20. BMW Art Car: Julie Mehretu

11. Jul. 2023 in Kunstmarkt, News

ulie Mehretu at the Rolex 24 at DAYTONA, 2023. © Julian Kroeh

Gerade wurde im New Yorker Guggenheim feierlich der 20. BMW Art Car angekündigt: Der Rennwagen wird von Julie Mehretu gestaltet. Im Juni 2024 wird dann ihr rasendes Kunstwerk  beim 24-Stunden-Rennen in Le Mans mitfahren.

Julie Mehretu, Stadia I. Foto Richard Stoner. Collection San Francisco MoMA. Courtesy Marian Goodman Gallery © Julie Mehretu

Rennwagen sollen Rennen gewinnen. Die ästhetischen Qualitäten der Karosserie spielen dabei kaum eine Rolle. Meist sind die Flächen mit Firmenfarben und -logos bedeckt. Alle paar Jahre allerdings fährt bei manchen Rennen eine rasende Leinwand mit. Denn seit 1975 beauftragt der deutsche Autohersteller BMW Künstler damit, eine ausgewählte Karosserie frei zu gestalten. Neunzehn dieser BMW Art Cars fuhren so bereits Rennen. Jetzt wurde feierlich im Guggenheim Museum New York der 20. BMW Art Car angekündigt: Die in New York lebende, 1970 in Äthiopien geborene Malerin Julie Mehretu wird für den BMW M Hybrid V8 ein neues Kleid entwerfen. Nur 1000 Kilogramm schwer mit einer Spitzengeschwindigkeit von 345 Kilometer soll der Prototyp im Juni 2024 beim 24-Stunden-Rennen in Le Mans mitfahren. Bis dahin muss Mehretu die prächtige Rennmaschine in ein edles Kunstwerk verwandelt haben. Bekannt ist die Malerin für ihre dynamischen Abstraktionen, die aus vielen Schichten entstehen, durchzogen von einzelnen dominanten Linien, die von Architekturen, aber auch Fotografien von Aufständen inspiriert sind. Ihre New Yorker Galerie beschreibt es als eine „Psychographie von Raum“, die Preise für die Großformate liegen im Millionenbereich. Bei der Ankündigung im Guggenheim Museum in New York sprach Mehretu von der „Unschärfe und Unsicherheit“, die sie bei ihrem ersten Besuch eines Autorennens erlebte und die sie künstlerisch „erforschen möchte“, wie sie es in New York formulierte. Was genau sie plant, wollte sie uns noch nicht verraten, nur so viel: Um die Geschwindigkeit des Rennwagens nicht zu beinträchtigen, werde sie mit dünnen Folien und Airbrush arbeiten. Denn ihr Wagen soll gewinnen.

1 BMW Art Car: Alexander Calder. Courtesy BMW AG

Motorsport und Kunst – diese unkonventionelle Paarung geht auf den französischen Rennfahrer, Auktionator und Freund vieler Künstler Hervé Poulain zurück. Er fragte BMW Anfang der 1970er Jahre, ob er nicht einmal ein Rennen mit einem künstlerisch gestalteten Wagen fahren könne. Beauftragt wurde Alexander Calder, dessen rot-orange gefärbter BMW 3.0 CSL beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans schnell zum Publikumsliebling wurde. Damit war das Projekt der BMW Art Cars geboren: 1976 überzog Frank Stella dasselbe Modell mit einem schwarz-weißen Raster. Es folgten Roy Liechtenstein, Andy Warhol, dessen BMW M1 1979 den Gruppensieg des 24-Stunden-Rennens erzielte, 1991 mit Esther Mahlangu erstmals eine Künstlerin.

12. BMW Art Car: Esther Mahlangu ® BMW AG

1999 schrieb Jenny Holzer „Protect Me From What I Want“ auf die Motorhaube des V12 LMR, 2010 färbte Jeff Koons den BMW M3 GT2 bunt ein – dieses Modell musste allerdings nach 60 Runden wegen technischer Probleme aus dem Rennen genommen werden. Am radikalsten löste Olafur Eliasson 2007 die Aufgabe: Er gestaltete einen Prototyp des H2R, eines rein mit Wasserstoff betriebenen Fahrzeugs, das bei Testfahrten jegliche Geschwindigkeitsrekorde brach. Allerdings nahm der Künstler die Carbonfaser-verstärkte Außenhaut des Rennwagen ab, zog ein Metallnetz mit dreieckigen Metall-Plättchen über den Wagen, entfernte die Reifen und sämtliche Logos, sprühte 2000 Liter Wasser darüber – und fror alles ein. Präsentiert wird sein Modell in einem riesigen Kühlschrank: eingefrorene Mobilität.

16. BMW Art Car: Olafur Eliasson. ® BMW Group u. Olafur Eliasson

Ob als Gemälde oder als Statement, die BMW Art Cars gehören in die Kategorie Auftragskunst. Seit Jahrhunderten werden Künstler für Repräsentationswerke beauftragt, früher von Päpsten und Fürsten, heute von Museen bis zu Unternehmen. Ohne Auftraggeber ist unsere Kunstgeschichte nicht denkbar. Manche erklären die Auftraggeber sogar für ebenso wichtig für die Kunstgeschichte wie die Künstler selbst. Heute boomt die Auftragskunst wie nie zuvor. Denn Kunst kann nahezu alles aufwerten. Was aber interessiert Künstler an dieser Zusammenarbeit? Immer wieder erhält man hier die Antwort, solche Aufträge seien eine spannende Herausforderung, gänzlich andere Werke zu entwickeln, die im Atelier so niemals entstanden wären. Genau das gilt auch für den neuesten BMW Art Car. Die Künstler haben „absolute Freiheit in ihren Entscheidungen“, betont Thomas Girst, Leiter von BMW Kulturengagement im Gespräch, es gehe „um den künstlerischen Gehalt der Partnerschaft“. Und genau das nutzt Julie Mehretu. Sie wird nicht nur die graue Carbon-Karosserie des Rennwagens verwandeln, die jetzt in der Rohfassung wie eine gewaltige Kampfmaschine erscheint. Sie will den Auftrag vor allem für eine panafrikanisch „translokale Media-Workshop-Serie“ durch zehn afrikanische Städte von Kairo über Tangier bis Johannesburg nutzen. Vielleicht wird der BMW Art Car die Tour sogar begleiten, was allerdings eine logistische Herausforderung sei, wie Timo Resch von BMW zugibt. Vielleicht wird Mehretu den Rennwagen auch einmal selbst fahren, denn auch das verbindet sie mit diesem Auftrag: einen Anreiz für mehr weibliche Rennfahrer zu schaffen.

Julie Mehretu im Guggenheim Museum, New York, Juni 2023. Courtesy BMW AG

veröffentlicht in: Die Presse, 2.7.2023