
Atelier von Abdullah Hamma im Al Mousa Center, Art Week Riyadh 2025, Courtesy Visual Arts Commission, Saudi Arabien
Vor wenigen Jahren war in Saudi-Arabien noch Musik bis Tanz verboten. Jetzt setzt der Wüstenstaat im großen Stil auf Kultur, allen voran auf Kunst. Im April fand erstmals die Art Week Riyadh statt. Ein Überblick.
„Es ist ein Anfang.“ So vorsichtig beschreibt Adwaa bint Yazid Al Saud die Situation in Riad. Das ist eine klare Untertreibung. Sie führt eine kleine Gruppe durch das Al Mousa Center in Riad. Gebaut in den 1970er Jahren mit einer zeittypisch verspielten Fassade, standen die Geschäfte in den letzten Jahren zunehmend leer. Jetzt ist der zentral gelegene Retro-Bau zur ersten Art Week Riyadh zu neuem Leben erwacht: Statt Schulbedarf und Abajas, diesen typischen Umhängen für Frauen, wurde hier im April eine Woche lang Kunst präsentiert.

Her Highness Princess Adwaa bint Yazeed Al Saud, Head of Art Week Riyadh. Courety Visual Arts Commission, Saudi Arabien
Yazid Al Saud ist eine – der vielen – Prinzessinnen des saudischen Königshauses. Schon 1999, als das Königreich noch weitgehend abgeriegelt war, gründete sie mit der L´Art Pur Foundation in Riad ein Haus für Kunstausstellungen. Jetzt ist sie die Vorsitzende der Art Week Riyadh – einem absoluten Novum in dem Wüstenstaat. Mit dieser Veranstaltung soll Kunst nicht mehr nur für die royalen und finanzstarken Eliten sein, sondern niedrigschwellig die breite Bevölkerung ansprechen.
Kunst im Einkaufszentrum
Dafür haben zwanzig Galerien das Einkaufszentrum übernommen. Die Shops sind auf Staatskosten in perfekte white cubes verwandelt. In manchen läuft arabische Musik, einige sind architektonisch ambitioniert gestaltet wie die 2019 gegründete Ahlam Gallery. Ihr Vater, der beim Militär arbeite, habe sie bei ihrem Berufswechsel von der Medizin in die Kunst sehr unterstützt, erzählt sie. Ahlam heißt Traum. Hier will sie junge saudische Kunst fördern. Wenige Schritte weiter in einem temporären Forum neben den Rolltreppen finden während der Art Week Ton-Bastelgruppen und Diskussionen für alle statt, die Themen reichen von Type Design bis zu Art Logistik.
Expansion in Riad
Damit geht Saudi-Arabien ein weiterer Schritt auf dem Weg eines gewaltigen kulturellen Umbruchs. Das Schlagwort dazu lautet „Vision 2030“. Dieses Programm sieht vor, das Königreich in eine Post-Öl-Gesellschaft zu führen: die Privatwirtschaft soll gestärkt, die Gesellschaft liberalisiert und Tourismus ausgebaut werden. Sechs Mal so groß wie Deutschland, hat Saudi-Arabien 34 Millionen Einwohner. Rund 7 Millionen leben in Riad, in den nächsten Jahren soll die Zahl verdoppelt werden. Dafür gibt es Großfamilienförderungen und großzügige Jobangebote, um saudische Expads zurückzuholen. Auch architektonisch wird Riad umgebaut: Überall stehen Baukräne, ein riesiges Areal wird zur neuen Downtown entwickelt, an anderes Stelle entsteht ein Park, wo 170.000 Bäume gepflanzt werden sollen, wie ein Schild auf dem Bauzaun ankündigt.
350 Museen und mehr

Digitaler Entwurf von Ahmed Mater begehbarem Werk für das Wüstental Wadi AlFann. Visualization by Atelier Monolit. Courtesy ATHR Gallery
Saudi-Arabien will zum regionalen Zentrum für Kunst und Kultur werden. Da ist die Konkurrenz allerdings groß, auch Abu Dhabi und Doha investieren enorme Summen in den Aufbau einer kulturellen Infrastruktur mit Museen und Kunst im öffentlichen Raum. Davon lässt sich Saudi-Arabien aber nicht beirren. Rund 350 Museen sollen in den nächsten Jahren entstehen, darunter das Red Sea Museum in Jeddah und das in Kooperation mit dem Pariser Centre Pompidou geplante Contemporary Art Museum in der Wüstenregion Al Ula. Weitere 14 – eher kleine – Museen sollen ebenfalls in Al Ula entstehen – wobei der Begriff Museum in Form und Inhalt sehr flexibel verwendet wird.
Expo, „Tal der Kunst“, Weltkulturerbe
Zwar ist das Budget in Al Ula zuletzt massiv reduziert und Pläne verschoben worden. Vorrang haben offenbar die Projekte für die Weltausstellung Expo 2030 und die Stadien für die Fußball-WM 2034. Aber im Wadi Al Fan, dem ´Tal der Kunst´ mitten zwischen den bizarren Felswänden in der Wüste, arbeiten Starkünstlern wie James Turrell, Michael Heizer und Agnes Denes kontinuierlich weiter an ihren Monumentalwerken. In Riad sollen acht Museen allein für Visuelle Kunst entstehen, darunter das Black Gold Museum und das Diriyah Art Futures Institute. Als Ort für digitale Kunst wird es Teil des 62 Milliarden Dollar-Projektes namens Diriyah Gate: am nordwestlichen Rand Riads wird das jetzt noch abseits liegende, gleichnamige Viertel rund um das historische Fort erschlossen. Dieser auf 1446 datierte Lehmpalast gilt als frühester Stammsitz der Königfamilie und wurde 2010 Weltkulturerbe.
Saudi-Arabische Moderne
Im Amphietheater des Forts fand im Februar auch die erste Auktion Saudi-Arabiens statt. Die 250 open-air-Sitze waren sofort besetzt, stehend begleiteten viele weitere die Premiere. Sotheby´s erzielte an diesem Abend 17,3 Millionen Dollar für 140 Lose von Luxusobjekten bis zu bildender Kunst. Ein Werk von Mohammed al Saleem aus dem Jahr 1977 konnte die Schätzung verdreifachen und erzielte den Rekordpreis von 660.000 Dollar. Al Saleem ist bekannt für seinen „Horizontalismus“ und „desert style“, wie seine abstrahierten Landschaften mit verstreuten Figuren, meist Kamelen, genannt werden. 1979 gründete er das „Saudi Art House“ in Riad, zunächst für Kunstbedarf, der damals in dem Königreich nicht zu kaufen war, später auch als Galerie und wegweisender Unterstützer für eine jüngere Generation.
Strommasten als Kunstwerk und Alu-Häuser
Al Saleem gehört zu den „Pionieren“, wie die Modernisten in Saudi-Arabien genannt werden und mit denen die nationale Kunstgeschichte in den 1960er Jahren beginnt. Fragt man nach, sprechen einige von 15, andere von bis zu 50 ´Pionieren´, darunter auch Künstlerinnen. Sie studierten in Paris, in Moskau, viele in Italien. Ihr Stil, der farbenintensive Abstraktion, Kalligraphie und sparsame Figuration verbindet, bestimmt die Malerei bis heute, wie der Gang durch das Einkaufszentrum zeigt. Die nächste Generation dagegen geht neue Wege wie der 1973 geborene Abdulnasser Gharem. Er verwandelte gerade einen 83 Meter hohen, ausgedienten Strommasten mit 691 bunten, nachts leuchtenden Platten in seinen weithin sichtbaren „Arts Tower“. Das Kunstwerk ist Teil des gerade entstehenden Sports Boulevard.
Oder Abdullah Al Othman, der bereits 2017 in der Hafenstadt Jeddah am Roten Meer die Fassade eines historischen Hauses mit Alufolie bedeckte – eines der frühesten politischen Werke von Kunst im öffentlichen Raum, betonte eine lokale Kuratorin beim Besuch in seinem Atelier. Er wollte ein Zeichen setzen für den Erhalt dieser einzigartigen, historischen Altstadt. Erfolgreich, behutsam lässt die Regierung rund 300 der teils arg verfallenen Häuser restaurieren.
Wie konträr dazu die riesigen Lagerhallen in Riad, in denen seit 2021 die Diriyah Biennale und jetzt auch die Art Week stattfindet. Jax Destrict wird das Gelände nahe des historischen Palastes genannt. Während in Sichtweite der Touristenattraktion bereits eine brandneue Altstadt mit Flaniermeile und Restaurants steht, ist dieses Viertel noch wenig erschlossen. Die Häuser hier sind einfach, manchmal ist kaum zwischen Abriss oder Neubau zu unterscheiden. Die Gentrifizierung steckt noch in den Anfängen.
Aber gleich hinter den Biennale-Hallen siedeln sich bereits in Garagen-ähnlichen Bauten Galerien, Musikstudios, Boutiquen und Künstlerateliers an. Hier steht auch das erste fertiggestellte Museum SMOCA (Saudi Museum of Contemporary Art). Während der Art Week Ryadh sind zwei Lagerhallen in ein Kunstzentrum verwandelt, im Außenraum bieten Stände Essen und Trinken an, leise Musik vom Sponsor-Partner Spotify erschallt überall. Kunst wird hier als Wohlfühlzone für alle inszeniert, inklusiv eines experimentellen Anreizes für neue Sammler:innen: In einem Raum hängen und stehen dichtgedrängt Mengen von Arbeiten regionaler Künstler:innen – ohne Namen bei auffallend niedrigen Preisen. Die Autorenschaft wird erst nach dem Kauf enthüllt.

Galleria Continua auf der Art Week Riyadh 2025 mit Kader Attias. Galleries Curated Selection “At The Edge”, Courtesy Visual Arts Commission, Saudi Arabien
In den großen Hallen dagegen gastiert der globale Kunstmarkt. Die sparsamen Stellwände mit wenigen aufgefächerten Wandverlängerungen erinnern an eine Kunstmesse, zumal die Kojen mit den Namen von Galerien versehen sind. Aber es sei definitiv keine Messe, betont Vittoria Mataarrese.
in between
Die ehemalige Leiterin der – dank neuer US-Investoren geschlossenen – italienischen Baly-Foundation ist Teil des vierköpfigen Kuratorenteams. Sie nennt es eine „kuratierte Selektion“. Da die Art Week staatlich finanziert ist, könne es keine kommerzielle Veranstaltung sein. Das Konzept sei eher ein „in between“: Sie wählten bei 45 internationalen Galerien 200 Kunstwerke von 50 Künstlern aus. Perfekt ausgeleuchtet mit Punktstrahlern, liegt der Fokus auf Kunst der Region, von Wael Shawky (Lisson Gallery) über Monira Al Qadiri (Perrotin) bis Maha Mallouh (Krinzinger). Im Eingang liegen Kader Attias zerbrochene Spiegel (Continua). Mataarrese sieht darin eine „neue Schönheit, die aus einer fragmentierten Vergangenheit“ entstehe. Das kann als perfektes Sinnbild für den Balanceakt des Wüstenstaates zwischen kultureller Erneuerung und historischer Verwurzelung stehen. Für einen historischen Moment in einem Land, das sich mit Kunst und Kultur gerade selbst neu erfindet.
Veröffentlicht in: NZZ, Art Basel Supplement, 16.6.2025
Art Week Ryad, 6.-13. April 2025. Organisiert von Visual Arts Commission under the Ministry of Culture