3. Vienna Biennale: Schöne Neue Werte

24. Jun. 2019 in Biennalen

KLIMAWANDEL! Vom Massenkonsum zur nachhaltigen Qualitätsgesellschaft v.l.n.r.: EOOS, Greenfreeze 2, 2019; Küchenkuh, 2019 MAK DESIGN LAB. © Stefan Lux/MAK

KLIMAWANDEL!Vom Massenkonsum zur nachhaltigen Qualitätsgesellschaft. v.l.n.r.: EOOS, Greenfreeze 2, 2019; Küchenkuh, 2019 © Stefan Lux/MAK

Das 21. Jahrhundert ist die Epoche der Künstlichen Intelligenz (KI). Selbstfahrende Autos, smarte Haushalte, das chinesische Social Credit System oder die japanische Totalvernetzung – ob diese Entwicklungen zu unserem Nutzen oder zu unserem Schaden sind, muss sich noch herausstellen. Bis dahin haben wir es mit gravierenden Veränderungen zu tun, die tief in unsere Gesellschaft gehen – und hier setzt die 3. Vienna Biennale an. „Schöne neue Werte. Unsere digitale Welt gestalten“ lautet der Untertitel dieser Ausgabe.
Gegründet 2015 von MAK-Direktor Christoph Thun-Hohenstein, steht diese Biennale seither unter einer klaren Forderung: „Wenn wir eine nachhaltige, lebenswerte Zukunft wollen, dann brauchen wir einen radikalen Wandel unserer Einstellungen und Werte.“

Ausstellungsansicht SPACE AND EXPERIENCE Architektur für ein besseres Leben. Tzou Lubroth Architekten, Pavillons, 2019. MAK-Säulenhalle (1. Stock) © Peter Kainz/MAK

Ausstellungsansicht SPACE AND EXPERIENCE, Architektur für ein besseres Leben. Tzou Lubroth Architekten, Pavillons, 2019. MAK-Säulenhalle (1. Stock) © Peter Kainz/MAK

Dafür legte er die Biennale von Anfang an interdisziplinär an. Zur 3. Vienna Biennale gehören 9 Ausstellungen an 3 Standorten plus einem Satelliten in Bratislava. Das klingt gewaltig – und ist es auch. Nicht die Menge der rund 200 beteiligten Architekten, Designer, Kooperationen und Künstler, auch nicht die Distanzen zwischen den Hauptorten Museum für Angewandte Kunst (MAK), Angewandte Innovation Laboratory und Kunsthalle Wien überfordern uns. Es sind die vielen Beispiele, Informationen, Innovationen, die uns vor allem eines vor Augen führen: Wir sind völlig unvorbereitet auf die Welt, die da auf uns zukommt.

Heather Dewey-Hagborg und Chelsea E. Manning, Probably Chelsea, 2017 MAK-Ausstellungshalle © Aslan Kudrnofsky/MAK

Heather Dewey-Hagborg und Chelsea E. Manning, Probably Chelsea, 2017. MAK-Ausstellungshalle. © Aslan Kudrnofsky/MAK

Zwar beginnt die zentrale Ausstellung „Uncanny Vallues“ mit einem wunderbar anschaulichen Werk von Heather Dewey-Hagborg: Dreißig Gesichtsmasken hängen von der Ecke. Es sind Portraits der US-amerikanischen Whistleblowerin Chelsea E. Manning, die algorithmisch durch eine Analyse ihrer DNA erzeugt wurden. Hautfarbe, Nasenform, Stirnhöhe – alles variiert, DNA-Daten sind offensichtlich unendlich interpretierbar. Das ist beruhigend.

Modelle von Philipp Schmitt und Steffen Weiss, The Chair Project (Four Classics), 2019 © Philipp Schmitt und Steffen Weiss

Modelle von Philipp Schmitt und Steffen Weiss, The Chair Project (Four Classics), 2019
© Philipp Schmitt und Steffen Weiss

Humorvoll die von Philipp Schmitt & Steffen Weiss zusammen mit KI-Designern entwickelten Stuhl-Prototypen: bei einigen fehlt die Sitzfläche. Maschinen ruhen nicht. Ab da wird es dann unüberschaubar: Auf drei riesigen Monitoren sehen wir einen Wechsel von statistischen Daten und Landschaftsaufnahmen. Tega Brain, Julian Oliver und Bengt Sjölen haben einen KI-Umweltmanager programmiert, der Areale der Erde anhand der eingespeisten Geodaten von Niederschlagsmengen bis Umweltverschmutzung radikal neugestaltet. Für uns ungeschulte Betrachter sind die Konsequenzen dieser KI-getroffenen Entscheidungen allerdings nicht zu decodieren. Ähnlich ergeht es uns mit den auf Sprachassistenten, Bilderkennungsverfahren oder Deep Learning basierenden Werken.


Bildmitte: Trevor Paglen, Behold These Glorious Times!, 2017 MAK-Ausstellungshalle © Some Place Studio

Bildmitte: Trevor Paglen, Behold These Glorious Times!, 2017. MAK-Ausstellungshalle © Some Place Studio

Oft können wir die Tragweite der Technologien kaum ermessen, wenn etwa Jonas Lund die emotionalen Parameter der Besucher aufzeichnet und vergleicht. Wir geraten immer wieder in ein kognitives Paradox: Je mehr Informationen wir lesen, desto weniger verstehen wir.
Einfacher scheint es im Beitrag zur 3. Vienna Biennale der Universität für Angewandte Kunst am Franz-Josefs-Kai: Wir betreten eine bühnenhafte, düstere Bretterbuden-Inszenierung, die uns die Folgen der Umweltverschmutzung für eine Kleinstadt vor Augen führen soll – und gehen ratlos weiter ins Untergeschoß. Dort können wir in der 3-D-Installation „Noise Aquarium“ durch leichte Gewichtsverlagerung unseres Körpers ein kleines Stück Plankter, also einen Organismus des Planktons, mitten im Meer retten. So sollen wir die „Wichtigkeit der Balance von Ökosystemen“ erleben. Wenn es doch nur so einfach wäre! Versteht jemand jetzt die komplexen Funktionen von Plankton im Ökosystem der Meere, ahnt die Bedrohung dieser Organismen durch die steigende Lärmverschmutzung im Meer?

Jorit Aust: Delphine Reist, Étagère, 2007, Collection Institut d’Art Contemporain, Villeurbanne / Rhône-Alpes, Courtesy die Künstlerin; Miao Ying, Blind Spot – People, 2019, Courtesy Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder, Wien

Jorit Aust: Delphine Reist, Étagère, 2007, Collection Institut d’Art Contemporain, Villeurbanne / Rhône-Alpes, Courtesy die Künstlerin; Miao Ying, Blind Spot – People, 2019, Courtesy Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder, Wien

Ganz trendig, aber ziemlich konfus wird es in „Hysterical Mining“ in der Kunsthalle Wien und am Karlsplatz. Die 16 Künstlerinnen würden hier „feministische Methoden anwenden, um den (sexistischen) Nährboden von Technologien zu hinterfragen und testen“, lesen wir im Begleitheft. Große Worte. Kann tatsächlich die „Beziehung zwischen Technowissenschaft und Geschlecht“ mit visuellen Mitteln „neu ausgelotet“ werden? Hier jedenfalls nicht. Oder ändern Delphine Reists Bohrer und Sägen in Vitrinen, die alle paar Sekunden automatisch loslärmen, ohne damit einen Schaden anzurichten, die Geschlechterzuordnung? Und wie kann sich ein „geschlechtergerechtes und ökologisches Denken“ einstellen, wenn Tabita Rezaire in ihren Videoprojektionen gerne nackt in der hübschen Umgebung vor Wasserfällen tanzt oder Yoga vor Pyramiden vorführt?

Jorit Aust: Katrin Hornek, Casting Haze, 2018–2030, Courtesy die Künstlerin

Jorit Aust: Katrin Hornek, Casting Haze, 2018–2030, Courtesy die Künstlerin

Zumindest perfekt zu dem Thema der 3. Vienna Biennale ist Katrin Horneks Langzeitprojekt „Casting Haze“, für das sie ohne jegliche Betonung von Geschlechtszugehörigkeiten mit WissenschaftlerInnen zusammenarbeit. Ziel ist es, Kohlendioxid in einen stabilen, speicherbaren Zustand zu bringen. Am Karlsplatz liegt jetzt eine aus Ton geformte Landschaft, dazu läuft ein Promotions-Video für einen fiktiven Decarbonization-Wettbewerb, auf dem Vorhang rundum sieht man Nummuliten, also jene Organismen, die Kohlenstoff binden und in Mineralien einlagern. Diesen Anspruch, CO2 zur Skulptur zu mineralisieren, auf ´feministisch´ herunter zu brechen ist mehr als fraglich. Wieso fügen sich die Künstlerinnen hier so bereitwillig in die kuratorische Umbewertung?

FUTURE FACTORY. Urbane Produktion neu denken, Ausstellungsansicht © Peter Kainz/MAK

FUTURE FACTORY. Urbane Produktion neu denken, Ausstellungsansicht © Peter Kainz/MAK

Da bleibt nur eins: Schnell zurück in das MAK und hinein in die Design-Sektionen der 3. Vienna Biennae. Wenn die neue Welt und die neuen Werte offenbar mit künstlerischen Mitteln kaum darstellbar sind, können vielleicht die konkreten Beispiele in den 3 Design-Ausstellungen helfen? Tatsächlich wird hier der Gestaltungs-Anspruch der Biennale endlich eingelöst. 2050 werden zwei Drittel aller Menschen in Städten leben – und das benötigt ein neues Konzept für Städte. Future Factory zeigt klar und sachlich anhand von fünf konkreten Geschäftsideen Wege, wie Produktion und Wohnen im urbanen Raum verträglich sein können.

MAK DESIGN LAB Neuaufstellung anlässlich der VIENNA BIENNALE FOR CHANGE 2019 © Stefan Lux/MAK

MAK DESIGN LAB. Neuaufstellung anlässlich der VIENNA BIENNALE FOR CHANGE 2019. © Stefan Lux/MAK

Im MAK Design LB lösen 500 Objekte brennende Probleme unserer Zeit, etwa ein Filterbeutel für Mikroplastikpartikel, die beim Waschen in das Grundwasser kommen. Manches ist auch humorvoll wie Walter Pichlers „Fingerspanner“ (1967) für den permanent ausgestreckten Mittelfinger.

EOOS, Küchenkuh, 2019 © EOOS und MAK/Kristina Satori

EOOS, Küchenkuh, 2019. © EOOS und MAK/Kristina Satori

Kompakt und konkret sind auch die sechs Entwürfe des österreichischen Design-Duos EOOS, die den Weg von einer „weltzerstörerischen“ zu einer „zukunftsträchtigen“ Lebensweise vorschlagen, wie es Harald Gründl erklärte: die temporäre Stromtankstelle im öffentlichen Raum mit Verrechnung über ein Peer-to-Peer-Netzwerk, ein ausklappbares Solarmodul für Fahrzeuge oder ein modularer, mit Wolle gedämmter Kühlschrank. Bei Schäden muss nicht das gesamte Gerät, sondern nur das Kühlaggregat ausgetauscht werden. Und im Modell Lunar Lander wird mittels Mikroben Strom aus Urin erzeugt. „Für eine Kilowattstunde Energie braucht es 85 Liter Urin“ – die perfekte Erfindung zu einer Neunutzung von Musikfestivals!

veröffentlicht in: WELT, 22.6.2019
3. Vienna Biennale, 29.5.-6.10.2019