Im Februar 2022 trat Luigi Fassi seine Stelle als neuer Direktor der Artissima in Turin an. Die erste Ausgabe unser seiner Leitung verzeichnet sofort einen Rekord: 174 Galerien aus 28 Ländern nehmen an der 29. Artissima 2022 teil, darunter 21 aus Deutschland, 10 aus Österreich und 42 Galerien erstmals. Nicht nur die Quantität, vor allem die Qualität der 29. Artissima überzeugte, etwa die museumsreif kuratierte Sektion Sektion „Disegni“ mit Arbeiten auf Papier von Irina Zucca Alessandrelli von der Mailänder Collezione Ramo. Fassi war früher als Kurator in Bozen, beim Steirischen Herbst in Graz und zuletzt Direktor des MAN Museo d´Arte Provicia di Nuoro in Sardinien tätig.
SBV: Sie hatten nur sehr kurze Vorbereitungszeit für die Artissima?
Luigi Fassi: Ja, ich habe im Februar 2022 die Leitung der Artissima übernommen und es ist praktisch ein Jahr auf acht Monaten verdichtet gewesen. Aber ich kannte die Messe ja vorher schon. Denn ich habe von 2010 bis 2017 als Kurator für die Artissima-Sektion Present Future gearbeitet, also die Sektion für junge Kunst. So hatte ich schon eine Idee von der generellen Ausrichtung der Messe, nämlich als Plattform mit verschiedenen Prioritäten. Ein wichtiger Aspekt dieser Messe ist, dass wir es mit einer jüngeren Generation von Galeristen zu tun haben, die ihre Netzwerke noch aufbauen. Messen wie Frieze und vor allem Art Basel adressieren eine ältere Galerie-Generation mit anderen Anforderungen, auch was die Budgets der Sammler betrifft. Wir haben dieses Jahr 42 Galerien, die erstmals teilnehmen – ein Rekord! 21 Galerien kommen aus Deutschland, die sich in zwei Generationen teilen: Jüngere vornehmlich aus Berlin, dazu Älteren wie Neu oder Nagel/Draxler. Die Jüngeren suchen noch Kontakte zu Kuratoren und Institutionen – darauf konzentrieren wir uns bei der Artissima. Wir bringen Kurator:innen und Museumsleiter:innen, aber natürlich auch Sammler:innen nach Turin.
SBV: Nahezu jede Kunstmesse lädt auch Kurator:innen und Leiter:innen ein, wie grenzen Sie Artissima von den anderen ab?
Luigi Fassi: Artissima ist eine unabhängige Messe, wir können anders denken. Wir wissen, dass eine jüngere Galerien-Generation eine andere Messe benötigen. Das gilt auch für die Sammler:innen, die hierher kommen, die keine Blue Chips, sondern Entdeckungen suchen. Das ist eine große Herausforderung, dafür müssen wir immer up to date sein. Dafür laden wir externe Kurator:innen ein, die dieses Jahr alle ungefähr aus einer Generation Ende 30, Anfang 40 sind. Alle sind in Institutionen, alle extrem motiviert – manche bringen auch gleich ihre Patrons-Gruppen mit. Artissima setzt auf den Markt, aber auch auf Netzwerke. Artissima gilt als Entdeckermesse. Hier können Ideen gesammelt werden für zukünftige Ausstellungen, können Positionen für geplante Gruppenausstellungen gefunden werden. Artissima ist eine Plattform für den Austausch von Ideen gerade für jene, die nicht so viel Zeit zum Verreisen haben und hier in wenigen Tagen viel Neues sehen. Und auch viele Kolleg:innen aus aller Welt treffen. Es ist eine Optimierung des Verreisens. Wichtig dabei sind auch die Ausstellungen in der Stadt.
SBV: Lenkt ein umfangreiches Parallelprogramm nicht von der Messe ab? Diese Kritik war gerade zur ersten Paris+ zu hören.
Luigi Fassi: Die Artissima ist mit gut einhundert Galerien nicht zu groß, da bleibt genug Zeit für die Besuche in der Stadt. Die Ausstellungen betonen schließlich auch die Priorität der Artissima: Es geht hier in erster Linie um Kunst. In der Stadt haben wir eine Video-Ausstellung „Collective Individuals“ mit 8 Künstler:innen eingerichtet, die die Beziehung zwischen Individualität und Kollektivität thematisiert. Mit der Stiftung haben wir mit 3 Sound-Künstlerinnen gearbeitet. Wichtig für die Artissima sind auch die Preise, wir vergeben insgesamt zehn während der Messe, darunter ein Neuer, der dem kürzlich verstorbenen Sammler Matteo Viglietta gewidmet ist.
SBV: Was interessiert Sie als Kurator und Museumsleiter daran, eine Messe zu leiten?
Luigi Fassi: Das Artissima hat die Tradition der Kuratoren für die Sektionen, wo ich ja schon einmal dazugehörte. Zudem bin ich in Turin geboren. Ich bin mit Artissima groß geworden, es war für mich immer ein Fenster auf die Welt. Darum habe ich sofort Ja gesagt. Ich kann zur Messe etwas beisteuern mit meinen Erfahrungen als Kurator und als Leiter eines Museums. In meiner Tätigkeit hier geht es um Inhalte, ich sehe es als eine kuratorische Aufgabe. Ich möchte den Galerien zeigen, dass es sich lohnt, an der Artissima teilzunehmen. Artissima ist zugleich eine globale Messe und wird für Italien immer wichtiger. Für italienische Galeristen heißt die Teilnahme hier quasi schon im Ausland zu sein.
SBV: Sehen Sie Artissima als ein Sprungbrett für die großen globalen Kunstmessen?
Luigi Fassi: Artissima ist sicher auch ein Sprungbrett. Es gibt viele Galerien, die ihre erste Messeerfahrung hier machen konnten, auch viele italienische.
SBV: Haben Sie schon Pläne für die nächsten Ausgaben?
Luigi Fassi: Wir wollen nicht nur die Galerien aus Süditalien, sondern auch Kunststiftungen von dort einbinden. Wir nennen das Projekt „A Sud“, für das drei Stiftungen aus Neapel und Sizilien Künstler-Residenz-Programme anbieten. Vielleicht können wir nächstes Jahr auch Kunststiftungen aus Afrika dazu gewinnen. Ich möchte den Fokus auf das Mittelmeer lenken. Auch hier im Norden gehören wir ja zur mediteranen Kultur. Ein weiteres neues Projekt ist „Made In“: Vier Firmen, die mit Schmuck, Autos, Textilien und Bleistiften handeln, werden jungen Künstler:innen in ihren Firmen eine Residenzzeit anbieten, Carioca, Mattioli, Pattern Group, Prima Industrie. Wir wollen so eine engere Verbindung zwischen Turiner Unternehmen und Kunst bzw. Artissima schaffen.
SBV: Würden Sie auch eine Messeleitung außerhalb Italiens annehmen?
Luigi Fassi: Warum nicht? Ich glaube an die Kunstmesse als Potential für Austausch, Entwicklung von Ausstellungen und neuen Formaten. Wir brauchen Gespräche und Kunstmessen sind dafür extrem wichtig. Unersetzlich.
SBV: Danke für das Gespräch!
Auf der 29. Artissima vergebene Preise:
22. illy Present Future Prize: Peng Zuqiang, Antenna Space gallery Shanghai
3. FPT for Sustainable Art Award promoted by FPT Industrial: Nohemi Perez, mor Charpentier Paris u Bogota
3. Tosetti Value Award for Photography: Oroma Elewa, In Situ – Fabienne Leclerc, Paris
3. Carol Rama Award by Fondazione Sardi per l´Arte: Anna Perach, ADA Gallery, Rom
2. VANNI occhiali #artistroom Prize launched by VANNI: Teresa Giannico, Viasaterna Mailand
1. Matteo Viglietta Award, promoted by Collezione La Gaia in Erinnerung an den Sammler Matteo Viglietta: Vasilis Papageorgiou, UNA Gallery, Piacenza
Institutionelle Zusammenarbeit:
“ad occhi chiusi…” by Fondazione Merz in Zusammenarbeit mit Artissima, für Künstler:innen aus dem Mittelmeerraum
Isola Sicilia 2022, Zusammenarbeit von Artissima und Fondazione Oelle in der sizilianischen Stadt Aci Castello (Dala Nasser, Deborah Schamoni, München)
3. Ettore e Ines Fico Prize by MEF Museo Ettore Fico Turin: Kate Newby, Art: Concept Paris