. Jeder Luftzug bewegt den Stift über die am Boden liegende Leinwand (30.000 Euro) – je mehr Besucher desto schneller ist die Zeichnung vollendet. Gegenüber zeigt die Wiener Galerie Croy Nielsen den in Wien lebenden Japaner Soshiro Matsubara, der Ornamente und Figuren des Wiener Jugendstils und auch des auf Wien beschränkten Phantastischen Realismus in seinen Zeichnungen und durchaus kitschfröhlichen Keramikobjekten mit seinem Blick von außen aufgreift.
So kurios solche Kombinationen klingen, so überraschend harmonisch erweist sich das Konzept der kontrastreichen Gemeinschaften. Sogar Tacita Deans achtteilige, düstere „Inferno“-Serie (Borch Edition) verträgt sich überraschend gut mit den zwölf dekorativen Designer-Stehlampen, die die dänische Design-Galerie Etage auf engem Raum präsentiert. Mit 14.000 Euro gehören Sabine Marcelis´ Harzlampen hier zu den teuersten Stücken. Das Geheimnis dieses Konzepts: die Qualität stimmt! Bei den jüngeren Galerien trifft bisweilen eine freche Formensprache wie die plakativen Glasmasken des Sami-Künstlers Olof Marsja (Nevven Gallery) auf eine brachial-pastose Malerei wie die Blumenbilder von Liv Ertzeid (ISCA Galerie). Blumen, gerne auch Landschaften, meist gemalt, manchmal fotografiert, auch Vogelzeichnungen (Thorbjorn Sorensen bei OSL contemporary), sogar malerische Variationen des schneebedeckten Matterhorn (Viktor Rosdahl, Galleri Cora Hillebrand)– solche weitgehend ungebrochen idyllischen Bildmotive finden sich überraschend oft auf der Messe.
Ob dieser Natur-Schwerpunkt mit dem medial dominanten Thema der Klimaveränderung, einer zunehmend bedrohten Natur oder schlicht einer Sehnsucht nach Harmonie zu tun hat? Seltsamerweise wählte keine Galerie die Naturmotive aus solchen Überlegungen. Sie erklären ihre Motivwahl lediglich mit Erfolgsaussichten – und die Verkäufe am Eröffnungstag geben ihnen Recht. Natur ist offensichtlich gefragt. Zumal die Preise dafür stimmen, vieles kostet um 4000 Euro und ist noch am Eröffnungstag verkauft. Wäre so viel kommerzieller Erfolg nicht ein Grund, die CHART Art Fair zu vergrößern? Dann könnte die Qualität leiden, erklärt Hjortenberg, und die Messe sei gerade in der Überschaubarkeit stark. Expansionen sieht sie eher in neuen Formaten wie der angegliederten Kunstbuchmesse und dem zauberhaften Skulpturenpark.
10. Chart, Kopenhagen, 26.-28.8.2022
veröffentlicht in: Die Presse, 28.8.2022