Kunstszene Naher Osten, von Beirut bis Sharjah 2010

30. Mrz. 2010 in Ausstellungen, Reisen

Dome, Beirut 2010

Im Sommer 2006, während des Libanonkriegs, warf die israelische Armee tausende kleine Handzettel über Beirut ab. Manche forderten die Bewohner der Stadt dazu auf, ihre Häuser zu räumen. Andere waren weniger martialisch – und zeigten eine perfide Karikatur: Drei Männer sitzen um eine Flasche herum und beschwören durch ihr Flötenspiel eine Schlange. Die Kobra trägt die Züge Hassan Nasrallahs, des Generalsekretärs der Hisbollah. Er fragt: „Womit kann ich dienen?“

Die drei Männer repräsentieren Bashar Al-Asad, den Präsidenten von Syrien, Khaled Mashaal, einen in Damaskus lebenden Führer der Hamas, sowie den iranischen Präsidenten Ahmad Ahmadinejad. Was auch immer die israelische Propaganda-Abteilung mit den rosa Flyern bezwecken wollte, sie fielen zumindest bei den Künstlern der Stadt auf fruchtbaren Boden. Die junge libanesische Künstlerin Zena el-Khalil zum Beispiel sammelte einige der Zettel auf und machte aus der Karikatur einen bitterbösen Kommentar zum libanesischen Alltag in allzu lieblichem Gewand: Bei ihr sitzt die musizierende Männergruppe in einem rosa Meer aus zarten Blüten; Glitter und farbenprächtige Vögel dekorieren die Szene, die umrahmt ist von Perlen und einem Goldrand. Krass ist der Gegensatz zu den beiden Soldaten, die el-Khalil ins Bild montiert und die cool mit ihren Waffen und Sonnenbrillen hinter den Männern posen, weniger bedrohlich als sexy. El-Khalil greift hier bewusst die verharmlosende Sprache eines Poesie-Albums auf, zeigt uns die mädchenhafte Schönmalerei einer harten Realität, die von Bomben und fortwährender Kriegsgefahr geprägt war und ist.

Ein Atelierbesuch bei Zena el-Khalil ist beileibe nicht die einzige Gelegenheit, Werke von Beiruter Künstlern zu sehen, die von Erfahrungen aus dem libanesischen Bürgerkrieg (1975 – 1990) und dem Libanonkrieg (2006) geprägt sind. Im Kriegsjahr 2006 begann auch das fortlaufende Projekt „Beirut Bereft. The Architecture of the Forsaken and Map of the Derelict“ von Ziad Antar (Fotografien) und Rasha Salti (Texte), das aus einem Buch und 14 dokumentarischen Fotografien besteht und zeigt, welche Spuren die Kriege in der Stadt hinterlassen haben. Man sieht Hochhäuser, manche verlassen, manche nie fertig gebaut, andere von Einschusslöchern übersät, die meisten wieder und wieder von Soldaten zum Verschanzen benutzt – die Geschichte Beiruts, eingeschrieben in die Architektur. Die berühmteste Ruine der Stadt ist das „City Center Dome“, ein riesiges, Ei-förmiges Kino, das in den späten 1960er-Jahren von dem bekannten Architekten Joseph Philippe Karam gebaut und 2006 von einer Bombe halb zerstört wurde. Ein passender Ort, um einen Einblick in die Kunstszene Beiruts zu geben, und so fand hier am 13. März für einen Tag eine spektakuläre Ausstellung statt, bei der zehn libanesische Galerien 44 Künstler mit ihren Werken zwischen formaler Abstraktion und inhaltlicher Aufarbeitung der traumatischen Kriegserfahrungen präsentierten. Die intensivsten bildnerischen Übersetzungen für die Konflikte der Region und ihre Folgen fanden Nadim Karam mit seiner bedrückenden Bleistiftzeichnung The Massacre voller albtraumhafter Figuren und Zena Assi mit A bit of Beirut, ein enggedrängtes Häusermeer, das an die noch immer existierenden palästinensischen Flüchtlingslager der Stadt erinnert.

Überhaupt verfügt Beirut über eine unerwartet lebhafte Galerienszene, die auch von deutsch-libanesischen Akteuren mitgeprägt wird. So eröffneten die Hamburger Sfeir-Semler bereits im Frühjahr 2005 eine Dependance in Beirut. Doch auch der einheimische Handel ist vor Ort stark vertreten. Schon 1990 wurde die Agial Art Galerie in Hambra, der belebtesten Gegend in Beirut, gegründet. Das Programm reicht von Experimenten mit einer modernistischen Formensprache bis zu brandaktuellen Aspekten, von Hussein Madi bis zur jungen Tagreed Darghouth, deren Thema die in Beirut allgegenwärtige Schönheitschirurgie ist. Madi sei der „führende zeitgenössische Künstler aus dem Libanon“, erklärt Ramzi K. Saidi, der zum Besuch in seine gut 500 Bilder und Skulpturen umfassende, beeindruckende Privatsammlung eingeladen hat. Begonnen hatte er sie in den 1980er-Jahren, mitten im Bürgerkrieg, um „die Kultur des Libanons vor der Zerstörung zu bewahren“.

Saidis Sammlung vermittelt in der Tat einen recht guten Überblick über die Kunstszene des Landes. So wurden manche der Künstler, die man in seinem Appartement sehen kann, auch letztes Jahr im Kunsthallen-ähnlichen Beirut Art Center in der bewegenden Ausstellung „The Road to Peace – Paintings in Times of War, 1975-1991“ gezeigt. Das Thema hat an Dringlichkeit nicht verloren. Dieser Tage führt Fouad ElKourys Ausstellung „What happened to my dreams?“ (bis 7. Mai 2010) vor, wie die heutige Antwort auf die Kriegserlebnisse aussieht. El Khourys Schau findet in einem weiteren deutsch-libanesischen Galerieunternehmen statt, im Espace Kettaneh Kunigk (Tanit) – der Zweigstelle der Münchner Galerie Tanit. El Khoury, 1952 in Paris geboren und seit den späten 1970er-Jahren immer wieder in Beirut lebend, ist zudem Mitbegründer der dortigen Arab Image Foundation und setzt sich seit Jahren mit sozio-politischen Themen der Region auseinander.

Running Horse, Beirut 2010

Zu den Newcomern der lokalen Galerienszene gehört die erst vor achtzehn Monaten gegründete Galerie The Running Horse, die – wie drei Kollegen aus Beirut – an den beiden Kunstmessen Anfang März in Dubai teilnahmen. Auf der kleinen Al Bastakiya Art Fair im historischen Viertel am Creek in Dubai zeigte die jungen Galeristin Lea Sednaoui, die in London Bildhauerei studierte, Zeichnungen von Alfred Tarazi. Auch er thematisiert die traumatischen Erfahrungen seiner Generation: Die Serie „You‘re young and you‘ll forget“ (2010) lässt mit ihren roten und schwarzen Flecken zwar an Gewalt und Bedrohung denken, der Titel aber verspricht (zynisch) Hoffnung. Am Stand von The Running Horse konnte man Werke junger Künstler ab 2.000 US-Dollar entdecken – Einstiegspreise, die schnell steigen. Denn im Mittleren Osten etabliert sich gerade ein neuer Markt, der auf regionaler Kunst aufbaut: Arabische Sammler kaufen arabische Kunst. Diese Entwicklung prägte auch die diesjährige Art Dubai, auf der vor allem Kunst aus der MENASA-Region (Middle East, North Africa, South Asia) gezeigt wurde und besonders Kritisches gefragt war.

March Meetin, Sharjah 2010

Parallel zum Kunstmarkt etablieren sich in der Region auch immer mehr selbst organisierte Projekte. Wenige Tage vor Eröffnung der Art Dubai fand im Nachbaremirat Sharjah das dritte „March Meeting“ statt. Dieses dreitägige Diskussionsforum unter der Leitung von Jack Persekian, Leiter der Sharjah Biennale , hatte dieses Jahr die Zukunft des Kunstbetriebs in der Region auf der Agenda, mit Berichten über den Ausstellungs-, Workshop- und Forschungsraum 98 weeks in Beirut, das CiC (Contemporary Image Collective) in Kairo oder den Ausstellungsraum für syrische Künstler AllArtNow in Damaskus. Einen großen Erfolg konnte Christine Tohme auf dem Meeting verkünden: Für die nächsten fünf Jahre wurde ihrer lang geplanten „Home Works“-Akademie endlich eine ehemalige Fabrik gleich neben dem Beirut Art Center zur Verfügung gestellt. Das Festival „Home Works“ wird seit 2002 von „Ashkal Alwan“ („Von Farben und Formen“) organisiert, der Libanesischen Assoziation für Bildende Künste, die 1994 von Tohme gegründet wurde. Dieses Jahr findet es vom 22. April bis zum 1. Mai statt und will ein breites Spektrum diskutieren. Der spannendste Themenblock fragt nach der auch ökonomischen Beziehung von Abu Dhabis künstlicher Insel Saadiyat Island zu Städten wie Kairo, Beirut und Ramallah. Auf dem Festival jedenfalls zeichnet sich wie in einem Brennglas ab, was man überall im Kunstbetrieb der Region beobachten kann: dass statt lokaler Isolation eine regionale Mitgestaltung anvisiert wird, dass Verbindungen zwischen Traditionen und zukünftigen Entwicklungen gesucht werden. All das zeugt von einer enormen Aufbruchsstimmung, die vor Ort auch überall spürbar ist.

veröffentlicht in: www.artnet.de, 30.3.2010