Am 8. Mai läuteten in Brügge fünfzehn Minuten lang die Glocken aller Kirchen. Das außergewöhnliche Konzert galt der Brügge Triennale, die der Pandemie zum Trotz mit 13 neuproduzierten Werken im öffentlichen Raum eröffnete. Es ist die dritte Ausgabe dieser Veranstaltung, die 2015 erstmals stattfand. Damals stand der Overtourismus in der mittelalterlichen Stadt im Fokus: In Prä-Corona-Zeiten wurde die kleine Stadt jährlich von rund 5 Millionen Touristen überrannt. Die 120.000 Einwohner dagegen mieden die historische Altstadt weitgehend. Dort leben nur 22.000 Menschen, die Straßen sind am Abend leer. Ziel der 2. Brügge Triennale 2018 war es dann, das Lebensgefühl für die Einwohner in der Altstadt zu verbessern. Von den damals 14 Beiträgen stammten 11 von Architekten oder waren architektonisch angelegt, eine Floating-School, eine Brücke, eine schwimmende Plattform. Die dritte Ausgabe jetzt ist weitaus bildlicher angelegt. Titel und Thema ist „TraumA“ – ein Wortspiel zwischen Traum und Trauma, das mit der Pandemie eine überraschende Aktualität erhielt. Immer wieder hätten sie gezweifelt, ob dieser Titel gerade jetzt sinnvoll wäre, erzählt Els Wuyts, die zu dem vierköpfigen Kuratorenteam gehört. Aber es fasst perfekt die Werke zusammen, von denen manche wie Hans op de Beecks Beitrag sehr deutlich werden: Gleich neben dem Portal der historischen Sint-Maatensplein-Kirche steht sein Karussell. Auf den Pferden sitzt der Tod, auf dem Boden stehen Tabletts mit Krügen und Früchten. Alles ist grau. Verstaubt. Die Party ist vorbei. Eine riesige, zum Kreis geschlossene Bank voller Stahlstacheln auf den Sitzen von Nadia Kaabi-Linke lässt über (gesellschaftlichen) Ein- und Ausschluss nachdenken und Gijs Van Varenbergh hat in einem kleinen Park am nördlichen Ende der Altstadt einen Wald aus dicken Metallrohren installiert, eine massive, alptraumhaft-labyrinthische Landschaft.
In einer Gracht flattern Nadia Naveaus PVC-Streifen vor merkwürdigen Einbuchtungen in einer alten Mauer, kombiniert mit maskenähnlichen Formen. Es hat dank der Farben eine überraschende Fröhlichkeit, durch die Masken aber auch einen alptraumhaften Charakter. Hier wird die Doppeldeutigkeit des Titels wunderbar eingelöst. Bis auf die visuell und inhaltlich kaum überzeugende Folie aus viel zu grob vergrößerten Stoffstreifen von Amanda Browder funktioniert der thematische Schwerpunkt auf dieser 3. Brügge Triennale überzeugend, denn damit werden der manchmal kulissenhaft wirkenden Architektur andere Bilder, eine unerwartete Stimmung hinzugefügt.
Gänzlich ohne thematischen Fokus dagegen ist die 7.Beaufort Triennale (benannt nach dem Erfinder der Skala für Windstärken) angelegt. Wie schon die letzte Ausgabe 2018 so ist auch diesmal wieder Kuratorin Heidi Ballet verantwortlich. Der Kontext sei zu stark und die Produktionsbedingungen zu außergewöhnlich, um den Künstler:innen ein Thema vorzugeben, erklärt sie im Gespräch – und das ist hier tatsächlich ein Gewinn. Denn diese Triennale findet an der 65 Kilometer langen, belgischen Nordseeküste zwischen De Panne und Knokke statt. Die Werke werden eigens produziert in enger Absprache mit den jeweiligen Gemeinden, die auch mit mindesten 20.000 Euro co-finanzieren und teilweise die Werke ankaufen. So ist im Laufe der bisherigen Ausgaben ein Parcours von 31 beeindruckenden Skulpturen im öffentlichen Raum entstanden, am Strand, auf der Promenade, sogar im Meer. Dieses Jahr führt uns die Tour, die man bequem mit der Straßenbahn oder per Fahrrad abfahren kann, in zehn Ortschaften mit insgesamt 20 Werken. Während Nicolas Lamas seine spiegelnde Auffächerung der europäischen Länder unter dem Titel „Unstable Territories“ in einen kleinen Park in Bredene stellt und Jimmie Durhams Skulptur eines Vogels auf einer hohen Stahlstange in einem Kreisverkehr in De Haan steht, haben sich die anderen Künstler:innen für die Nähe zu Meer entschieden. Das ist eine große Herausforderung, an der Rafaela Vogel mit ihren beiden Giraffen scheitert: Die Tiere stehen auf einem Küchen- und einem Kühlschrank und halten ein Band mit den Worten „There are indeed medium-sized narratives“. Es soll eine Antwort auf die oft viel zu großen Denkmäler sein, ist aber inhaltlich überladen und gleich neben der Promenade von Middelkerke-Westende entschieden zu kleinformatig.
Auch Michael Rakowitz entschied sich für eine neue Form eines Kriegsdenkmals, allerdings in extrem reduzierter Form: Er bat die belgische Bevölkerung um die Spende eines mit dem 2. Weltkrieg verbundenen Gegenstands, die er dann in einen rauen, in der Form an einen Meteoriten erinnernden Betonstein eingießen ließ. Eigentlich sollte dieser Stein wie ein Schiffswrack im Meer liegen, was aber strengsten verboten ist. Jetzt wartet er am Strand von De Panne auf den steigenden Meeresspiegel – ein Thema, das Rose Barba in ihrer Skulptur „Pillage of the sea“ am Strand von Ostende mit ihrer furiosen Skulptur aufgreift: Elf in Beton nachgegossene Sandsäcken, wie sie zum Schutz gegen Hochwasser verwendet werden, bilden eine Säule. Jede Form ist mit Städtenamen beschriftet, von Buenos Aires über Chennai, Dublin, Jakarta Havanna bis Algier: Städte, die von dem steigenden Meeresspiegel bedroht werden.
Selten ist dieses Thema derartig beeindruckend künstlerisch verbildlicht worden – und dies um so mehr, wenn sich bei Flut die Wellen an der Skulptur brechen. Großartig auch Laure Provousts aus Bronze gegossener, fünf Meter großer Tintenfisch in De Panne, der halb im Sand verbuddelt ist. Einer der acht Tentakel hält eine Glühbirne hoch, einer wirft einen Stein, ein anderer hält eine Fahne mit den Worten „Ideally you would sea where to go“. Ein vermenschlichter Meeresbewohner, der uns neue Wege weist? Und in einer Dünenmulde liegen völlig unerwartet viele Beton-Bälle, die Heide Voet in der Sternenkonstellation vom 7.11.2021 arrangiert hat – dem letzten Tag der Triennale. Ob dann einige der Werke im Sand versunken sein werden?
veröffentlicht in: Kunstforum Bd. 276, Sept./ Okt. 2021
- Brügge Triennale, 8.5.-24.10.2021
- Beaufort Triennale, 26. Mai- 7. November 2021