Eigentlich hätte die 17. Architektur Biennale Venedig im Mai eröffnen sollen. Mehr als 60 Länder hatten ihre Teilnahme zugesagt – fünf weniger als noch 2016. Durch die Corona-Pandemie musste der Veranstaltungsbeginn verschoben werden. Da viele Teilnehmer nicht hätten anreisen können, seien sie „nicht bereit, eine unvollständige Ausstellung zu eröffnen“, hieß es aus dem Biennale-Büro. Also sollte die Weltausstellung am 29. August beginnen, verkürzt auf nur drei Monate. Dann kam die nächste Absage: verschoben auf 2021 (22.5.-21.11.2021). Die Kunstbiennale wird dementsprechend 2022 stattfinden.
Wie sind die Länder, die Kuratoren und Architekten-Teams der 17. Architektur Biennale mit der unsicheren Situation bisher umgegangen? Zentrales Thema für alle Länderpavillons und die Hauptausstellung ist „Wie werden wir zusammenleben?“ Diese durch COVID19 und die weltweiten lockdown-Umstände unerwartet aktuelle Frage gab Hashim Sarkis, Leiter der MIT Schule für Architektur und Planung, als Hauptkurator geradezu prophetisch schon letztes Jahr aus. Gerade erschien in der MIT Press „The World as an Architectural Project“, Sarkis ist Mitherausgeber. Die These: Architektur kann neue Perspektiven auf globale Probleme geben. Sechs Jahre recherchierte er zusammen mit Kollegen 50 Architekturprojekte, die neue Modelle des Zusammenlebens vorschlagen. Kaum eines ist auf die Nachcorona-Zeit anzuwenden, da in dem Buch von einer globalen Architektur ausgegangen wird. Jetzt aber steht Deglobalisierung zur Debatte, eine neue Regionalität und das Ende der Smart Cities – wird Sarkis darauf reagieren? Vor wenigen Wochen gab Google ihr großes Vorzeigeprojekt auf, die geplante Smart City in Toronto, eine Idealstadt im digitalen Zeitalter mit Zentralsteuerung und gigantischer Datensammlung. Alles sollte dort miteinander vernetzt sein. Das Aus kam laut Pressemitteilung aufgrund der wirtschaftlichen Unsicherheiten im Zuge der Pandemie. Werden Konsequenzen einer Verwirtschaftlichung von Städten in Venedig nächstes Jahr zur Debatte stehen? Werden wir Vorschläge für eine Postcorona-Büroarchitektur sehen, für einen lockdown-fähigen Wohnbau? Wahrscheinlich nichts davon, die Liste der 114 Aussteller aus 62 Ländern wurde seit der Ankündigung nicht mehr aktualisiert. Interviews mit Sarkis fanden bisher nicht statt. Aber jetzt steht ihm ja fast ein Jahr für weitere Adaptierungen bevor.
Während die Hauptausstellung der 17. Architektur Biennale bisher offenbar unflexibel blieb, hatten sich einzelne Pavillons schon auf einen Plan B vorbereitet: der Weg in das Digitale. Der deutsche Beitrag steht unter dem Titel „2038. Die Neue Gelassenheit – Geschichte“ und sei ein „lösungs-optimistischer Rückblick aus der Zukunft“, heißt es. Ausgangspunkt ist das Jahr 2038, in dem „wir die großen Krisen gemeistert“ haben, also die „globalen, ökonomischen und ökologischen Katastrophen“. „Wir leben in einer radikalen Demokratie, einer radikalen Bürokratie.“ Der Pavillon soll in Kollaboration mit einem Netzwerk venezianischer Bürger und Spezialisten mit dem Ziel der Wiederverwertung vorhandener Materialien gestaltet werden. Noch geht alles nach Plan, eine digitale Version des Pavillons sei eh von Anfang an geplant gewesen, heißt es auf Anfrage. Einige Sponsoren und Anzeigenkunden des Katalogs „Arts oft he working class“ sind zwar aus wirtschaftlichen Gründen abgesprungen, aber es fanden sich neue – die erste Auflage sollte eigentlich schon im Sommer 2020 erscheinen.
Hochaktuell in den durch COVID19 geschlossenen Grenzen ist das Thema der Schweiz: „Wie erlebt man die Grenze?“ fragen sie. Sie wollen das Aussehen und die „sensorische Wahrnehmung“ der Grenze „unter die Lupe nehmen“ und die verschiedenen Aspekte in Venedig und der Schweiz zugleich rekonstruieren. Ob da auch Geschichten während des Lockdown einfließen werden?
Die USA plant unter dem Titel „American Framing“ einen Rückblick auf die 1930er Jahre, auf die Geschiche der Holzarchitektur und den Bau des US-Pavillons in Venedig. Dafür soll eine vierstöckige Architektur vor Ort gebaut werden – ob das weiterhin umgesetzt werden wird, nachdem die USA durch die hohe Arbeitslosigkeit in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage ist?
Für Kanada wäre der Weg ins Digitale einfach geworden: Sie wollen den neurenovierten Pavillon grün einfärben und einen Film zeigen. Thema ist „Impostor Cities“: „Impostor cities is about cultural identity, and it’s about faking it,’ wird David Theodore vom Kuratorenteam in designboom zitiert, „it’s about architecture as cinema as a form of new materialism. we’ve been fascinated by the thousands of film and TV productions in canada where our cities double as other cities on screen.“ Mit der Chorma-Key-Technologie sollte jede Woche ein kanadisches Wahrzeichen des Platz des Pavillons in Venedig einnehmen.
England plant einen „Garden of Privatised Delights“: In den Räumen sollen neue Modelle für den Öffentlichen Raum zu sehen sein, die Fillme hätten online gezeigt werden können.
Auch die beiden österreichischen Kuratoren Peter Mörtenböck und Helge Mooshammer planten schon um: Ihr Thema des „Plattform-Urbanismus“ sei „jetzt noch brisanter geworden“, erklären sie im ZOOM-Gespräch. Denn sie fragen, ob digitale Plattformen wie Google oder Facebook die Zukunft der Städte prägen werden, ob virtuelle Verbindungen wichtiger werden als unser Leben vor Ort. Werden digitale Plattformen wie Lieferservices die gebaute Form von Städten als Organisationsstruktur ablösen? Wieviel sozialer Austausch wird im realen Stadtraum übrigbleiben? Welche Formen von Gemeinschaft streben wir an? Dazu sollten eigentlich im Pavillon Blogger vor Ort arbeiten – die in Corona-Zeiten auch von zuhause teilnehmen könnten. Ihre Beiträge wären dann entweder im Pavillon auf Bildschirme oder notfalls im digitalen Pavillon publiziert. Auch die Diskussionen zum zentralen Thema hätte online stattfinden können. Und die Pavillonumbauten von mostlikely? Zwischenzeitlich war eine Depandance in Wien geplant, ob das ad acta gelegt wurde?
Einen klaren Schritt setzte Russland: Sie verlegten ihre Teilnahme schon vorab ins Netz und änderten den Titel von „Open!“ in eine Frage: „Open?“ Im Juni sollen Mikhail Maximovs Videospiel für die Biennale bereitstehen, um virtuell im postapokalyptischen, verwüteten Giardini-Gelände herumzuwandern. Und bereits Mitte April reagierte Australien bereits radikal: Um die Gesundheit ihres Teams zu sichern, ist der Auftritt in Venedig abgesagt. Der Beitrag über die Verbindungen der indigenen Kulturen des Kontinents soll „anderernorts in sicherer Umgebung“ gezeigt werden, die gesparten Gelder kommen der Corona-Bekämpfung zugute, heißt es im Kommuniqué.