Alles Meisterwerke im Leopold Museum?

14. Apr. 2023 in Ausstellungen

Leopold Museum:AMAZING, The Würth Collection, Anselm Kiefer. Foto Lisa Rastl

Ausstellungen von Gast-Sammlungen tragen im Leopold Museum simple Titel: Nach Heidi Hortens „Wow“folgt jetzt Reinhold Würths „Amazing“. Versprochen werden uns „Meisterwerke“ vom Impressionismus bis heute – kann das gehalten werden?

Kaum etwas ist schwieriger als eine Sammlungspräsentation. Denn aus den Mengen der Bestände müssen einige Werke herausgehoben werden. Aber welche Kriterien sollen dafür gelten? Manchmal sind es spannende thematische Aspekte wie im MAK „Das Fest“ oder im MUMOK aktuell „On Stage – Kunst als Bühne“. Was aber tun, wenn im Fundus einer Privatsammlung gestöbert werden kann? Anders als in öffentlichen Sammlungen folgen dort die Ankäufe privaten Vorlieben. Sollen die aufgegriffen werden, wie es die Heidi Horten Collection gerade mit dem Thema Kunst und Mode unter dem Titel „Look“ praktiziert? Vor dieser Aufgabe stand auch Hans-Peter Wipplinger, der als Direktor des Wiener Leopold Museum die deutsche Würth Sammlung zu einem Gastauftritt einlud. „Sammlermuseen passen naturgemäß gut zusammen“, kommentierte Sylvia Weber, Geschäftsbereichsleiterin Kunst und Kultur in der Würth-Gruppe, die Einladung während des Presserundgangs.

Leopold Museum: AMAZING, The Würth Collection. Foto Lisa Rastl

Wipplinger entschied sich bei seiner Auswahl gegen ein inhaltliches Konzept und setzt statt dessen auf „Meisterwerke“, wie es im Pressetext heißt. Darunter verstehen wir gemeinhin jene Werke, die uns einen Höhepunkt im künstlerischen Schaffen, eine herausragende, letztgültige bildsprachliche Formulierung zeigen – ein sehr hoher Anspruch! In den rund fünfzig Jahren, die der 1935 geborene deutsche Schrauben-König Reinhold Würth Kunst sammelt, sind rund 19.000 Exponate vom Mittelalter bis heute zusammengekommen. Wieviel Meisterwerke mögen in seiner Sammlung sein? Wipplinger jedenfalls wählte 190 Werke von 75 Künstlern aus, beginnend im Jahr 1886 mit Max Liebermann bis heute. Liebermann gilt als Vertreter des deutschen Impressionismus. Anders als bei den französischen Malern leben seine Bilder nicht von der sonnendurchfluteten Strahlkraft der Farben. Liebermann bevorzugte erdverbundene bräunliche Töne, aufgehellt durch die für sein Werk so typischen Sonnenflecken. Seine elf Bilder geben einen guten Einstieg in die Kunst der Moderne, beginnend mit realistischen Darstellungen, die langsam in freiere Kompositionen übergehen. Weiter geht es brav chronologisch im strengen Kanon der engen kunsthistorischen Ismen, die mit den klaren Kategorien Zwischentönen keinen Raum geben: Expressionismus, Surrealismus. Darin finden sich zwar immer wieder Überraschungen wie das „Mädchen aus Zeeland“, ein früher, impressionistischer Piet Mondrian von 1909. Manchmal irritieren auch weniger bekannte Künstler wie Paul Baum, der als Neo-Impressionist gilt. Seine Bilder sind mit Preisen deutlich unter 100.000 Euro vergleichsweise günstig auf dem Auktionsmarkt zu kaufen und über die Grenzen Deutschlands kaum bekannt. Aber hauptsächlich dominieren berühmte Namen, Lovis Corinth, Pissarro, Paula Modersohn-Becker, Edvard Munch, Ernst Ludwig Kirchner, Max Ernst. Es ist eine sehr nordische, in weiten Teilen vorrangig deutsche Sammlung – Kunst wird national gesammelt, das zeigt sich hier wieder einmal. Bei einer Privatsammlung kann und soll das aber anders als in staatlichen Museen nicht kritisiert oder gefordert werden. Großartig der Raum mit zehn Werken von Max Beckmann, wunderbar sein spätes, unvollendetes Gemälde „Brillenladen“, das er 1950 kurz vor seinem Tod in New York malte. Daran schließt sich ein Raum nur für Picasso an. Die beiden lernten sich nie kennen, beobachteten aber ihre Kunst genau, wie Wipplinger beim Rundgang erzählt.

Leopold Museum: AMAZING, The Würth Collection. Foto Lisa Rastl

Das nächste Stockwerk gehört den nachmodernen Künstlern, die hier dem Konzept der Heldenräume folgen: je ein Raum nur für Werke von Anselm Kiefer, Georg Baselitz, Markus Lüpertz, Gerhard Richter. Es ist immer gut, von einem Künstler mehrere Werke zu sehen, um ein besseres Verständnis zu entwickeln. Aber die Genannten sind hinlänglich bekannt. Wäre es nicht interessant, die weniger Berühmten ausführlich zu zeigen? Eine private Sammlung müsse nicht „einer Politik der Must-haves folgen“, wird Sylvia Weber im Pressetext zitiert. Diese Heldenräume widersprechen dem allerdings, wie überhaupt die Künstlerwahl hier im Leopold eng dem Kanon folgt. Ob es in der Würth Sammlung keine „Meisterwerke“ abseits der etablierten Pfade gibt? Ein Raum ist „österreichischen Positionen“ gewidmet – der größte Länderschwerpunkt in der Sammlung, wie Weber betont. Auch hier mit wenigen Ausnahmen vor allem alte Bekannte. Am Ende des Rundgangs endet man in einem der spannendsten Räume: „Abenteuer Abstraktion“ betitelt, kommen hier höchst diverse Künstler zusammen, bei denen mal wie bei Max Bill die Strenge der Form, wie bei Sonia Delaunay-Terk die Kraft der Farben oder wie bei Robert Jacobsen die Faszination der Form dominieren. Auch wenn der Anspruch auf „Meisterwerke“ sicherlich nicht bei sämtlichen Werken der Schau eingelöst wird und der chronologisch geordnete Rundgang zu schulisch geraten ist, wird ein anderes Versprechen doch eingelöst: „Amazing“! Klingt der Titel allzu simpel, ist die Beschreibung doch angemessen für diesen Parcours durch die Kunstgeschichte.

veröffentlicht in: Die Presse, 5.4.2023