Prächtige Kronleuchter an den Decken, üppige Ornamente an den Wänden und gut einhundert internationale Galerien inmitten einer märchenhaften Kulisse – so kennen wir die Art Dubai. Dieses Jahr allerdings ist alles anders. Erstmals gastiert dieser wichtigste Kunsthandelsplatz des Nahen Ostens nicht mehr im Luxushotel, sondern in schnöden, weißen Zelten. Statt in Strandnähe stehen die Zelte im DIFC (Dubai International Finance Centrum).
Welch ein Kontrast – und doch ist es ein naheliegender Schritt. Denn erstens sollte die 2007 unter dem Namen Gulf Art Fair gegründete Messe ursprünglich genau hier stattfinden. Damals war das Zentrum noch im Rohbau, also wich man in das Luxushotel Madinat Jumeirah aus und blieb dort. Zweitens können die fensterlosen Kongressräume des Hotels jetzt in Zeiten der Pandemie nicht für die notwendigen Maßnahmen wie Luftzirkulation und Abstand adaptiert werden. Und nicht zuletzt ist die Zahl der Galerien der 14. Art Dubai um gut die Hälfte auf 50 Teilnehmer geschrumpft. So landet die Messe also zwischen den riesigen Bürotürmen im beeindruckenden Hochhauszentrum mitten im Finanzherzen von Dubai.
Aber braucht es in dieser Zeit wirklich eine Kunstmesse? Die Antwort kommt aus dem Haus des Herrschers: Ja, unbedingt! Das ist übrigens die einzige Einmischung der Regierung in die Belange der Messe und deren Gäste. Verträge, wie sie unlängst für Influencer und ihre zwanghaften Jubelberichte bekannt wurden, existieren für die Art Dubai nicht. Nicht nur die Messe, auch die Gallery Night am nächsten Wochenende und die Expo 2020 Dubai in Oktober sollen stattfinden, denn kulturelle Veranstaltungen sind wichtig für die lokale Gemeinschaft – und kurbeln den Tourismus an. Der liegt noch immer massiv unter den prä-pandemischen Zahlen, obwohl in Dubai alle Geschäfte und Restaurants geöffnet sind und man für die Einreise nur einen negativen PCR-Test benötigt. In den Emiraten sind mittlerweile 60 Prozent der 9.6 Millionen Einwohner geimpft, was zusammen mit der strengen Regel, auch auf den Straßen Masken zu tragen, zum deutlichen Rückgang der Neuinfektionen führt.
Trotzdem war lange nicht klar, ob diese 14. Art Dubai überhaupt stattfinden kann, „wir hatten jeden Tage eine völlig neue Situation und mussten immer neue Lösungen finden“, erinnert sich Pablo del Val, künstlerischer Leiter der Art Dubai, an die turbulenten letzten Wochen. Erst Anfang Februar wird der neue Standort der Messe fixiert. Wie viele Galerien teilnehmen, wie groß die Stände werden, ist da noch längst nicht geklärt. 25 Quadratmeter bietet del Val den Galerien zunächst an – was einigen entschieden zu klein ist. Andere fürchten, nicht anreisen zu können, wofür es zwar ein Hybrid-Modell mit einer professionellen Standbetreuung statt vor Ort-Präsenz gibt, das aber nur sechs Galerien zusagen.
Schlussendlich melden sich 50 Teilnehmer aus 31 Ländern zur 14. Art Dubai an – am allerletzten Tag der Meldefrist, wie del Val im Trubel der Eröffnung erzählt. Und ergänzt, dass sich auch die Besucher unberechenbar verhalten. „Vor drei Tagen standen wir kurz vor einem Kollaps“, da hätte kaum jemand einen Besuchstermin reserviert. Dann sind die Slots plötzlich ausgebucht. Zur Eröffnung drängeln sich dann die Gäste in den drei Zelten. Die Verteilung der Galerien folge einem „flow“, erklärt del Val. Der erinnert allerdings eher an eine Hierarchie, die wenigen europäischen Galerien sind mit ihren großen Ständen im Hauptzelt untergebracht, wo es dementsprechend geschäftig zugeht. Halle C dagegen erschreckt mit Ständen voller bunter, plakativer und dekorativer Kunst. Die gibt es auf der Art Dubai immer, aber derartig zusammengepackt irritiert es doch sehr. Das bewährte Versprechen dieser Messe, hier außergewöhnliche Werke aus dem Nahen Osten zu finden, ist diesmal eine besondere Herausforderung, da die meisten Galerien auf Sicherheit setzen und figürliche, oft im Stil der Moderne gehaltene, recht konservative Malerei anbieten. Offenbar rechnen die Galerien kaum mit europäischen Käufern, die deutlich experimentellere Kunst bevorzugen – von denen dann allerdings doch erstaunlich viele anreisen und damit die Quarantäne bei der Rückkehr in ihre Länder in Kauf nehmen. Viele freuen sich offensichtlich, endlich wieder Kunst multisensorisch erleben zu können. Manche haben seit Monaten keine Kunst mehr gekauft und erzählen, wie aufgeregt sie sind, das Gesparte hier endlich ausgeben zu können – wofür sie die vorab zugesandten, ausführlichen Unterlagen zu allen ausgestellten Werken genau studierten. Großes Interesse zieht Anish Kapoors magisch-blaues Wandobjekt bei der französischen Galerie Perrotin auf sich, das mit 750.000 Euro am oberen Preislimit liegt. Verkaufen kann die italienische Galerie Continua schon in den ersten Stunden eine Serie der indischen Künstlerin Shilpa Gupta für 50.000. Auch die Selbstportraits des 1934 in Syrien geborenen, in Berlin 2016 gestorbenen Malers Marwan, dessen Zeichnungen am Stand der Meem Gallery aus Dubai bereits bei 1.500 Euro beginnen, wird viel nachgefragt.
Zu entdecken sind die Werke von Ruba Salameh, vertreten von der palästinensischen Zawyeh Gallery aus Ramallah. Über die perfekten, geometrischen Formen ihrer großformatigen Bilder krabbeln kleine, mit Acryl gemalte, täuschend echte Ameisen (ab 8000,- Euro). Im Subtext dieser Werke, so erklärt der Galerist, stehen die strengen Formen für Kolonialismus und Okkupation, während die Ameisen die ursprünglichen Bewohner sind. Entstanden sind die Werke übrigens in Berlin, denn die Künstlerin residiert dort gerade im Rahmen eines Projektes.
Aber können die Galerien ihre Kosten dieses Jahr auf der Art Dubai tatsächlich einspielen? Um diese Unsicherheit zu entschärfen, bietet die Messe den Galerien ein spezielles System: Gezahlt wird in Relation zu den Verkäufen. Wer nichts verkauft, zahlt nichts. Wer verkauft, zahlt anteilig bis zur vollen Standmiete. Und del Val ist sich sicher, dass alle auf ihre Kosten kommen. Er hofft auf neue Kunden aus den umliegenden Firmenbüros, von Private Banking bis zu Stiftungen – und aus den umliegenden Restaurants, die zu den besten der Stadt gehören, wie er hinzufügt. Auf dem Weg zum Lunch kann dann schnell mittels eines überall prominent angebrachten QR-Codes ein Termin gebucht werden. Außerdem startet das Art Dubai-Team die „Dubai Collection“, eine Schirmkonstruktion für neue und bestehende Kunstsammlungen. Berater suchen auf der Messe Ankäufe für die Mitglieder aus, rund 1 Millionen Euro Ankaufsbudget wird kolportiert – eine Unterstützung für die Messe, aber auch eine wichtige lokale Initiative, wie del Val betont: Es sei ein „offener Club mit Regeln“, wodurch eine hohe Qualität der Sammlungen vieler Privatsammler, aber auch Firmensammlungen garantiert werden soll. Geplant sei, die Höhepunkte dieser Sammlungen mit Ausstellungen auf Reisen zu schicken und vielleicht sogar ein eigenes Museum dafür zu schaffen. Aber das ist noch Zukunftsmusik, bis dahin muss erst einmal die Art Dubai wieder zu ihrer vollen Größe finden.
14. Art Dubai, 29.3.-3.4.2021
veröffentlicht in: WELT, 3.April 2021