Was will die Kunst in der Wüste?

20. Aug. 2023 in Ausstellungen

Michael Heizer, City, 2023. Courtesy Triple Aught Foundation. Foto Ben Blackwell

Dieses Wochenende beginnt wieder das Festival Burning Man in der Wüste von Nevada. Einige hundert Meilen entfernt stehen riesige Skulpturen in der Wüste und alle zwei Jahren zieht es Künstler:innen in die kalifornische, sogar in die saudi-arabische Wüste – was wollen alle in der Wüste?

Eine fünfzehnspurige Autokolonne wälzt sich dicht nebeneinander durch den Sand der Wüste Nevadas. Rund 80.000 Menschen verlassen hier nahezu zeitgleich das Festival Burning Man. Auch heuer werden wieder ähnlich viele Menschen in dieser temporäre Stadt im Nirgendwo erwartet. Neun Tage findet dann eine gigantische Party zwischen Mad Max und Woodstock statt, gerahmt von lauter Techno Musik und wilden kunstähnlichen Kreationen. Die sind oft riesig und technisch aufwendig, finden allerdings kaum Eingang in den Kunstbetrieb. In der langen Liste dieser Beiträge taucht lediglich Spencer Tunick mit seinen typischen Performances nackter Menschen auf. Auch Franz West habe mal mitgemacht, wird erzählt. Aufgelistet ist er nicht. Dafür Mengen fantasievoller Fahrzeug-Mutationen und Science-Fiction Figuren, riesige Vögel oder psychodelisch leuchtende Riesenpilze. Das klingt nach viel Spaß – aber warum findet das in der Wüste statt?

Michael Heizer, City, 2023. Courtesy Triple Aught Foundation. Foto Ben Blackwell

Gegründet wurde Burning Man 1986 am Strand eines ehemaligen Militärstützpunkts in San Francisco. Bald folgte ein Verbot des titelgebenden Verbrennens der riesigen Figur. Also wanderte die Veranstaltung 1990 in die Black Rock-Wüste in Nevada. Rund 700 Kilometer entfernt eröffnete heuer ein geradezu konträres Spektakel. Fünfzig Jahre lang arbeitete der US-Künstler Michael Heizer fünfzig Jahre an seinem  Skulpturenkomplex „City“. In einem Tal in der Hochwüste des Great Basin, das als Weidelange genutzt wird, irritieren jetzt künstliche Erhöhungen und Vertiefungen, gekippte Dreiecke, an Landebahnen erinnernde Flächen aus Erde, Fels und Beton das Einerlei der kargen Landschaft. Laut Pressetext der Triple Aught Stiftung, die das Werk vermarktet, seien die Formen an antike Zeremonialbauten angelehnt, übersetzt in die Bildlichkeit einer modernen Stadt. Anders als Burning Man soll hier keine temporäre Gemeinschaft entstehen, es werden nur sechs Tickets – je 150 Dollar – pro Tag verkauft. Statt Party einsamer Kunstgenuss.

Shezard Dwood, Coral Alchemy I, Desert X AlUla 2022. Foto: SBV

Michael Heizer gehört zu der Generation jener Künstler, die in den 1960er Jahren die Galerien und Museen verließen und mit ihrer „Land Art“ die Kunst ins Freie, in die Weite unbesiedelter Landschaften trugen. Dieser Tradition folgt auch die rund 200 Kilometer südlich von Los Angeles in der Sonara Wüste gegründete Desert X Biennale. 2017 erstmals mit nur 16 Künstlern begonnen, expandierte die Biennale 2020 in die saudi-arabische Wüste Al Ula. Al Ula ist eine Oase rund 700 Kilometer von Jeddah entfernt, ein Gebiet so groß wie Belgien mit bizarren Felsschluchten und archäologischen Ausgrabungsstätten. Hier entsteht gerade „Wadi Al Fann“, ein 65 Quadratkilometer großes ´Tal der Kunst´, mit permanenten Werken der Land-Art-Heroen James Turrell, Michael Heizer und Agnes Dennes. Heizer wird hier Formen in die Felsen eingravieren – ein weitaus bescheidener Beitrag als seine gigantische „City“. Was nur zieht die Künstler in die Wüste?

Alicja Kwade Desert X AlUla 2022, Foto Lance Gerber

Wüsten sind Landschaften mit geringer Vegetation, großer Hitze, wenig Niederschlag. Kulturgeschichtlich symbolisieren sie das Fremde, aber auch einen Rückzugsort – und werden daher gerne zu Orten der Kontemplation verklärt. Also wie geschaffen für Kunst? Der französische Philosoph Jean Baudrillard sagte 2002 in einem Interview: „In der Wüste muss ich die Einsamkeit nicht erst suchen, ich bin Teil davon“, er sehe dort die „klarste, schönste, hellste, stärkste Form der Abwesenheit“. Das trifft definitiv nicht auf das Burning Man-Festival zu, bei dem stattdessen Gemeinschaft und Selbstdarstellung vorherrschen. Zielt Desert X darauf? Kaum. Denn die Biennale ist ein gutbesuchtes Spektakel, über 1.7 Millionen Menschen kamen zu den bisherigen, alle zwei Jahre stattfindenden Veranstaltungen. Ihre „Mission“ sei es, so heißt es auf ihrer Internetseite, die „Schönheit der Wüstenumgebung“ hervorzuheben. Sie fordern ihre Besucher auf, „ihren Sinn für Abenteuer zu zeigen und ihr Herz zu öffnen, wenn sie die Kunstinstallationen aufsuchen“.

Matt Johnson, Sleeping Figure, Desert X 2023. Foto Lance Gerber, Courtesy Künstler und Desert X

Thematisch suche Desert X „eine visuelle Antwort auf Themen von enormer Bedeutung für die heutige Weltbürgerschaft“ – ein Anspruch, der den Land-Art-Künstlern vor fünfzig Jahren niemals in den Sinn kam. Sie setzten ihre minimalistischen Skulpturen in bis dato unbekannten und unvorstellbaren Dimensionen um, Robert Smithsons gigantische Steinspirale „Spiral Jetty“ am Ufer des Great Salt Lake oder Nancy Holts riesige Betonringe „Sun Tunnels“, beides in Utah. Wie die Land-Art-Künstler damals so suchen auch die heutigen Wüsten-Projekte eine karge, menschenleere Gegend. Desert X in Kalifornien findet in der Sonora Wüste statt, die als eine der feuchtesten Wüsten mit einer artenreiche Landschaft gilt. Einen Einklang mit der Natur stellt auch hier kaum ein Künstler her, wenn Matt Johnson ineinander verschachtelte Container wie gigantischen Sperrmüll in den Sand legt, oder der Maler und Kunstmarktliebling Sterling Ruby einen fluoreszierenden, orangefarbenen Monolithen wie eine Fata Morgana in die Landschaft stellt.

Sterling Ruby, Specter, Desert X 2019, Foto Lance Gerber, Courtesy Künstler und Desert X

Im Gegenteil: die Kunst scheint krass von der Umgebung abgegrenzt zu werden. In Saudi-Arabien sind die Eingriffe weitaus sanfter, wenn Jim Denevan aus dem Sand 365 kleine, pyramidenförmige Hügel im Kreis formt, oder Shaika Al Mazrou metallisch spiegelnde, kissenähnliche Formen zwischen und vor die Felsen legt. Eines allerdings ist sämtlichen Werke von der Land Art bis heute gemeinsam: Anders als im Museum oder im öffentlichen Raum tritt die Kunst in der Wüste in direkte Konkurrenz zu einer beeindruckenden Umgebung, die sie manchmal verstärken, manchmal zu übertönen versuchen.

Jim Denevan, Angel of Repose, Desert X Al Ula 2022. Foto Lance Gerber, Courtesy Künstler und Desert X

In jedem Fall gibt die große Weite der Wüste der Kunst einen Wirkungsraum, gegen den ein Museum wie eine Zelle wirkt. Und die Kunst gibt der Wüste auch etwas zurück: Beim Wandern von einem Werk zum anderen erleben wir die Wüste als Jahrtausende existierenden, von menschlichen Eingriffen nahezu unberührten Ort – und das gilt auch für Desert X in Kalifornien, wo im Hintergrund Mengen von riesigen Windrädern rotieren. Ob im Kontrast oder in Einklang, die Kunstwerke lassen uns die Weite spüren. Wir erleben die Wüste und damit auch die Kunst als Inbegriff von Freiheit.

veröffentlicht in: Die Presse, 20.8.2023