Grand Tour in Mailand

13. Dez. 2021 in Ausstellungen

Installationsansicht Grand Tour, Gallerie d´Italia, Mailand

Installationsansicht Grand Tour, Gallerie d´Italia, Mailand

Nächstes Jahr finden Biennale Venedig, Berlin Biennale und documenta kurz aufeinander folgend statt – eine „Grand Tour“ für Kunstbegeisterte. Mit diesem Begriff bezeichnen wir eigentlich die Große Reise, die Mitglieder europäischer Herrschaftshäuser ab dem 17. Jahrhundert unternahmen, um in Italien die Kunst und Kultur der Antike zu studieren. Eine großartige Ausstellung in der Mailänder Gallerie d´Italia greift dieses Thema jetzt mit 130 Meisterwerken aus hochkarätigen weltweiten Museen und Sammlungen auf.

Installationsansicht Grand Tour, Courtesy Gallerie d´Italia, Mailand 2021

Installationsansicht Grand Tour, Courtesy Gallerie d´Italia, Mailand 2021

Antike Skulpturen, Ausgrabungen aus Pompeji und Reproduktionen von Monumenten im Eingangssaal geben einen Eindruck jenes ´alten Europas´, das die Reisenden damals in den italienischen Städten suchten. „Rom war wie eine große Werkstatt“, beschreibt Co-Kurator Stefano Grandesso die Situation damals: Für die Reisenden wurden Souvenirs angefertigt, Kopien, aber auch Luxusversionen wie Vasen oder Steintischplatten mit Intarsien. Vor allem aber florierte der Kunsthandel: die Reisenden waren auch Sammler, einige gründeten auf ihren Erwerbungen später erste Museen. Die Maler reagierten auf die neue Kundschaft, gefragt waren zunächst vor allem Landschaftsbilder, bald  Städte/Architekturen, dann Portraits – Pompeo Batoni gilt als Erfinder von Touristenportraits, von ihm sind vier bedeutende Werke ausgestellt: In stolzer Pose lehnen sich englische Adelige mit Hut und Hund an Fragmente antiker Architekturen.

Installationsansicht Grand Tour, Courtesy Gallerie d´Italia, Mailand

Installationsansicht Grand Tour, Courtesy Gallerie d´Italia, Mailand

Die Suche nach einer Idealschönheit wie sie etwa in der auch in Mailand zu sehenden, grandiosen Skulptur des geflügelten Amors von Antonio Canova gefunden wurde, wird im 19. Jahrhundert von romantisierenden Szenen der römischen Bevölkerung als Nachfahren des alten Reichs abgelöst. Statt des Studiums der Fundamente der europäischen Kultur verschiebt sich der Fokus auf Darstellungen „sentimentaler Abenteuer“ (Wandtext) und dionysischen Tanz. Auch die Herkunft der Reisenden hatte sich unterdessen verändert: Waren es Anfangs vor allem englische Adelige, so reisen im 19. Jahrhundert auch Bürgerliche und selbst Gäste aus der USA treten den langen Weg an. Die Gallerie d´Ialia verdichtet diese 200 Jahre Reiselust in einer einzigartigen und eindringlichen Schau – aber warum nur muss darüber flächendeckend eine weder inhaltlich noch historisch sinnvolle Musikbeschallung liegen?
veröffentlicht in: Kunstforum online, 2.12.2021
Gallerie d´Italia, 19.11.2021-27.3.2022