18. Architektur Biennale Venedig: Neues aus Afrika?

23. Mai. 2023 in Biennalen

Twenty Nine Studio / Sammy Baloji. 18th International Architecture Exhibition – La Biennale di Venezia, The laboratory of the Future. Foto Andrea Avezzù

Die 18. Architektur Biennale hat eröffnet – und zeigt ein völlig neues Verständnis dieser Kunst der Raumgestaltung.

Vorbei die Zeit der Stararchitekten, die alles hinter ihrem großen Namen verschwinden lassen. Auf der 18. Architektur Biennale in Venedig hat ein Generationswechsel stattgefunden. Und der setzt auf einen Chor der Vielen. Ihr Anliegen ist nicht der große Entwurf, sondern ein Umbruch im Denken. Und Handeln. Dabei steht auch die Idee von Architektur zur Diskussion, die nicht mehr im Formen von Raum, sondern im Lösen gesellschaftlicher Probleme besteht. Nahezu jeder der 64 Länderpavillons thematisiert die Nutzung lokaler Ressourcen, die Wiederbelebung alten Handwerks, die Optimierung traditionellen Wissens.

Usbekistan, „Archaismus versus Moderne“. 18th International Architecture Exhibition – La Biennale di Venezia, The laboratory of the Future. Foto Andrea Avezzù

Da führt etwa ein enger, dunkler Gang zwischen hohen Ziegelsteinmauern labyrinthisch in einen kleinen Raum. Hier läuft ein Video, projiziert auf die Mauer. Es zeigt Momentaufnahmen von Usbekistans architektonischem Erbe, wir sehen historische Burganlagen bis zu modernistischen Gebäuden im Sowjetstil. „Archaismus versus Moderne“ lautet der Titel – und der kann über vielen Beiträgen im Arsenale und in den Giardini stehen. Usbekistan besinnt sich auf die historische Ziegelproduktion und das fast ausgestorbene Handwerk der strahlend blauen Keramikglasuren. Wenige Schritte weiter zeigt Saudi-Arabien eine zauberhaft schöne Lichtskulptur aus 3-D-gedruckten Lehmziegeln. Nebenan untersuchen die Vereinigten Arabischen Emirate die dominante Eigenschaften des Wüstenstaates, nämlich Trockenheit: als „Raum der Fülle“. Eine Trockensteinmauer füllt ihren Raum im Arsenale, angereichert mit usbekischen Terrakottafragmenten.

IRTH إرث , National Pavilion of Saudi Arabia at the 18th International Architecture Exhibition – La Biennale di Venezia, 2023. @venicedocumentationproject
Courtesy of Ministry of Culture

Aridly Abundant,2023. Image Courtesy of National Pavilion UAE – La Biennale di Venezia. Photo by Ismail Noor of Seeing Things. وفرة قاحلة، 2023

Das alles sind keine neuen Techniken, sicherlich – aber genau darum geht es heuer in Venedig. Dänemark etwa zeigt eine intensive Recherche, wie Städte auf den steigenden Meeresspiegel reagieren können. Nicht die Innovationen interessieren hier, sondern die Kooperationen. Wie kann die Architektur ein kollektives Verständnis vom Bauen entwickelt, was aus altem Wissen lernen, um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern? Es gibt auch einige konkrete Lösungsvorschläge wie im Beitrag des arabischen Inselstaats Bahrain: Dort wird das Kondenswasser der Klimaanlagen großer Hotels gesammelt und über einfache Wege zur Bewässerung der Landwirtschaft eingesetzt. Oder die Optimierung einfacher Plums-WCs im Finnischen Pavillon. Im Nordischen Pavillon wird das umfassende Archiv des indigenen, über die skandinavischen Länder verteilt lebenden Volkes der Sami in einer fröhlich gebastelten Landschaft aus Regalen und Zelten ausgebreitet, im Belgischen Pavillon werden Pilze kultiviert.

Pavilion of Spain. FOODSCAPE ©Pedro Pegenaute

Erstaunlich bei diesen Beiträgen ist der Fakt, das bei diesem Ansatz die Kritik am Nationaldenken offenbar erledigt ist. Im Gegenteil: Die Nationen beschäftigen sich intensiver als je zuvor mit sich selbst. In den meisten Beiträgen werden keine futuristischen, utopischen oder visionären Welten entwickelt, sondern lokale Ressourcen recherchiert. Oder wie im Spanischen Pavillon mit dem intensiven Gemüseanbau Problemzonen in den Blick gerückt. Statt wie noch vor wenigen Jahren große Theorien zu entwickeln, steht jetzt das Handeln im Zentrum. Damit reagieren die Pavillons auch klar auf das zentrale Thema, das heuer „Das Labor der Zukunft“ lautet.

Wolff Architects. 18. Architektur Biennale Venedig. Foto Marco Zorzanello

Ausgegeben Lesley Lokko, öffnet es ein weit offenes Feld, in dem die Generalkommissarin einen Schwerpunkt auf Kohlenstoff-Reduzierung und Dekolonisierung, Klimawandel und damit verbundene zukünftige Probleme legt. 1964 als Tochter eines ghanaischen Chirurgen und einer schottischen  Mutter geboren, wuchs sie in Ghana auf, studierte Architektur und publizierte 2000 ein weithin beachtetes Buch über Rasse, Kultur und Architektur. Seit 2004 schreibt sie Romane und gründete 2021 in Ghana die Architekturschule „African Futures Institute“. In Afrika seien „Konflikte und Lösungen zu den Themen Klimawandel, Ökologie, Datennutzung, neue Modelle von Besitz“ sichtbarer und werden oft experimentell angegangen, erklärt sie in einem Interview. Mit ihrer Ernennung liegt erstmals ein starker Fokus auf Afrika und der afrikanischen Diaspora.

Olalekan Jeyifous, 18th International Architecture Exhibition – La Biennale di Venezia, The laboratory of the FutureFoto Matteo de Mayda

Lässt sich das in ihrer Ausstellung im Arsenale und in den Giardini ablesen? Fünfzig Prozent der 89 Teilnehmern stammen aus dem afrikanischen Raum. Lokko spricht von „Praktikern“, nicht von Architekten, denn es brauche ein neues, Immaterielles einbeziehendes Verständnis des Berufs bzw. des Begriffs – weswegen sie für ihren Beitrag auch Poeten und Filmemacher, auch Künstler wie Theaster Gates einlud. Vieles erinnert hier eher an eine Kunst- als an eine Architekturbiennale, aber diese Aufweichung der Grenzen ist auf allen Ebenen Programm. Ein geheimes Wissen in Afrika lässt sich dort nicht finden, aber es ist beachtlich, wie breitgefächert die Beiträge aus Afrika sind.

Partecipazione / Beteiligung. AKT & Hermann Czech, Austrian Pavilion, Biennale Architettura 2023. Foto Clelia Cadamuro

Auch hier dominiert die Idee der Rückblicke für eine bessere Zukunft, in der Kooperation das Schlüsselwort ist – was im beeindruckend konzentriert präsentierten Beitrag im Österreichischen Pavillon dann noch einmal eine ganz andere Wendung erhält. Das 17köpfige Architekturteam AKT plante zusammen mit Stararchitekt Hermann Czech, die Biennale zum kleinen Stadtteil St. Elena hin zu öffnen. Sie wollten den Einwohnern jenseits der Mauer im rechten Teil des Pavillons einen frei zugänglichen Versammlungsraum bereitstellen. Aber weder durfte die Mauer durchbrochen noch eine Brücke gebaut werden. Denkmalschutz, die Angst vor einer Privatisierung des Biennale-Raums und zuletzt die Sorge, einen Präzidenzfall zu schaffen, verhinderten das Konzept.
Stattdessen ist jetzt im rechten Raum eine Bühne aus Baugerüsten aufgebauten und der Zugang von allen Seiten versperrt. Im Eingang erinnert der Pavillon an eine Baustelle, im linken Raum ist der Planungs- und Ablehnungsprozess dokumentiert, im Innenhof steht eine Treppe. Die reicht bis kurz vor der Außenmauer. Die andere Seite fehlt.

Partecipazione / Beteiligung. AKT & Hermann Czech, Austrian Pavilion, Biennale Architettura 2023. Foto Clelia Cadamuro

So sei ihre Botschaft noch klarer, erklärte Czech bei der Pressekonferenz: „Die Biennale hat komplexe Probleme aufgeschaukelt“, die Bevölkerung werde zurückgedrängt, die Mietpreise steigen, Gemeinschaftsraum wird Hotelbauten geopfert. Eine „Geschichte in einer Geschichte“ nennt Vizekanzler Werner Kogler die ausgestellten Dokumentationen des Prozesses zur Eröffnung. Ihr Beitrag sei laut Czech ein „Bohren von dicken Brettern“ – was für die meisten der auf der 18. Architektur Biennale angesprochenen Probleme zutrifft. Und auch hier liegt die Lösung nicht in dem einen Entwurf, sondern in einem gemeinschaftlich zu stemmenden Weg.

Der Deutsche Pavillon als Materialldepot
Open for Maintenance © ARCH+ SUMMACUMFEMMER BUERO JULIANE GREB

 

Die neue inklusive Zugangsrampe zum Deutschen Pavillon
Open for Maintenance © ARCH+ SUMMACUMFEMMER BUERO JULIANE GREB

Neighbours, Karin Sander, Philip Ursprung, Swiss Pavilion, 18th International Architecture Biennale – La Biennale di Venezia, Photo © Samuele Cherubini

Floor Plan Configuration, 2023. Floor plan based on the original drawings by Carlo Scarpa and Bruno Giacometti. Scale 1: 3,75, Carpet, 100% wool, 9,3 x 16,8m. © Karin Sander, VG Bild-Kunst Bonn, 2023. Neighbours, Karin Sander, Philip Ursprung, Swiss Pavilion, 18th International Architecture Biennale – La Biennale di Venezia, Photo © Samuele Cherubini

18. Architektur Biennale, 20.5.- 26.11.2023
veröffentlicht in: Die Presse, 20.5.2023