Die Schockstarre scheint überwunden. Zwar gelten noch die Coronoa-Ausgangsbeschränkungen, Galerien und Museen bleiben geschlossen. Aber zumindest der Kunsthandel zeigt vorsichtige Lebenszeichen. Manche setzen dafür wie die Art Basel Hong Kong im März auf „Viewing Rooms“. Das ist nicht mehr als eine einfache webside, also Abbildungen von Kunstwerken, die man eines nach dem anderen durchklicken konnte. Mehr als 200.000 Besucher hätten darauf zugegriffen, hieß es dazu. Offenbar um einen Absturz durch zu großen Andrang auszuschließen, galt der Zugang Anfangs nur den VIP-Kunden – was einige ärgerte. Ist Exklusiv-Getue in diesen Zeiten und diesem Format angemessen? Trotz dieser Kritik verlief der Versuch besser als erwartet. Iwan Wirth ließ mitteilen, dass die Galerie Hauser & Wirth ohne abgesicherte „Vorverkäufe und nur wenige Anfragen vorab“ 8 Werke verkaufte, darunter Josef Albers für 600.000 Dollar und Günter Förgs „Untitled Mask“ für 50.000 Euro. Auch die Londoner Lisson Gallery war zufrieden, Alex Logsdail nennt in seiner email-Antwort Carmen Herreras „Camino Negro“ für 850.000 Dollar als – einzigen – Verkauf. Sie hatten mit fünf asiatischen Galerien einen „virtuellen Rundgang“ organisiert: ein Durchblättern des online-Katalogs mit Sprechbegleitung. Das brachte ihnen immerhin eine „hohe Aufmerksamkeit“. Falls diese Idee weitergeführt wird, läge darin vielleicht ein neues Bestätigungsfeld für Schauspieler, um die Texte professionell und möglichst auch unterhaltsam vorzulesen?
Einen Schritt weiter ging die Art Dubai. Ende März geplant, mußte die Messe abgesagt werden. Auch das zunächst geplante Ausweichprogramm mit lokalem Programm fiel zuletzt aus. So wurde alles ins Internet verlegt, mit einer „Newshour“ als Gesprächsprogramm und Performances. Kuratorin Marina Fokidis hatte schon vor der Pandemie das Thema „Heilen“ gewählt, wozu auf der Internetseite jetzt fünf Videos laufen – in denen der Begriff ´Performance´ sich teils als recht dehnbar erweist. Es sei ihr nicht um eine „Pornographie von Katastrophen“ gegangen, erklärt Fokidis dazu im Telefongespräch, sondern um andere Formen der Kommunikation, wenn etwa Tiago Sant´ana aus Brasilien die Kolonialpolitik seines Landes in dem „friedvollen Ritual“ des Bügelns von weißen Lacken in einer Ruine praktiziert. Immerhin gut 1000 Besucher schenkten diesen Beiträgen einen Click, mehr als 11.000 entschieden sich für die Gesprächsrunden und stolze 40.000 schauten sich den online-Katalog der Art Dubai an. Ganz konkret reagierte übrigens die Regierung der Vereinigten Emirate, die für $408.000 Dollar Werke lokaler Künstler ankauften. Die Erwerbungen sollen im Galerienzentrum Alserkal Avenue ausgestellt und dann auf die weltweiten Botschaften verteilt werden. In Österreich hat die Klocker-Stiftung 100.000 Euro als Soforthilfe aufgestellt, mit bis zu 5000,- Euro pro Künstler.
Zurück zum virtuellen Raum: Vor allem Online-Plattformen boomen jetzt. Schon länger setzt die New Yorker Galerie David Zwirner auf diesen Verkaufsweg. Jetzt folgt eine Erweiterung: Vom 3. April bis 1. Mai wird die „Platform: New York“ stattfinden, zu der Zwirner 12 junge New Yorker Galerien einlädt. Als nächstes geplant ist die „Platform: London“. Technisch gesehen ist dabei noch viel Luft nach oben. Mitreißender ist die „From the studio“-Reihe der Galerie Thaddaeus Ropac. Einmal pro Woche teilen sie digitale Beiträge der Galerie-Künstler auf You Tube, etwa das sechsminütige Video von Anthony Gormley: Der britische Bildhauer spricht über einen Kreidestein, die Entstehung, die „skulpturale Integrität“ dieses „naturgemachten Henry Moore“ und von einer Form, „die das Herz und den Verstand berührt“.
Was technisch möglich ist, zeigt die Berlin Galerie CFA Contempary Fine Arts mit dem tatsächlich virtuellen Rundgang durch die Georg Baselitz Schau, mit Grundriss und der Möglichkeit des Heranzoomens.
Im einfachen Aufbau, aber ambitioniert startete ein neues Wiener Format unter dem anekdotischen Namen „not cancelled“ (www.notcancelled.art). Organisiert von der treat.agency, sei es „Wiens erste virtuelle Kunstwoche“ mit 15 Wiener Galerien, deren Werke bis zum 9. April im Durchklickformat angeschaut werden konnten, darunter die Biennale Venedig 2021-Künstlerin Jakob Lena Knebl in der Galerie Georg Kargl. Die angekündigten „virtuellen Touren und Rundgänge als Live-Stream, Interviews und Making-Of-Videos“ sollten die Galerien selbst liefern – eine sehr übersichtliche Menge kam zustande.
Gemeinsam ist diesen digitalen Räumen natürlich der Mangel an multisensuellen Eindrücken und sozialen Kontakten – aber noch ist es alternativlos. Ob die vielen, verschobenen Kunstmessen im Herbst tatsächlich stattfinden können, ob Kunden wieder um die Welt reisen und Händler ihre Ware verschiffen wollen, kann keiner beantworten. Galerist Christian Meyer kann es sich nicht vorstellen. „Wer soll das verantworten?“ fragt er – und will stattdessen vor allem auf eine Stärkung des herkömmlichen Galeriegeschäfts setzen.
Das betont auch Galerist Martin Janda, der seine Satelitten-Galerie in der Herrengasse für eine Schaufenster-Personale von Christian Hutzinger nutzt. Und im Herbst wird hoffentlich das nächste Curated By-Festival wie gewohnt stattfinden, heuer vielleicht nicht in globaler Reichweite, sondern mit lokalen Ressourcen. Denn der Wiener Kunstmarkt, das bestätigen die meisten Galerien, ist nach wie vor lebendig.
veröffentlicht in: Die Presse, 5.4.2020